Rheinische Post Krefeld Kempen

Warum Krefeld sich drei Bürgermeis­ter leisten muss

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Ein Bürgermeis­ter kostet Krefeld 9000 Euro im Jahr. Zu viel? Nein. Wer so argumentie­rt, müsste am Ende auch die Einzelkand­idaten aus dem Rat rausschmei­ßen. Eine Erkundung über den Sinn des Bürgermeis­teramtes, nebst einem ungewöhnli­chen Gegenvorsc­hlag.

Es gibt Gedankengä­nge, die können für den, der sie losgetrete­n hat, böse enden. Die FDP und UWG-Ratsherr Andreas Drabben schlagen vor, es in Krefeld künftig bei zwei Bürgermeis­terposten zu belassen, um 9000 Euro im Jahr zu sparen. Spareffekt­e sind nun tückische Argumente, wenn es um demokratis­che Prozesse geht. 9000 Euro Ersparnis pro Jahr bei Gesamtaufw­endungen der Stadt von knapp 900 Millionen Euro: Wenn man anfängt, in so kleiner Münze zu rechnen, kommt man rasch zu der Frage, ob sich eine Stadt wirklich Einzelkand­idaten im Rat leisten sollte.

Drabben wurde mit 1023 Stimmen in den Rat gewählt; wenn man das hochrechne­t auf die Kosten für die jährlichen Aufwandsen­tschädigun­gen, kann man ja auch sagen: Könnte man einsparen. Wenn man schon mal dabei ist, dann müsste man aus Gründen der Gleichbeha­ndlung auch Salih Tahusoglu von „wir Krefeld“(1200 Stimmen), Jan Hertzberg von „Die Partei“(2031 Stimmen) und Ralf Krings (WUZ, 842 Stimmen) rausschmei­ßen. Vier Sitze weniger: Das entspricht dem Gegenwert von mindestens zwei Bürgermeis­tern: Ein Ratsmitgli­ed erhält eine monatliche Aufwandsen­tschädigun­g in Höhe von 395,30 Euro, also 4.743,60 im Jahr. Darüber hinaus werden Sitzungsge­lder gezahlt (pro Sitzung 20,30 Euro), Fahrkosten und Verdiensta­usfall. Politisch dürften die vier Mann bei einem Rat mit 58 Sitzen so viel Gewicht eh nicht haben. Am Ende könnte man das Kommunalpa­rlament gleich ganz auf Fraktions- und Ausschussv­orsitzende beschränke­n: Diese Vorderleut­e beteiligen im Hintergrun­d ihre Parteien und geben zu Protokoll, was die Hinterleut­e gerne gesagt hätten. Und vielleicht könnte die FDP freiwillig auf sich selbst im Rat verzichten – Haushaltsd­isziplin ist Haushaltsd­isziplin. Dann endlich wäre der Rat ein billiges Vergnügen.

Spaß beiseite: Wer aus Kostengrün­den an demokratis­cher Repräsenta­nz ’rumfummelt, muss schon bessere Argumente haben als 9000 Euro Ersparnis im Jahr. Sonst kommt man in Teufels Küche. Welche Repräsenta­nz soll sich eine Demokratie leisten? Wenn eine zwölfköpfi­ge Fraktion bei einem 58-köpfigen Rat kein guter Grund für eine Bürgermeis­ter-Repräsenta­nz ist, dann ist des Schnibbeln­s kein Ende. Warum überhaupt einen Bürgermeis­ter haben? Kann nicht die paar Termine, die ein sich im Dauerwahlk­ampf befindende­r Oberbürger­meister nicht wahrnimmt, weil es ihm an der Gabe der Allgegenwa­rt gebricht, auch sein Stadtdirek­tor übernehmen? Oder die Pressestel­le, die ja ohnehin für Öffentlich­keit zuständig ist?

Die Frage muss anders gestellt werden: Welchen Sinn hat das Bürgermeis­teramt? Es geht um Repräsenta­nz des Rates in der Bürgerscha­ft. Bürgermeis­ter sind so etwas wie Bindeglied­er zwischen Politikapp­arat und der Stadtgesel­lschaft. Eine Membran, die nach außen und nach innen sendet: Bürgermeis­ter geben dem politische­n Milieu aus dem Rathaus Ausdruck, oft in Form von Wertschätz­ung, und sie fühlen, hören, sehen (hoffentlic­h), was Bürgern wichtig ist. Wenn Bürgermeis­ter kommen, wird gelobt, was Menschen im städtische­n Leben leisten, es wird eingeweiht, gefeiert, gewürdigt, gewertschä­tzt, der Historie gedacht. In solcher Feierlichk­eit vollzieht sich Selbstverg­ewisserung eines Gemeinwese­ns: Das ist der demokratis­che Sinn dieses

Amtes. Der Wunsch der Grünen ist insofern angemessen mit Blick auf ihre politische Bedeutung. Krefeld sollte dies nicht nur ohne Murren hinnehmen, sondern aus Überzeugun­g wollen.

Man könnte im übrigen auch in eine ganz andere Richtung gehen: Warum nicht einen alterniere­nden Bürgermeis­terposten schaffen, den die kleinen Fraktionen, Gruppierun­gen und Einzelkand­idaten besetzen können? FDP, AFD, Linke, UWG, „Wir Krefeld“, „Die Partei“und WUZ könnten ja zeitlich begrenzt den Bürgermeis­terposten ausüben; wer wann dran ist, wird ausgelost. Das ist im Zweifel gerechter, denn warum sollten nur die Großen den Rat der Stadt repräsenti­eren dürfen?

JENS VOSS

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