Rheinische Post Krefeld Kempen

„Manche Impfgegner leiden eindeutig an Paranoia“

- WOLFRAM GOERTZ FÜHRTE DAS INTERVIEW.

Der Virologe ist Vorsitzend­er der Ständigen Impfkomiss­ion. Er zweifelt daran, dass es schnell

einen Impfstoff gibt, ist aber sicher, dass die meisten ihn sich spritzen lassen würden.

MERTENS Weil man noch keine umfassende­n Antworten zu Sars-CoV-2 geben kann. Manche glauben, das zu können, ich kann es nicht. Es ist ein für die Menschheit komplett neues Virus, gegen das es keine Basisimmun­ität gibt, anders als bei Influenza und anderen Infektions­krankheite­n.

Was wissen wir denn sicher?

MERTENS Wir wissen, dass es sich auf jeden Fall aggressive­r und schneller verbreitet als sein Vorgänger SarsCoV-1. Das liegt auch daran, dass es sehr oft von Patienten übertragen wird, die keine oder noch keine Symptome zeigen.

Das ist offenbar eine Spezialitä­t von Sars-CoV-2?

MERTENS Genau, obwohl es dafür nur ein relativ kleines Zeitfenste­r gibt, nämlich die Tage rund um den Beginn der Symptome. Danach nimmt die Infektiosi­tät deutlich ab. Diese Spanne reicht aber, dass jemand das Virus maximal effektiv weitergebe­n kann. Also auch, wenn man selbst gar nicht merkt, dass man infiziert ist. Das ist anders als bei Sars-CoV-1.

War die deutsche Antwort auf die Pandemie richtig?

MERTENS In den meisten Aspekten war sie goldrichti­g. Angela Merkel hat vieles sehr gut kommunizie­rt. Die meisten Menschen haben begriffen, welche Maßnahme in welchem Moment sinnvoll war. Man merkte das auch an den internatio­nalen Reaktionen auf Merkels Verhalten. Sie ist halt Wissenscha­ftlerin.

Wie geht es wohl im Sommer weiter?

MERTENS Das kann keiner wissen und keiner seriös beantworte­n.Vielleicht schwächt sich zunächst alles ab, und wir bekommen trotzdem eine zweite Welle im Herbst. Darüber zu spekuliere­n, das wäre wie Locken drehen auf einer Glatze.

Internatio­nal wurde aber auch Schweden gelobt, die in Wirklichke­it gerade ein großes Problem haben.

MERTENS Da stimme ich Ihnen zu. Da wurde zu wenig getestet. Es wurde auch in Krankenhäu­sern wenig Prävention betrieben, und es fehlte an vielem. Dort ist die epidemiolo­gische Situation aber nicht vergleichb­ar. Schweden hat rund zehn Millionen Einwohner auf etwa 450.000 Quadratkil­ometern, also 23 Einwohner pro Quadratkil­ometer. Deutschlan­d hat 350.000 Quadratkil­ometer und zehn Mal so viele Menschen pro Quadratkil­ometer. Etwa 40 Prozent der Schweden wohnen in nur drei Städten mit über 100.000 Einwohnern. Schweden ist ein großes Risiko eingegange­n, und jetzt haben sie wirklich fast halb so viele Sterbefäll­e wie wir.

Nervt es Sie, dass jetzt schon die Impfgegner in Deutschlan­d Sturm laufen, obwohl es noch gar keinen Impfstoff gegen das Coronaviru­s gibt?

MERTENS Ich habe kein persönlich­es Problem mit Impfgegner­n, ich bin nicht kontaktsch­eu. Die laden mich ja auch zu Kongressen ein, und ich gehe da auch ganz gerne hin. Außerdem gibt es nicht den Impfgegner als solchen. Es gibt intelligen­te Leute, die sich wirklich kluge Gedanken machen, über die man trefflich streiten kann. Es gibt aber auch Leute, die eindeutig an Paranoia leiden.

Und Menschen, die einem Irrglauben nachrennen – dass nämlich eine Infektion mit einem Virus ebenso ungefährli­ch und immunisier­end sei wie eine Impfung.

MERTENS Und natürlich gibt es immer welche, die gern Radau machen. Aber insgesamt hat die Zahl der sogenannte­n Impfgegner in Deutschlan­d nicht zugenommen, das wüsste ich.

Aber manche glauben wirklich, Bill Gates wolle die Weltherrsc­haft an sich reißen, wenn er der WHO und ganz vielen Gesundheit­sprojekten Geld gibt.

MERTENS Es hat keinen Zweck, mit solchen Leuten zu reden. Bill Gates tut enorm viel für die Gesundheit­svorsorge der Weltbevölk­erung. Ich sehe ihn als echten, seltenen Philanthro­pen. Mit Machtstreb­en hat das gar nichts zu tun.

Glauben Sie eigentlich, dass sich in Deutschlan­d viele Menschen gegen das Coronaviru­s impfen lassen würden?

MERTENS Ja, die Rate wird hoch sein, denke ich. Die meisten vernünftig­en Menschen werden das tun, aber die hört man ja momentan nicht so gut, weil vernünftig­e Menschen eigentlich eher leise sind.

Was wäre das Ziel einer Impfung?

MERTENS Wie bei jeder anderen Impfung auch:Wir impfen nicht primär, um Infektione­n zu verhindern, sondern Krankheite­n nicht ausbrechen zu lassen oder um günstigere Krankheits­verläufe zu erreichen. Eine Infektion mit dem Coronaviru­s wird es halt sehr oft geben, aber wenn Impfschutz besteht, reagiert die Immunabweh­r, durch die Impfung stimuliert, sehr präzise in ihrer Antwort auf den Erreger und verhindert eine Erkrankung.

Ebenso wichtig könnte es aber auch sein, die Behandlung während einer Infektion zu optimieren.

MERTENS Richtig, aber auch hier steht die Forschung erst am Anfang. Um gezielt zu behandeln, muss man die Krankheits­entstehung nach der Infektion genau verstanden haben. Es gibt ermutigend­e Ansätze und Untersuchu­ngen, welches Medikament auf welche Weise welche Verbesseru­ng bewirkt. Aber ob das alles so bestätigt werden kann, muss durch entspreche­nde Studien gezeigt werden. Derzeit kann das noch kein Mensch sagen.

Wann wissen wir mehr?

MERTENS Lassen Sie uns im Herbst noch mal telefonier­en.

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FOTO: DPA Impfgegner beteiligen sich derzeit häufig an Kundgebung­en für die Abschaffun­g der Corona-Einschränk­ungen.

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