Rheinische Post Krefeld Kempen
„Autofahren muss weniger Spaß machen“
In der ersten großen Podiumsdiskussion zur Kommunalwahl trafen Vertreter von SPD, CDU, Grünen, FDP und Linke aufeinander. Die Debatte fand ohne Publikum statt und wurde per Livestream übertragen.
In Zeiten der Corona-Pandemie verändert sich der Kommunalwahlkampf. Darum haben sich am Dienstagabend Vertreter aller Ratsfraktionen in Krefeld in der Volkshochschule einer Diskussion ohne Publikum gestellt. Stattdessen wurde die Diskussion von Dembach Mediaworks gefilmt und über Youtube und Facebook als Live-Feed zur Verfügung gestellt. Die Beobachter konnten Fragen stellen, die im zweiten Teil der rund zweistündigen Veranstaltung den Politikern gestellt wurden. Die von den Redaktionsleitern von Rheinischer Post undWestdeutscher Zeitung, Jens Voss und Annette Ludwig, geleitete Debatte unter dem Titel „Polit-Talk in der VHS Krefeld“ist weiter auf der Plattform Youtube abrufbar.
Podiumsteilnehmer waren Benedikt Winzen (SPD), Jürgen Wettingfeld (CDU), Heidi Matthias (Grüne), Joachim C. Heitmann (FDP) und Stephan Hagemes (Linke). Ziel des Abends war es, nach einer von Corona-Nachrichten dominierten Phase die übrigen Angelegenheiten Krefelds und Positionen der Parteien dazu offenzulegen – was vielfach wünschenswert deutlich geschah. So ließ Matthias aufhorchen, als sie eine Umsetzung des Verkehrskonzeptes in Krefeld mit den Worten forderte:„Wir müssen Krefeld zu einer wirklichen Fahrradstadt machen und mehr Fahrradstraßen errichten. Ich sage es ganz offen: Das Autofahren darf einfach nicht mehr so viel Spaß machen.“Auch forderte sie einen konsequenten Ausbau erneuerbarer Energien und ein Ende der Flächenversiegelung durch Neubau- und Gewerbegebiete.
Dem hielten vor allemWettingfeld und Heitmann entgegen, dass neue Gewerbeflächen dringend benötigt würden, um Firmen in Krefeld anzusiedeln. Nur so könne die Stadt Armut und Arbeitslosigkeit und den Folgen der Corona-Krise begegnen. Heitmann dazu: „Wir werden nach Corona einen Kassensturz machen müssen. Ich gehe davon aus, dass wir uns von einigen Nice-to-have-Projekten wie neuem Verwaltungsgebäude und neuerVeranstaltungshalle verabschieden müssen.“
Die Förderung der Wirtschaft gehörte zu den größten Streitpunkten. Während Wettingfeld unter anderem das Unternehmen Primark als eine der Perlen des Krefelder Einzelhandels bezeichnete, nannte Hagemes dessen Ansiedlung einen Fehler. Hier werde unter anderem prekäre Beschäftigung gefördert, behauptete er. Hagemes sagte auch, die Probleme Krefelds würden mit einem „Kuschelkurs gegenüber dem Wirtschaftssystem“nicht gelöst werden können. Geld für bessere Sozialleistungen sei da.
Hitzig wurde die Debatte beim Thema Zusammenarbeit zwischen CDU und SPD. „Gestern ist ein Ruck durch die CDU gegangen“, sagte Wettingfeld mit Blick auf die Nicht-Wiederwahl von Stadtdirektorin Beate Zielke im Rat tags zuvor. Sie sei eine der fähigsten Mitarbeiterinnen der Stadtverwaltung, betonte Wettingfeld. Da nun eine linke Mehrheit aus SPD, Grünen und Linke dafür gesorgt habe, dass sie nicht in ihrer Position bestätigt worden sei, sei die Zusammenarbeit mit der SPD faktisch beendet. „Sie haben jetzt eine rot-rot-grüne Mehrheit und müssen sehen, wie Sie damit klarkommen und Verantwortung übernehmen“, sagte Wettingfeld an die Adresse von Winzen. Die Oberbürgermeisterwahl, die mit der Ratswahl im September stattfin
det, gab Wettingfeld keinesfalls verloren. „Was Kerstin Jensen nicht so liegt, sind Rhetorikkurse, um dann als oberster Rhetorikkasper durch die Lande zu ziehen.“Jensen ist die CDU-Kandidatin, die Rhetorik-Bemerkung war erkennbar auf den SPD-Amtsinhaber Frank Meyer gemünzt. Mit Blick darauf, dass die CDU eine Frau ins Rennen schickt, sagte Wettingfeld (wobei er die Grüne Matthias anschaute): „Emanzipation findet als erstes bei der CDU statt“; die CDU habe die erste Bundeskanzlerin gestellt und stelle nun die erste OB-Kandidatin von Krefeld.
