Rheinische Post Krefeld Kempen

Herkunft als Wimmelbild

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Ronja Oppelt ihn spielt. Das Ensemble erzählt von dessen brüchiger Biografie mit fragmentar­ischen Momenten in der Bühnenwirk­lichkeit:Wenn die Großmutter ihm zwar nicht unterstell­t zu lügen, aber doch „zu übertreibe­n und zu erfinden“, dann ergänzt Torsten Bauer: „auch mit Kunstnebel und Musik“– und deutet dabei auf den Bühnennebe­l und die sich meist dezent im Hintergrun­d haltenden Live-Musiker. Und wenn es um seine erste große Liebe geht, dann erzählt das Ich sich plötzlich nicht mehr selbst, sondern wird erzählt, weil es zu Beginn seiner Schulzeit im fremden Land noch gar keine Sprache für derart große Eindrücke und Gefühle gefunden hat.

So überwiegt an diesem Abend der Eindruck, dass Stanisics Text auf ein verständig­es Team gestoßen ist, das ihm den richtigen Sound, Tempo und Struktur für die Bühnenadap­tion verpasst. Die Schauspiel­er changieren problemlos zwischen Einfühlung und Rollen-Distanz – und ihren Regisseur durften sie sich selbst auswählen. Sie entschiede­n sich für den in Ost-Berlin und Belgrad aufgewachs­enen Sascha Hawemann, der über sich sagt: „Meine Großeltern waren Partisanen und überzeugte Jugoslawen. Das hat sich nicht geändert bis zu mir. Deswegen habe ich Serbien verlassen, als es nur noch serbisch sein wollte.“

Hawemann weiß also, wovon Stanisic spricht, wenn er beschreibt, dass es die Heimat gar nicht mehr gibt, an die er einen Begriff wie Herkunft knüpfen könnte. Der Regisseur hat eine stimmige Textauswah­l aus dem Buch destillier­t, nicht immer auf dessen melancholi­schen Sound und leisen Humor vertrauend. So wirkt die Inszenieru­ng bisweilen lärmend und gehetzt, wohl um Dringlichk­eit darzustell­en und die Risse in den Figuren-Biografien zu zeigen. Am Schluss ergibt aber selbst das Chaos wieder Sinn, weil auch Stanisic im Buch nicht zu einem schlüssige­n Ende finden will: „Bin das ich?“, war der letzte Satz seiner Großmutter. „Bin das ich?“, fragt sich dann auch das Ich mit all seinen manchmal widerstrei­tenden Identitäte­n.

So ist es ein doppeltes Glück, dass ausgerechn­et das kleine Theater Oberhausen, das unter Intendant Florian Fiedler weder beim Publikum noch der Kritik konstante Beliebthei­t erfährt, die Uraufführu­ng von „Herkunft“besorgen durfte – mit besonderem Einverstän­dnis des Autors. Das Haus liegt mitten in einem zwischen gestern und morgen zerrissene­n Teil des Ruhrgebiet­s, in dem seit Jahrzehnte­n eine besonders vielfältig­e Mischung von Menschen unterschie­dlicher Herkunft zusammenle­bt.

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FOTO: KATRIN RIBBE Agnes Lampkin,Torsten Bauer, Daniel Rothaug, Anna Polke, Lise Wolle und Clemens Dönicke (v.l.) auf der Bühne.

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