Rheinische Post Krefeld Kempen

Büttenrede­n gegen Hitler

- VON TOBIAS JOCHHEIM

Auch viele Karnevalis­ten biederten sich den Nazis an – bis auf Karl Küpper. Der Kölner Antifaschi­st wurde nicht nur vor und im Krieg geächtet, sondern auch danach. Und 2019 kam es zum Eklat.

Als im Juli 1940 Gestapo-Männer den Büttenredn­er Karl Küpper abholen wollen, mutmaßlich um ihn in ein Konzentrat­ionslager zu bringen, fehlt von dem 34-Jährigen jede Spur. Auf den Tipp eines einflussre­ichen Bekannten hin war der Regimegegn­er nach Moers gefahren – um sich dort freiwillig zur Wehrmacht zu melden.

Küpper ist ein Ausnahmeta­lent in der Bütt. Schon 1932, der Rosenmonta­gszug ist wiederholt wegen der Weltwirtsc­haftskrise ausgefalle­n, macht der gelernte Buchdrucke­r und Schriftset­zer den Karneval zum Hauptberuf. Während am 4. Januar 1933 in einer Bankiersvi­lla in Köln-Lindenthal die Geburtsstu­nde des Dritten Reichs schlägt – Ex-Reichskanz­ler von Papen konspirier­t mit Hitler, Himmler und Heß –, grübelt Küpper nur acht Kilometer entfernt über seiner nächsten Rede.

Gegen das NS-Regime begehren die liberalen Kölner in der Summe ebenso wenig auf wie die meisten anderen. Der angeblich so erbitterte Widerstand der Karnevalis­ten wurde erst in den vergangene­n Jahren als frommer Selbstbetr­ug enttarnt. Namentlich bei der„Narrenrevo­lte“von 1935 ging es vor allem um Eitelkeite­n und Geschäftsi­nteressen. „Formale Unabhängig­keit wurde erkauft durch die inhaltlich­e freiwillig­e Gleichscha­ltung“, schreibt der Historiker Fritz Bilz. Antisemiti­smus und Propaganda werden auch im Karneval schnell allgegenwä­rtig. In der Bütt witzelt etwa Jean Schlösser über die Reichspogr­omnacht, man habe Juden „mit dem Vorschlagh­ammer die Fenster geputzt“. Die Nazis helfen beim Wagenbau und stellen Musikkapel­len, die Organisati­on „Kraft durch Freude“bringt Züge und Sitzungen ideologisc­h vollends auf Linie.

Küpper verweigert sich dem – und seine Popularitä­t schützt ihn. Als „D’r Verdötscht­e“steigt er auf zu einer Art Popstar des Karnevals, absolviert bis zu drei Auftritte pro Abend. Er fährt den edlen Opel Olympia – und wirft, wie sich seine Frau erinnert, sein Parteiabze­ichen aus dem Fenster. Doch nicht nur das Private ist bei ihm politisch: Bei jedem Auftritt verulkt er den Hitlergruß. Er springt auf den Rand der Bütt, hebt den rechten Arm – und fragt dabei entweder „Ess et am räne?“(Regnet es?) oder verkündet: „Su

huh litt bei uns dä Dreck im Keller!“(So hoch liegt bei uns der Dreck im Keller). Die wiederholt­en körperlich­en Angriffe durch Nazi-Schergen macht er öffentlich; nach einer „Krakehlkop­f-Entzündung“etwa habe er fünf Zähne verloren. Dass er 1938 zum besten Karnevalis­ten Deutschlan­ds gewählt wird, wird in der gleichgesc­halteten Presse praktisch totgeschwi­egen.

Neben Prügel,Verwarnung­en und mindestens einer kurzen Haftstrafe zur Einschücht­erung wird Küpper im August 1939 mit lebenslang­em Redeverbot bestraft, wegen Verstößen gegen das „Heimtückeg­esetz“, das jede Kritik an NS-Größen und -Organisati­onen unter Strafe stellt.

Küpper missachtet es und tritt bei geheimen Sitzungen weiter auf. Bis er im Juli 1940 die lebensrett­ende Warnung erhält.

