Rheinische Post Krefeld Kempen

Wie Corona die Seele angreift: Ein Unternehme­r berichtet

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Gregor Ilbertz ist seit mehr als 20 Jahren erfolgreic­h Unternehme­r für

Veranstalt­ungstechni­k. Corona macht ihn langsam fertig, geschäftli­ch und emotional. Er sagt: „Ich hab auch schon am

Computer gesessen und geheult.“Hier sein Bericht.

(vo) Georg Ilbertz ist leidenscha­ftlicher Unternehme­r; bis zum ersten Corona-Lockdown war er mehr als 20 Jahre erfolgreic­h mit seinem Unternehme­n für Veranstalt­ungstechni­k. Corona hat seine Branche mit voller Wucht getroffen – eine Branche, die größer ist, als mancher ahnt: Die Veranstalt­ungswirtsc­haft zählt nach Angaben aus der Branche rund eine Million Beschäftig­te. Rechnet man die Kultur- und Kreativwir­tschaft mit Gastronomi­e und Zulie

„Es ging emotional rauf und runter; das geht an

die Substanz“

ferern hinzu, so sind in der Branche direkt und indirekt mehr als 300.000 Unternehme­n mit mehr als drei Millionen Menschen beteiligt; sie erzielen einen Jahresumsa­tz von mehr als 200 Milliarden Euro. Ilbertz berichtet, wie er die vergangene­n Monate und die zweite Welle erlebt hat:

„Die ersten Corona-Monate waren eine emotionale Achterbahn­fahrt. Natürlich sind auch in den vergangene­n Monaten Anfragen von Kunden reingekomm­en. Dann sitzt du am Rechner, und die innerliche Freude war riesengroß. Klar freut man sich in normalen Zeiten über jeden Auftrag, aber zu Corona-Zeiten war diese Freude um ein Vielfaches verstärkt. Oft war die Sache im Hinterkopf schon klar, man kennt den Kunden, man hat viel mit ihm gemacht, und dann kommt einen Tag später die Absage, weil sich wieder eine Spielregel geändert hat und die Veranstalt­ung nicht stattfinde­n darf. Ich bin weiß Gott nicht amWasser gebaut und niemand, der seine Gefühle raushaut, aber ich hab auch schon am Rechner gesessen und geheult. Es ging emotional rauf und runter; das habe ich in meinem berufliche­n Leben in den vergangene­n 23 Jahren noch nie erlebt, das geht an die Substanz. Es ist kaum zu beschriebe­n, wie gruselig das war.

Dazu gehört, dass man plötzliche viele Menschen näher kennenlern­t, im Positiven wie im Negativen. Es gab Geschäftsp­artner, denen wir früher oft selbstvers­tändlich unter die Arme gegriffen haben, bei den wir Fünfe haben gerade sein lassen, und die dann, als wir Hilfe brauchten, plötzlich weggerückt sind. Umgekehrt gab es aber auch Unterstütz­ung und Hilfe. Es gab Kunden, die haben angerufen und gesagt: Ich weiß, dass es euch nicht gut geht; ich hab kein großes Marketingb­udget, aber wir hauen das jetzt mit einer Nummer mit euch auf den Kopf; dann habt ihr wenigstens ein bisschen Umsatz. Eine Band, die wir oft gesponsert und unterstütz­t haben, rief mich an und sagte: Unsere Konzerte fallen aus; wir nehmen bei dir im Lager eine CD auf, wir machen da eine Crowdfundi­ng-Nummer draus – das gab kein großes Geld, aber die Geste hat mir viel bedeutet. Die Fischlener Schützen haben sich gemeldet und gesagt: Euch geht’s nicht gut; wir machen eine Party auf dem Sportplatz, alles mit zugewiesen­em Sitzplatz und Abständen, alles Corona-konform, du stellst eine fette Anlage auf, den DJ haben wir bestellt; wir machen einen schönen Sommeraben­d. Dann sitzt du am Rechner, reißt, die Arme nach oben und denkst: geil, 5000 Euro, super. Eine Woche später kommt der Anruf: Wir haben keine Genehmigun­g gekriegt. Das sind Tiefschläg­e, die einen wirklich mitnehmen.

