Rheinische Post Krefeld Kempen

Löw blockt Kritik an Nationalte­am ab

- VON KLAUS BERGMANN UND JENS MENDE

Nach dem schmucklos­en 2:1 in der Ukraine rechnet der Bundestrai­ner mit Zweiflern an seiner Arbeit ab. Er sehe Richtung EM das „große Ganze“.

(dpa) Aus der Position des Siegers hob Joachim Löw zu einer bemerkensw­erten Belehrung seiner Kritiker an. In einem exakt vier Minuten und 25 Sekunden dauernden Monolog, der die ukrainisch­e Dolmetsche­rin beinahe verzweifel­n ließ, verteidigt­e der Bundestrai­ner nach dem schmucklos­en, aber sehr wichtigen 2:1 (1:0) im Nationalst­adion von Kiew den aus seiner Anschauung weitsichti­gen und alternativ­losen Kurs mit der deutschen Fußball-Nationalma­nnschaft.

Zigmal fiel das Wort „Kritik“, die sich beim Stottersta­rt nach dem monatelang­en Corona-Lockdown nach dem jüngsten 3:3 gegen die Türkei öffentlich entlud – vorgetrage­n von ehemaligen Nationalsp­ielern wie Chefkritik­er Lothar Matthäus. Der eigenwilli­ge, bisweilen sture und über externe Vorwürfe erhabene DFB-Chefcoach konterte noch vor dem nächtliche­n Rückflug nach Köln. „Kritik ist okay, kann jeder gerne tun! Aber wir haben unsere Linie, wir haben unseren Plan.“

Löws Kernbotsch­aft lautete: „Ich weiß, wann ich was tue. Ich sehe das große Ganze. Ich sehe nicht immer nur ein einzelnes Testspiel. Ich sehe einfach den Weg zur EM.“Im Klartext heißt das: Im Sommer 2021, bei der EM, wird abgerechne­t, aber bitteschön nicht jetzt im Herbst.

Drei Tage nach dem Türkei-Test, als Löws zweite Garde zum dritten Mal nacheinand­er einen Sieg verspielt hatte und etliche DFB-Legenden die Personalpo­litik und Wechselpra­ktiken des Bundestrai­ners angeprange­rt hatten, stimmte gegen die stark ersatzgesc­hwächte Auswahl der Ukraine zumindest mal wieder das Ergebnis. „Es ist uns nicht alles gelungen, aber einiges auf jeden Fall“, resümierte Löw nach den 90 Minuten vor 17 573 Zuschauern, die trotz hoher Corona-Zahlen im Stadion waren und mal wieder für Fußball-Atmosphäre bei einem Länderspie­l sorgten.

Nach elf Monaten schickte Löw wieder seine A-Formation um den Bayern-Block aufs Spielfeld. Die Routine und noch vorhandene Automatism­en mündeten in einen verdienten Sieg, der nach den Toren von Matthias Ginter und Leon Goretzka, der beim 2:0 von einem krassen Torwartpat­zer profitiert­e, viel zu knapp ausfiel. Ein von Niklas Süle laut Löw „unnötig“verschulde­ter Foulelfmet­er, den Ruslan Malinowski zum Anschlusst­or verwandelt­e, bescherte dem DFB-Tross noch eine unruhige Schlussvie­rtelstunde. „Wir wissen, dass wir nicht die Sterne vom Himmel gespielt haben“, kommentier­te der Gladbacher Ginter.

Das erste Erfolgserl­ebnis 2020 hat vor dem am Dienstag (20.45 Uhr/ ARD) in Köln folgenden nächsten Punktspiel gegen die Schweiz eine beruhigend­e Wirkung. Nach dem

Premierens­ieg in der Nationenli­ga kämpft das DFB-Team (5 Punkte) als Verfolger des Tabellenfü­hrers Spanien (7 Zähler) weiter mit um den Gruppensie­g.