Winzen betonte, die SPD sei weiter an einer konstruktiven Zusammenarbeit auch mit der CDU interessiert. Über das Politik- und Personenangebot der SPD sagte er: „Wir wollen mit Themen überzeugen, und ich bin überzeugt, dass wir mit Frank Meyer das beste Angebot stellen.“Mit Blick auf den CDU-Mann sagte er auch, seine Partei werde sach- und projektbezogene Mehrheiten für ihre Themen suchen.
Thematisiert wurde auch die Innenstadt und die Situation auf dem
Theaterplatz. Praktisch alle Vertreter forderten, die Stadt müsse aktiver in die Innenstadtentwicklung eingreifen und Immobilien erwerben und entwickeln. Der Drogenszene am Theaterplatz wollen speziell Hagemes und Winzen mit einem Drogenkonsumraum begegnen. „Das haben wir schon vor Jahren vorgeschlagen“, betonte der Linke-Politiker. Die aktuelle Verdrängung der Drogenszene vom Theaterplatz an andere Orte sei dabei nicht dem Konzept Helfen und Handeln geschuldet. „Die Verlagerung eine Folge der konsequenten Umsetzung der Kontaktverbote im Zuge der Corona-Pandemie“, sagte er. Insgesamt müsse die fragliche Bevölkerungsgruppe wie jeder andere Regeln befolgen, bedürfe jedoch auch größerer Hilfen.
Als Projekt der nahen Zukunft räumten Matthias und Winzen dem Erhalt des Stadtbades Neusser Straße hohe Bedeutung zu. Die Grünen-Politikerin führte aus, dass hier ein Gründerzentrum, nachhaltige Gastronomie, Wohnraum und Aufenthaltsqualität im Südbezirk geschaffen werden könne. Wettingfeld hofft, dass der Innenstadt die großen Handelsanker Kaufhof, C&A und Primark erhalten bleiben. Heitmann wünschte sich, dass das„grüne Bauhaus“zur Marke von Krefeld werde: Demnach sollten Neubaugebiete generell über Wettbewerbe so gestaltet werden, dass Ökologie und Bauhausästhetik zur Geltung kämen und die Bauhaustradition Krefelds einen modernen Ausdruck fände.
Die im zweiten Teil gestellten Fragen der Zuschauer wurden vor allem von den Themen der Jugend rund um Fridays for Future bestimmt. So wurde nach Parkverboten auf Bürgersteigen gefragt, um Fahrradspuren zu ermöglichen. Benedikt Winzen betonte die Gleichberechtigten aller Verkehrsteilnehmer. „Wir wollen keinen Vorrang für das Auto“, sagte er. „Wir müssen die Anreize für andere Verkehrsteilnehmer erhöhen“, forderte er. Heidi Matthias betonte, Parkverbote müsse es geben. „Gerne Parkverbot, um den Radverkehr zu begünstigen. Wir sind noch lange nicht an dem Punkt, an dem alle Verkehrsteilnehmer gleichberechtigt sind“, befand sie. Auf Nachfrage zeigten sich überdies alle Fraktionen offen für einen massiven Ausbau des Radwegenetzes in den kommenden Jahren. Auch der Ausbau des Rings zur Entlastung der Innenstadt wurde von allen begrüßt.