Rheinische Post Krefeld Kempen
Tarifabschluss kostet NRW eine Milliarde
Das Verhandlungsergebnis bedeutet etwa für eine Schwester in der Intensivpflege 175 Euro mehr im Monat. Streit gibt es über die Corona-Zulage für alle. Im Nahverkehr drohen zudem neue Streiks, hier wird am Freitag verhandelt.
Die Erleichterung nach der Tarifeinigung im öffentlichen Dienst vom Wochenende ist auf allen Seiten groß. Keine neuen Streiks, zumindest in den Bereichen jenseits von Bussen und Bahnen. Mehr Geld, vor allem für die Corona-Helden. Wie aber sieht es genau aus?
Bewertung „Der Tarifabschluss ist ein guter Kompromiss“, sagt Christoph Schröder, Tarifexperte des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW). „Die Gewerkschaften können als Erfolg verbuchen, dass es hohe Lohnsteigerungen für die unteren Entgeltgruppen und hohe Einmalzahlungen für die Pflege gibt.“Zudem seien sie bei der Angleichung der Arbeitszeit im Osten vorangekommen. Auf der anderen Seite hätten die Arbeitgeber erreicht, dass die tabellenwirksame (also dauerhafte) Lohnsteigerung moderat ausfällt. „Sie entspricht nur dem Inflationsausgleich. Das sorgt dafür, dass die Kosten nicht ins Uferlose steigen“, so Schröder.
Was bedeutet das für die Corona-Helden?
Die Löhne für die 2,3 Millionen Beschäftigten von Kommunen und Bund steigen zum April 2021 um 1,4 Prozent und zum April 2022 um 1,8 Prozent. Was das bedeutet, hängt von Beruf und Alter ab. Eine 50 Jahre alte Intensivpflegerin (oder ein Intensivpfleger) am städtischen Krankenhaus verdient derzeit mit Intensiv- und Wechselschichtzulage 4000,64 Euro brutto im Monat, wie der Deutsche Beamtenbund vorrechnet. Ab 1. März 2021 werden es 4174,62 Euro sein. Dann geht es in drei weiteren Schritten bis April 2022 auf 4348,77 Euro herauf. Bei einer 43 Jahre alten Altenpflegerin erhöht sich das Gehalt im ersten Schritt von 3374,54 Euro auf 3519,54 Euro. Bis April 2022 werden es 3679,29 Euro sein. Der Marburger Bund kritisiert, dass es für die überlasteten Ärzte in den Gesundheitsämtern keine wesentliche Verbesserung gebe. Für Gutverdiener im öffentlichen Dienst fällt das Lohnplus wie in früheren Jahren unterdurchschnittlich aus.
Wie sieht es bei einem Mitarbeiter der Müllabfuhr aus?
Aktuell verdient ein 27 Jahre alter Mitarbeiter der Müllabfuhr, der keine Lehre abgeschlossen hat, 2782,88 Euro im Monat brutto. Sein Gehalt steigt nun um 50 Euro auf 2832,88 Euro.
Wie sieht die Corona-Sonderzahlung aus?
Die Verhandlungspartner wollten den abendlichen Beifall vom Frühjahr in Geld umsetzen. Sie haben eine Einmalzahlung für Dezember 2020 vereinbart, die frei ist von Steuer- und Sozialabgaben. In den unteren Entgeltgruppen fällt die Zulage höher aus als in den besser bezahlten Gruppen. Die 50-jährige Intensivpflegerin etwa erhält laut Beamtenbund im Dezember einmalig 400 Euro extra, die Altenpflegerin bekommt 600 Euro. Erstaunlicherweise bekommen auch Angestellte diese Sonderzahlung, die in ihrer Arbeit gar nicht von der Pandemie betroffen sind, womöglich wegen des Lockdowns der Ämter sogar weniger arbeiten mussten. So bekommt auch der 60 Jahre alte Ingenieur im kommunalen Bauamt eine Corona-Prämie von 300 Euro. Sein Monatslohn steigt von aktuell 5899,26 Euro auf 5981,85 Euro. „Überraschend ist, dass die Corona-Sonderzahlungen für alle Bereiche gleich hoch sind – auch wenn Mitarbeiter in manchen städtischen Ämtern in ihrer Arbeit von der Corona-Krise gar nicht betroffen sind“, sagt IW-Experte Christoph Schröder. Es wäre besser gewesen, stattdessen die Corona-Helden mit höheren Einmalzahlungen zu bedenken.“
Was kostet die Kommunen der Abschluss?
Bundesweit kommen auf die Kommunen Mehrausgaben von 4,9 Milliarden Euro zu, für den Bund sind es 1,2 Milliarden Euro. Allein die Kommunen in Nordrhein-Westfalen müssen nun rund eine Milliarde Euro zusätzlich schultern. Das stelle viele vor große Herausforderungen, sagte Helmut Dedy, Chef des Städtetages NRW. „Für die zahlreichen finanzschwachen Städte in NRW mit strukturellen Haushaltsproblemen, hohen Sozialausgaben und hohen Defiziten sind die zusätzlichen Ausgaben schwerer zu verkraften.“Dennoch sei der Abschluss „ein vertretbarer Kompromiss“.
Was bedeutet dies für Bund und Länder?
Der Bund war Verhandlungspartner und will den Abschluss für die Bundesbeamten übernehmen. Auf ihn kommen Mehrkosten von 1,2 Milliarden Euro zu. Die Länder saßen in Potsdam nicht mit am Tisch, sie führen später eigene Verhandlungen. Dabei zerstreiten sie sich: Nach Hessen soll nun auch Berlin die Tarifgemeinschaft der Länder (TdL) verlassen. Die TdL hat sich am Montag auf den Ausschluss Berlins verständigt. Hintergrund ist der Streit um die Hauptstadtzulage in Höhe von 150 Euro, die ab nächstem Monat sämtliche kommunale Beamte und Angestellte bis einschließlich zu den Entgeltgruppen A13/E13 monatlich erhalten sollen. Die TdL wertet dies als
Verstoß gegen ihre einheitlichen Tarifregeln.
Sind die Streiks nun vorbei?
Nein. Bei Bussen und Bahnen sind weiter Arbeitsniederlegungen möglich. Denn sie verhandeln unabhängig von der Runde in Potsdam. Die Gewerkschaften fordern einen bundesweiten Rahmentarifvertrag, in dem etwa Urlaubstage und Überstundenausgleich einheitlich geregelt sind. Schon am Montag bestreikte die Gewerkschaft Verdi viele Städte in Bayern, darunter München und Nürnberg. Auch in NRW sind weitere Bahnstreiks möglich. Denn am Freitag kommen die Verhandlungspartner wieder zusammen. In den Kitas, städtischen Krankenhäusern und bei der Müllabfuhr wird es dagegen in den nächsten Jahren keine Streiks mehr geben. „Die relativ lange Laufzeit des Tarifvertrags bis 2022 ist gut“, sagt IW-Experte Schröder. Wegen der Corona-Krise würden 2021 und 2022 wirtschaftlich noch schwierig bleiben.