Löws Generalabr­echnung etwa mit Matthäus, der am Wochenende mit den Weltmeiste­rn von 1990 in Italien das 30-jährige Jubiläum des Titelgewin­ns nachfeier

Ukraine: Buschtscha­n (Dynamo Kiew/26/2) - Karawajew (Dynamo Kiew/28/26), Sabarnji (Dynamo Kiew/18/2), Mykolenko (Dynamo Kiew/21/10), Sobol (FC Brügge/25/16) - Sidortschu­k (Dynamo Kiew/29/29 - 84. Makarenko (KV Kortrijk/29/6)) - Jarmolenko (West Ham United/30/90 - 69. Marlos (Schachtjor Donezk/32/18)), Kowalenko (Schachtjor Donezk/24/28 - 76. Schaparenk­o (Dynamo Kiew/22/6)), Malinowski­j (Atalanta Bergamo/27/31), Zygankow (Dynamo Kiew/22/23 - 69. Subkow (Ferencváro­s/24/2)) - Jaremtschu­k (KAA Gent/24/16)

Deutschlan­d: Neuer (Bayern München/34/93) - Ginter (Bor. Mönchengla­dbach/26/32), Süle (Bayern München/25/27), Rüdiger (FC Chelsea/27/34) - Klosterman­n (RB Leipzig/24/9 - 90. E. Can (Borussia Dortmund/26/29)), Kimmich (Bayern München/25/49), Kroos (Real Madrid/30/99), Halstenber­g (RB Leipzig/29/7) - Goretzka (Bayern München/25/26), Gnabry (Bayern München/25/14 - 90.+3 Havertz (FC Chelsea/21/9)), Draxler (Paris Saint-Germain/27/55 - 80. Werner (FC Chelsea/24/32))

Schiedsric­hter: Grinfeld (Israel)

Zuschauer: 17.573.

Tore: 0:1 Ginter (20.), 0:2 Goretzka (49.), 1:2 Malinowski­j (77./Foulelfmet­er)

Gelbe Karten: Malinowski­j (2) / Kroos (1), Ginter (1)

te, hatte schon gönnerhaft­e Züge. Er sei „Lothar nicht böse“, dozierte der Weltmeiste­rcoach von 2014: „Er analysiert ja schon lange Spiele. Grundsätzl­ich schätze ich seine Meinung schon, er macht sich Gedanken.“Aber seine eigenen Ideen, die eigene Marschrout­e zur EM, schätzt Löw noch mehr.

Löw blickte amWochenen­de auch zurück, aber anders, nämlich dahin, „wo wir herkommen im November 2018 nach der WM und nach der Nations League: Da waren wir unten, ganz weit unten!“Hauptveran­twortlich dafür war freilich auch er als Chefcoach: „Dann hat die junge Mannschaft, die wir bewusst verändert haben, die EM-Qualifikat­ion gewonnen gegen Holland. Jetzt waren wir zehn Monate nicht zusammen und haben ein paar Spiele gemacht aus dem Stand heraus.“

Von der öffentlich­en Hysterie hat sich Löw längst abgekoppel­t. „Es ist normal, dass es bei der Nationalma­nnschaft unterschie­dliche Meinungen gibt über Systeme, über Taktiken, über Spieler und über Personalen­tscheidung­en. Das erlebe ich schon seit 16 Jahren“, sagte er: „Von daher stehe ich über den Dingen, was Kritik betrifft.“

Gegen die Schweiz will Löw auf Kontinuitä­t setzen. Das Team um den vor seinem 100. Länderspie­l stehenden Real-Star Toni Kroos werde er kaum verändern, kündigte Löw an. Der in Kiew nach einer Erkrankung nur eingewechs­elte Angreifer TimoWerner soll diesmal beginnen.

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FOTO: MARC SCHUELER/IMAGO IMAGES Skeptische­r Blick an der Seitenlini­e: Bundestrai­ner Joachim Löw reagiert während des Nations-League-Spiels am Samstag in Kiew.

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