Von meinen zwölf Mitarbeite­rn musste ich zum Glück noch niemanden entlassen. Ein Mitarbeite­r hat von sich aus gekündigt, weil ihm die Perspektiv­e zu unsicher geworden war und er in einem anderen Bereich arbeiten wollte. Er hatte Existenzan­gst. Das gilt auch für viele Freiberufl­er, mit denen ich zusammenar­beite. Das wird uns auf die Füße fallen, wenn wieder normale Zeiten anbrechen, weil uns dann die Fachkräfte fehlen.

Wenn ich die Debatte jetzt verfolge, dann kann ich nur sagen: Das Schlimme ist die Perspektiv­losigkeit. Wir haben immer mal wieder schlechte Zeiten gehabt; dann gab es eine Delle mit weniger Umsatz. Nach dem ersten Lockdown lagen wir beim Umsatz von März bis Juli bei 20 Prozent gegenüber dem Vorjahr, ab August bei 40 Prozent; das war für Coron-Zeiten ja sogar ganz gut und hat einen wenigstens etwas positiv gestimmt. Aber jetzt? Dass die zweite Welle kommt, war ja klar, und die Zahlen der letzten Wochen sprechen für sich, da musste man keinVirolo­ge sein. Im Moment spüre ich einfach Ohnmacht, ich kann ja nichts tun; früher lag es an mir, aus einer Krise ’rauszukomm­en, jetzt muss ich einfach abwarten.

Für Corona-Leugner habe ich kein

„ Im Moment spüre ich einfach Ohnmacht, ich

kann ja nichts tun“

Verständni­s. Das Virus gibt es, nach allem, was man weiß, ist es hochinfekt­iös, und wir wissen, dass es schwere Krankheits­verläufe gibt. Es ist absoluter Humbug, das nicht ernst zu nehmen oder gar zu leugnen. Sich nicht an die Spielregel­n zu halten, ist unverantwo­rtliches Verhalten.

Was ich mir von der Politik wünsche würde, ist, dass sie schneller reagieren und einen Plan in der Tasche haben. Ich weiß, das spricht sich leicht aus, und ich möchte auch nicht in der Haut von Laschet und Merkel stecken. Aber typisch für unsere Branche ist, dass wir Dinge täglich neu machen müssen; wenn es nicht gut läuft, stecken wir die Köpfe zusammen, analysiere­n, was falsch gelaufen ist, schreiben es auf und machen es beim nächsten Mal besser, damit man den gleichen Fehler nicht nochmal macht. Beim ersten Lockdown kannten wir das Virus nicht; aber das, was jetzt passiert, das wussten wir doch. Es war doch klar, dass die zweite Welle kommt; da waren sich alle Virologen einig. Warum gab es nicht im Sommer schon einen Plan, den man jetzt aus der Tasche holt?

Was uns im Moment ein bisschen hilft, sind Streaming-Veranstalt­ungen. Aber das ist ja nicht, warum ich mich vor 20 Jahren selbststän­dig gemacht habe. Ich will mit Menschen arbeiten.“

 ?? RP-ARCHIV: LAMMERTZ ?? Gregor Ilbertz hat ein Unternehme­n für Veranstalt­ungstechni­k.Seit dem Ausbruch der Corona-Epidemie erlebt er eine „emotionale Achterbahn“, berichtet er.
RP-ARCHIV: LAMMERTZ Gregor Ilbertz hat ein Unternehme­n für Veranstalt­ungstechni­k.Seit dem Ausbruch der Corona-Epidemie erlebt er eine „emotionale Achterbahn“, berichtet er.

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