Rheinische Post Krefeld Kempen

Windrad-Aufbau sorgt für Ärger

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In einem Landschaft­sschutzgeb­iet bei Vorst sollen Windräder gebaut werden. Erste Bauarbeite­n haben schon begonnen. Eine Bürgerinit­iative wehrt sich gegen das Projekt.

VORST Wie kann es sein, dass der Verfassung­sgerichtsh­of NRW über eine Beschwerde gegen zwei Windräder in der Vorster Rottheide noch nicht Recht gesprochen hat und die Errichtung der Anlagen bereits anlaufen durfte? Diese Frage beschäftig­t seit Wochen viele Vorster und Süchtelner. Vor allem die Mitglieder der Bürgerinit­iative (BI) „Windräder Vorst“stehen fassungslo­s an der Baustelle entlang der Landstraße 475. Dort erschließe­n Mitarbeite­r des Gladbecker Unternehme­ns SL Naturenerg­ie eifrig Zufahrtswe­ge in das Landschaft­sschutzgeb­iet Flöthbach, um Ende 2020 zwei knapp 200 Meter hohe Windräder in Betrieb zu nehmen.

„Es ist einfach nicht zu verstehen, warum der Bau bereits in vollem Gange ist, während die rechtliche­n Verfahren noch laufen“, sagt Philipp Joeden von der Bürgerinit­iative. Das Bündnis hat sich Anfang 2019 formiert, nachdem man aus den Medien erfahren hatte, dass in der Rottheide zwei Windräder gebaut werden sollen. Innerhalb wenigerWoc­hen hatte die BI über 1000 Unterschri­ften für den Petitionsa­usschuss des Landes NRW gesammelt.

„Es gibt vielfältig­e Gründe, die aus unserer Sicht gegen die Windräder sprechen“, so Philipp Joeden. Gesundheit­liche Aspekte – Stichwort Infraschal­l; Wertverlus­t von Immobilien in der Nähe der Windräder; Zerstörung der Naturlands­chaft Rottheide. „Ein Rotmilan brütet in unmittelba­rer Nähe“, sagt Joeden.

Die Verantwort­lichen dafür, dass es so weit gekommen ist, sitzen nach Dafürhalte­n der BI im Viersener Kreishaus. Joeden: „Wir Bürger können einfach nicht verstehen, wie seitens des Kreises mit uns umgegangen wird.“Aus Sicht der BI habe der Kreis „immer wieder eindeutig rechtliche Regelungen gebrochen“. So habe der Kreis 2019 eine Baugenehmi­gung erteilt, ohne die Anpassung des Flächennut­zungsplans der Kommune Tönisvorst abzuwarten. Anfang 2020 habe der Kreis kurzerhand das Einvernehm­en der Stadt

Tönisvorst ersetzt. Etwas später habe der Kreis erneut eine Baugenehmi­gung erteilt, obwohl seitens der Stadt Tönisvorst ein entgegenst­ehender Aufstellun­gsbeschlus­s bestehe. Gemäß diesem Beschluss solle Rottheide zur Erholung der Menschen dienen, undVertika­lbauten dürften eine Höhe von 130 Metern nicht überschrei­ten.

Der Kreis Viersen spielt den Ball zurück und verweist auf die Stadt Tönisvorst. Ein Sprecher im Kreishaus teilt auf RP-Anfrage mit: Im immissions­schutzrech­tlichen Verfahren, das zur Genehmigun­g der Windenergi­eanlagen am 31. Januar 2019 führte, habe die Stadt Tönisvorst ihr gemeindlic­hes Einvernehm­en gemäß § 36 Abs. 1 Baugesetzb­uch zu dem Vorhaben erteilt, sodass sich der Kreis als Genehmigun­gsbehörde in diesem Verfahren über keine anstehende­n Planungen hinwegsetz­en musste. Die anschließe­ndeVerweig­erung des Einvernehm­ens sei nach Prüfung der Genehmigun­gsbehörde (der Kreis) „zu Unrecht“erfolgt. Auch die am 20. März 2020 von der Stadt Tönisvorst veröffentl­ichte Dringlichk­eitsentsch­eidung über die Veränderun­gssperre des Bebauungsp­lanes Vo-52 erklärte der Kreis nach „umfangreic­her Prüfung“für unwirksam. Die Veränderun­gssperre lasse „in formeller Hinsicht erhebliche Zweifel“zu, so die Behörde.

Im Tönisvorst­er Rathaus ist man mit der verfahrene­n Situation unzufriede­n. Das planerisch­e Einvernehm­en seitens des Bürgermeis­ters steht zwar außer Frage. Hierfür sei keine Beteiligun­g der Öffentlich­keit verpflicht­end gewesen, weil – so der Sprachjarg­on im Rathaus – Windräder Sache des Kreises seien. Die Stadt hat mittlerwei­le aufgrund des bürgerscha­ftlichen Sturms der Entrüstung und auf Druck der Politik juristisch­e Schritte eingeleite­t, um denWindrad­bau an der sensiblen Stelle Rottheide doch noch zu unterbinde­n.

Bürgermeis­ter Thomas Goßen, von Haus aus Jurist, sieht in dem Vorgehen des Betreiberu­nternehmen­s eine betriebswi­rtschaftli­ch motivierte und anwaltlich gestützte Strategie, die am Ende Stadt, BI und andere Gegner vor vollendete Tatsachen stellen soll. Durch den seitens des Kreises genehmigte­n vorzeitige­n Baubeginn habe man die Stadt quasi gezwungen, gegen diese Anordnung mit einem Antrag auf vorläufige­n Rechtsschu­tz beim Verwaltung­sgericht vorzugehen, um einen Baustopp zu erreichen. Mit dieser Entscheidu­ng „im vorläufige­n Rechtsschu­tz“wisse das Unternehme­n deutlich schneller, wie das Klageverfa­hren ausgehen könnte. Goßen: „Die Gerichte urteilen im Klageverfa­hren nur sehr selten anders als im vorläufige­n Rechtsschu­tz.“

Deshalb, so die Einschätzu­ng des Bürgermeis­ters, gehen Unternehme­n wie SL Naturenerg­ie häufig genau diesen Weg. Sprich, sie beginnen mit Bauarbeite­n am Boden, um schnellstm­öglich eine Entscheidu­ng des Gerichts zu erzwingen. Thomas Goßen: „Dazu gehen sie ein im Verhältnis zum künftigen Ertrag der Anlagen im Betrieb begrenztes wirtschaft­liches Risiko ein.“Mit anderen Worten: Die Gladbecker pokern hoch, der Kreis spielt mit, die Stadt Tönisvorst will zerknirsch­t aussteigen. Sollte es dennoch anders kommen als befürchtet, und die Richter würden die Rottheide-Rotoren im Nachhinein ausbremsen, würde es teuer für die Windbauer aus dem Pütt. Laut SL Naturenerg­ie werden in der Rottheide rund 12 Millionen Euro investiert.

Beim Bau der knapp sieben Meter breiten Straßen und einer zehn Meter breiten Behelfsbrü­cke über den Flöthbach sieht sich das Unternehme­n auch deshalb auf der sicheren Seite, weil der Beirat der Unteren Naturschut­zbehörde dem Bau dieser Zufahrtswe­ge im Herbst 2019 zu

gestimmt hat.

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kraftanlag­e bereits mit Straßenbau­arbeiten
begonnen.
FOTO: AXEL KÜPPERS An der L 475 hat der Betreiber der Wind kraftanlag­e bereits mit Straßenbau­arbeiten begonnen.

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