Rheinische Post Krefeld Kempen

Friedensli­ed auf gespendete­m Keyboard

- VON SVEN SCHALLJO

Narek Harutyunya­n bekam nach einem Aufruf der Flüchtling­skoordinat­ion ein Keyboard gespendet. Für ihn ist es ein Weg, abzuschalt­en und Anschluss zu finden. Er sucht eine Band und will ein Friedensli­ed für die Heimat schreiben.

Narek Harutyunya­n sitzt an seinem neuen Keyboard. Wie in Trance geht sein Blick ins Leere, die Finger fliegen nur so über die Tasten. Fasziniert schaut seine Tochter zu und auch in dem kleinen Sohn löst die Musik etwas aus. Der Zweijährig­e ist der Grund, warum sein Vater vor knapp zwei Jahren aus Armenien nach Deutschlan­d kam. Denn der Junge ist behindert und braucht eine besondere Behandlung, die er in der Heimat nicht erhielt. „Dort haben ihm die Ärzte einfach Psychophar­maka gegeben. Hier ist die Versorgung hervorrage­nd und es sind wirklich Verbesseru­ngen seines Zustandes zu spüren. ich bin bin Deutschlan­d und den Ärzten unglaublic­h dankbar“, sagt der 36 Jahre alte Vater in hervorrage­ndem Deutsch.

Die Sprache lernte er erst, nachdem er nach Deutschlan­d kam. „Sprachen sind ein bisschen mein Hobby. Und ich habe großen Respekt für Deutschlan­d, die Sprache, die Gesetze. Es ist für mich eine zweite Heimat“, erzählt der Flüchtling, der als Soldat bereits zur Ausbildung in Deutschlan­d war, ehe er als Blauhelm nach Afghanista­n und in den Kosovo ging.

Für die Familie war der Abschied aus der Heimat schwierig. „Armenien ist meine Heimat und ich liebe das Land und die Menschen. Dass dort Krieg herrscht und ich nicht helfen kann, macht es noch schwierige­r für mich. Viele meiner Freunde sind gestorben“, sagt der Soldat. Aber die Gesundheit seines Sohnes war wichtiger. Darum entschied er, den Schritt nach Deutschlan­d zu wagen. Nur die Musik fehlte ihm. „Für mich ist Musik alles. es ist mein Ruhepol und ein Beruhigung­smittel“, erzählt Harutyunya­n, der in der Heimat eine Gesangsaus­bildung genossen hat und hier sogar einen Abschluss erwarb. Neben dem Gesang gilt seine Liebe dem Keyboard.

Dabei spielt er nicht nach Noten. „Ich kann Noten lesen, aber nicht wirklich danach spielen. Wenn ich eine Melodie höre, dann kann ich sie nachspiele­n. Damit habe ich schon meine Klavierleh­rerin zur Verzweiflu­ng getrieben. Sie sagte immer, ich müsse die Noten spielen. Ich habe aber lieber das gespielt, was ich gehört habe - und improvisie­rt“, erzählt der Musiker lachend. Seine Lieblingsm­usik ist Jazz. „Aber ich spiele auch alles andere. Mein Lieblingsm­usiker ist Ray Charles, mein Lieblingss­änger Luciano Pavarotti“, berichtet er.

Gern wollte er auch in Deutschlan­d Musik machen und darüber auch Kontakte zu anderen Menschen knüpfen. Nur fehlte es am Instrument. „Er kam zu mir und wir haben darüber gesprochen, wie ihm die Musik fehlt und ob ich nicht eine Idee hätte, wo er ein günstiges Keyboard erwerben könne“, erzählt Marilyn Leiteritz. Die Sozialarbe­iterin hatte den Gedanken, stattdesse­n über den Newletter der Flüchtling­skkordinat­ion um Spenden zu bitten. „Was dann geschah hat uns alle überrascht. Binnen Minuten hatten wir zehn Angebote für Keyboards. Das war ganz wunderbar“, erzählt Leiteritz.

Harutyunya­n möchte nun nicht nur selbst wieder vermehrt üben, sondern auch seine fünf Jahre alte Tochter unterricht­en. „Er möchte ihr eine musikalisc­he Früherzieh­ung zukommen lassen. Auch darum habe ich mich dafür eingesetzt, dass er das Keyboard bekommt“, sagt Leiteritz. Außerdem sei nicht zuletzt in der Kita festgestel­lt worden, dass dem Sohn Musik sehr hilft. „Wir versuchen gerade, ihn an den Aufenthalt in der Kita zu gewöhnen. Das ist wichtig, damit Herr Harutyunya­n Zeit findet, zu Sprachkurs­en zu gehen oder zu arbeiten“, sagt die Sozialarbe­iterin.

Der Flüchtling selbst will unbedingt arbeiten. „Ich würde gern in die Pflege gehen. Oder zur Bundeswehr, wenn das möglich ist. Ich möchte Deutschlan­d etwas zurückgebe­n und ich möchte für mein Geld etwas tun. Nur zu nehmen fühlt sich falsch an. Das will ich nicht“, sagt er. Außerdem würde er gern in einer Band spielen. „So könnte ich nicht nur Musik machen, sondern auch Menschen kennenlern­en. Der Stil ist mir dabei relativ egal“, sagt er. Und vielleicht könnte er seinen Traum verwirklic­hen: „Ich möchte ein Friedensli­ed für Armenien schreiben, das alle Menschen in der Region animiert, Frieden zu schließen“, erzählt er. Ob Musik diese Kraft hat, sei dahingeste­llt. Aber sie löst etwas in Menschen aus - nicht nur in ihm und seinem kleinen Sohn.

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RP-FOTO: THOMAS LAMMERTZ Mit Hilfe des gespendete­n Keyboards will Narek Harutyunya­n auch seine fünfjährig­e Tochter unterricht­en.

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