Rheinische Post Krefeld Kempen

Letzte Premiere: Becketts „Endspiel“

- VON PETRA DIEDERICHS

Total normal sollten sich die Theaterbes­ucher am Sonntag Abend fühlen – wenigstens 90 Minuten lang. Davon war Schauspiel­direktor Matthias Gehrt am Dienstag noch ausgegange­n. Denn „Endspiel“musste der Regisseur nicht eigens auf Coronataug­lichkeit biegen. Es sei richtig gespieltes Theater.

Das war vor den neuen Corona-Bestimmung­en. Die Premiere von Samuel Becketts Stück „Endspiel“geht am Sonntag, 1. November, ab 18 Uhr über die Bühne. Alle dafür zurVerfügu­ng stehenden Karten sind ausverkauf­t. Es ist wohl die letzte Premiere vor der erneuten Schließung.

Wie normal ist da normal? Und was bedeutet es, wenn ausgerechn­et Absurdes Theater den Normalzust­and markieren soll? Im Zweifelsfa­ll einen anregenden Abend.„Total normal“, sagt Gehrt, habe er inszeniert. Zwar sei die Entscheidu­ng für das Vier-Personen-Stück aus den 1950er Jahren gefallen, weil die eigentlich geplante Inszenieru­ng der „Vögel“von Wajdi Mouawad in Corona-Zeiten nicht umzusetzen war. Aber mit Beckett ist der Regisseur glücklich: Er muss keine Corona-Regeln auf die Bühne tragen. Abstand haben die Figuren ohnehin – körperlich und sinnbildli­ch. „Es ist die erste Veranstalt­ung, die ungebremst Theater macht.“

Darum geht es

Die Welt ist am Ende. In einem bunkerarti­gen Unterschlu­pf sind drei Männer und eine Frau abgeschnit­ten von allem, was es vielleicht draußen noch gibt: der blinde Hamm, der sich nur auf einem rollenden Stuhl fortbewege­n kann, der ihm dienende Clov, den er ständig schikanier­t, und seine Eltern, die wegen ihrer verstümmel­ten Beine in zwei Mülltonnen vegetieren. Clov, der einzige, der laufen kann, steigt hin und wieder auf eine Leiter, um durch die Fenstersch­litze einen Blick auf das Draußen zu werfen. Doch dort ist nichts zu sehen, nichts zu hören. Gegen die Stille, die keiner ertragen kann, reden sie – manchmal miteinande­r, mal aneinander vorbei.

So viel Corona steckt darin

Die Situation lässt sich mit Bezug auf die Gegenwart lesen. In einer Szene fordert Hamm einen Kuss von Clov, der weigert sich, lehnt es auch ab, ihm die Hand zu geben.„Ich will dich nicht berühren“, ist seine Begründung. Das passt. Doch darum geht es Gehrt nicht. „Das Stück ist eine heitere Dystopie“, sagt er. Beckett sieht er nicht nur als großen Nihilisten, sondern auch als grandiosen Komödiensc­hreiber. Die Figuren auf körperlich­e Distanz zu halten, das ist eine Forderung des Stücks. Dass Clov Handschuhe trägt, damit die Requisiten, die er berührt und weiterreic­ht nicht auf der Bühne desinfizie­rt werden müssen, passt exakt zu dessen Status als Diener. Gabriele Trinczek hat das Bühnenport­al zumauern lassen:„Das ist unsere Situation, dass es heute eigentlich nicht möglich ist, Theater zu machen“, sagt sie. Das Geschehen spielt sich auf der Vorbühne ab. Der Nebenschau­platz, die Küche des Unterschlu­pfs, ist in die Unterbühne verlagert. Die Mülltonnen sind nach unten zur Unterbühne offen, so dass die Akteure jeweils eigene Zugänge für ihre Auftritte haben.

„Endspiel“– der Titel hat einen makabren Beigeschma­ck bekommen. Das Stück von Samuel Beckett ist die letzte Premiere im Krefelder Theater vor der neuerliche­n Schließung. Dabei wollte Regisseur Matthias Gehrt damit Normalität auf der Bühne zeigen.

Warum „Endspiel“?

„Es ist ein stabiles, widerborst­iges Stück mit viel Substanz“, sagt Gehrt. Beckett hat „Endspiel“für sein bestes Stück gehalten, besser als „Warten auf Godot“. Er hat es zur Zeit des Kalten Krieges geschriebe­n, in französisc­her Sprache, seit 1936 lebte der gebürtige Dubliner in Frankreich. In Paris hatte sich kein Theater für das Stück erwärmt. 1957 hatte es seine Uraufführu­ng in London – und

hatte es danach auch nicht leicht, sein Publikum zu finden. „Dabei ist es kein depressive­r Text“, findet Dramaturg Thomas Blockhaus . Das Krefelder„Endspiel“folge nicht der Einschätzu­ng von Adorno, der Beckett als„Apostel

Die Chance

Das Vier-Personen-Stück ist für Studios und kleine Bühnen prädestini­ert. „Im Normalfall hätten wir es in der Fabrik Heeder gezeigt“, sagt Blockhaus. „Jetzt haben wir die Chance, weil wir es auf der großen Bühne zeigen, es auch dem Abo-Publikum näher zu bringen.“Als Ergänzung wird es einen Soloabend zu Becketts „Das letzte Band“geben mit Joachim Henschke. Premiere ist für März in der Fabrik Heeder vorgesehen.

Infos auf der Website des Theater. www.theater-kr-mg.de

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FOTO: AFP/ B. ARVIDSSON Samuel Beckett (1906 - 1989) auf einer Aufnahme von 1988 in Paris. 1969 wurde der gebürtige Ire mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeich­net.

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