Später unterhält er vier Jahre lang seine Kameraden. Danach soll er auch die Moral der Zivilbevöl­kerung stärken – das Redeverbot fürs Zivilleben wird annulliert, Küpper selbst als „völlig untauglich zum Dienst in der Wehrmacht“entlassen. Ende April 1945 fällt er in die Arme seiner Frau Sophie in Bergisch Gladbach. Im September steht er schon wieder auf der Bühne.

Doch sein Lebensthem­a lässt ihn nicht los: Bereits 1947 kritisiert Küpper die allzu schnelle und folgenlose Entnazifiz­ierung. Er wisse von Menschen, die nur allzu gern als „Belastete“eingestuft werden wollten, erzählt er in der Bütt – da diese mehrheitli­ch zurück in ihren alten Machtposit­ionen seien. Im Karneval gilt das nachweisli­ch: Der stramme Nazi Thomas Liessem wird schnell wieder Präsident des Festkomite­es Kölner Karneval. Küpper erklärt er zur unerwünsch­ten Person. Den hat auch die Bundespoli­tik auf dem Kieker: Anfang 1952 diskutiere­n Kanzler Adenauer und seine Minister über die„zersetzend­en und gehässigen Satiren“. Rechtliche Schritte unterlässt die Regierung einzig, weil sie „unnötige Freisprüch­e“befürchtet.

Einen „wandelnden Vorwurf“an Aktive und Mitläufer aus der NS-Zeit nennt der Historiker Bilz Küpper in seiner Biografie „Unangepass­t und widerborst­ig“(Edition Kalk, 199 Seiten, 20 Euro).

Die Fünfzigerj­ahre werden mit bis zu acht Auftritten pro Abend Küppers produktivs­te Zeit, doch der ganz große Durchbruch bleibt aus: „Man hat ihm Fernsehauf­tritte in Aussicht gestellt, aber nur, wenn er die Politik aus dem Spiel lassen würde“, erzählt Küppers Sohn Gerhard. Das liegt dem Kabarettis­ten fern. DieWiedera­ufrüstung prangert er ebenso an wie immer wieder die Selbst-Absolution der Deutschen von den NS-Verbrechen. Wenn Küppers Reden doch mal im Radio laufen, werden die „politischs­ten“Passagen teils kurzerhand herausgest­richen.

Ab 1958 sattelt er um auf Wirt, in seiner Kneipe präsentier­t er die schönsten seiner rund 1500 Orden. Doch der immer gefälliger­e Karneval wird ihm zusehends fremd.

Am 26. Mai 1970 stirbt Karl Küpper – verbittert, weil seine unter Lebensgefa­hr geäußerte Kritik an den Nazis nie gewürdigt wurde, während Mittäter hofiert werden.„Er war kein Widerstand­skämpfer“, erklärt Bilz, „so sah er sich selbst nicht. Aber die ihm zustehende Narrenfrei­heit nutzte er bis an die Grenze.“Nach Erscheinen des Buchs 2010 wird Küpper mit einer Erinnerung­splakette in Kalk und dem „Karl-Küpper-Platz“in der Innenstadt geehrt.

2019 dann fordert ausgerechn­et die AfD ein Karl-Küpper-Denkmal sowie einen ebenfalls nach ihm benannten Preis für die beste politische Rede. Die Begründung: Angeblich lebten wir einmal mehr in einer Zeit, „in der „politisch Andersdenk­ende zunehmend ausgegrenz­t werden und der politische Diskurs scheinbar nur noch eine Meinung kennt“. Küppers Sohn Gerhard nennt das „empörend“und „hinterhält­ig“. Sein Vater habe die Nazis „bis aufs Messer bekämpft“, die Scheinheil­igkeit der „faschistoi­den“AfD sei „abartig“, der Antrag ein „Schlag ins Gesicht meines Vaters“.

Zu Küppers 50. Todestag am heutige Dienstag nun tut sich manches: Die Kölner Karnevalis­ten vergeben einen Karl-Küpper-Preis für Zivilcoura­ge, der schäbige Platz wird umgestalte­t, sein Leben verfilmt. Und in Geschichts­büchern lernen Schüler bald anhand seines Beispiels, dass Widerstand zwar gefährlich, aber nicht unmöglich war.

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FOTOS: KARL KÜPPER Furchtlos: Selbst im Angesicht des NS-Terrors äußerte sich Küpper (hier bei einem Auftritt 1937) kritisch.
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1958 wurde Karl Küpper Wirt, 1960 verließ er die Bütt endgültig.

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