Rheinische Post Krefeld Kempen
„Kai-Uwe kann auch Kanake sein“
Germania“, das sich in 15 Gespräche unterteilt, bringt den Leser nahe an die Sprache, die Kultur, die teils komplizierten Biografien der Rapper heran. Wenn Kool Savas erzählt, wie ihn die Abwesenheit und der unrechtmäßige Gefängnisaufenthalt seines linkspolitisch engagierten Vaters in der Türkei mit seiner Mutter zusammengeschweißt hat, ist das ein seltener Einblick.
In der Story, wie der bosnischstämmige Rapper Celo als Grundschüler in den katholischen Religionsunterricht gesetzt wurde – „so wird das eben gemacht in Deutschland“–, kann man eine Lektion über vorauseilenden Gehorsam einer Elterngeneration sehen, die es sich nicht leisten kann, dass man ihre Kinder als undeutsch wahrnimmt. Es geht um Parallelgesellschaften und Miteinander: „Wir sind Kanaken in Deutschland“, sagt Celo, und als ein paar hupende Autos vorbeifahren: „Das ist auch Deutschland. Kanaken in deutschen Autos, die laut sind und sich gerne präsentieren.“Der marokkanischstämmige Abdi nutzt dasWort milieubezogen:„Auch Kai-Uwe kann Kanake sein.“
Tragende Themen sind natürlich Rassismus und Ausländerfeindlichkeit in all ihren Farben, das Fremdsein in der großenWelt da draußen und das Zuhausefühlen in der kleinen Welt des Hip-Hops. Die Abschnitte, in denen Sternburg harte Hunde wie Capital Bra, die Rapperinnen Hatice Schmidt, Dr. Bitch Ray und all die anderen einfach reden lässt, haben eine unmittelbare Wirkung. Sie öffnen eine Tür einen Spalt, von der man vorher vielleicht nicht einmal wusste.
Manuellsen beispielsweise, der schwarze, boxende Hüne aus Mülheim an der Ruhr, erzählt während seines Trainings, wie die Eltern seiner Mitschüler einmal Unterschriften gesammelt haben, damit ihre Kinder nicht mit einem Schwarzen auf Klassenfahrt gehen müssen. Er lässt Revue passieren, wie ein Busfahrer seine Mutter und ihn im Kinderwagen einmal an der Haltestelle stehenließ, mit den Worten: „Mit einem schwarzen Kind kommen Sie nicht in den Bus.“Es sind winzige Erzählungen über gigantisches Unrecht, kleine Selbtsverständlichkeiten des Alltags, die Wut erzeugen – die sich nicht immer nur nach innen richtet: „Wenn ich heute so darüber nachdenke, dann sollen die Leute sich auch nicht wundern, wenn ich das Bedürfnis verspüre, Macheten in die Köpfe derer zu hauen, die was gegen meine Hautfarbe sagen“, sagt Manuellsen:„Das ist dann halt das Resultat davon.“Ist das jetzt noch die Figur des Rappers, oder schon der Mensch, der da spricht? Das fragt man sich nicht nur an dieser Stelle, und dieser Zweifel ist offenbar von den Künstlern und vom Autor gewünscht.
An anderer Stelle schöpft Sternburg aus seinen eigenen Beobachtungen, die er zwischen die Schilderungen seiner Gesprächspartner stellt: „Wenn die Eltern mit dem Kind zu Hause nur französisch oder norwegisch reden, staunen die Deutschen.Wie kultiviert und weltmännisch. Bei Sprachen wie Türkisch oder etwa Persisch ändert sich der Blick ganz schnell.“Für seine Interviewpartner hat der Journalist Verständnis und Mitgefühl, das nahtlos in Sympathie übergeht. Doch gerade durch diesen Akkord aus Zitat, Autorenbericht und Rechtfertigung, den das Buch immer wieder spielt, bleibt auch viel stehen von den fiktiven Figuren der Songtexte, den Pappwänden des Gangsterlebens und dem angeblichen Respekt, den Gewalt, Geld und ein mafiöses Dasein mit sich bringen. „Die Kunstfigur ist ein heiliges Gut im Rap, ein omnipräsenter Schutzschild gegen die teils gerechtfertigte und teils unfaire Kritik von außen,“schreibt Sternburg. Man fragt sich trotzdem, wovor sich ein Kool Savas eigentlich schützen will, wenn er sich nach 21 Jahren noch immer nicht von sexistischen, frauenverachtenden Texten distanzieren will. Trotz der guten Szenenbeschreibungen und teils aufschlussreichen Einschüben des Autors muss sich Sternburg vorwerfen lassen, seinen Idolen etwas zu nahe zu stehen für das, was er da vorhat.
Das wird besonders zum Ende hin deutlich. Das Kapitel mit Kool Savas wäre ein