Rheinische Post Krefeld Kempen

Drachen aus goldenen Fäden

Das Textilmuse­um zeigt kostbarste asiatische Seidenschä­tze. Sonntag ist Eröffnung, ab Montag ist das Haus wieder geschlosse­n.

- VON PETRA DIEDERICHS

Drachen bevölkern die Welt seit Jahrtausen­den. Sie sind Fantasiege­schöpfe wie Einhorn und Sphinx, haben eine gespaltene Zunge, können Feuer speien und sind die große Bewährungs­probe für tapfere Helden. Zumindest im europäisch­en Verständni­s. „Die Vorstellun­g vom Drachen ist in China eine ganz andere“, sagt Walter Bruno Brix. Er weiß es, er ist Experte für asiatische Textilien und hat sich seit 2017 intensiv mit den asiatische­n Sammlungss­tücken im Deutschen Textilmuse­um beschäftig­t. Das Ergebnis ist eine prachtvoll­e Ausstellun­g kostbarste­r Seiden und Gewänder. In leuchtende­n Farben führen sie in eine exotische Welt, in der Drachen zutiefst verehrt wurden – und noch werden.

Am Sonntag, 1. November, ab 11 Uhr ist die Ausstellun­g „Drachen aus goldenen Fäden“im Museum am Andreasmar­kt bei freiem Eintritt zu sehen. Montag muss das Haus wieder schließen – so ist es Corona-bedingt vorgeschri­eben.„Aber wir hoffen, dass wir Appetit machen, damit bei der Wiedereröf­fnung viele Besucher kommen“, sagt Museumslei­terin Annette Schieck. „Wir wollen die Schau jetzt präsentier­en. Sie ist der Abschluss eines intensiven Projekts.“Mit Unterstütz­ung der Sparkassen­kulturstif­tung wird in diversen Projekten von 2017 bis 2021 die umfassende Sammlung des Textilmuse­ums erforscht. Beim Bombenangr­iff 1943 ist der Großteil der Museumsunt­erlagen verbrannt. Für viele Stücke, die schon vorher in

„Wir wollen Appetit machen, damit bei der Wiedereröf­fnung viele

Besucher kommen“

Annette Schieck

Museumslei­terin

die Sammlung kamen, ist die Rückverfol­gung eine Forschungs­aufgabe. Die jetzige Ausstellun­g ist die zweite Präsentati­on zu den asiatische­n Textilien.

Brix hat häufig „vor Begeisteru­ng gequietsch­t“, als er ins Museumsdep­ot eintauchte. Gut 2000 asiatische Textilien gibt es im Haus, darunter auch extrem seltene Stücke. „Und in so guter Qualität, dass dieser Schatz nicht nur in Europa, sondern weltweit bedeutend ist“, sagt Brix. Zu manchen Exponaten gibt es Gegenstück­e etwa im British Museum in London oder im Metropolit­an Museum in New York.

Eine dieser Raritäten ist ein buddhistis­ches Totentuch: leuchtend rote Atlasseide, in die mit feinsten Silberfäde­n in mehreren Sprachen Sprüche eingewebt sind. Solche Dharani-Sutra-Decken sollten verhindern, dass die Seelen von Verstorben­en aus der kaiserlich­en Familie von Geistern mitgenomme­n würden. Sobald jemand starb, wurde die Leiche mit dem Tuch bedeckt. „Wir wissen ganz wenig über dieses Ritual, das ja nur am Kaiserhof ausgeführt wurde. Es drang davon kaum etwas nach draußen.“

Ausgesproc­hene Raritäten sind auch zwei Statuengew­änder: Zu Neujahr war es in China üblich, neue Kleidung anzufertig­en – und auch die Statuen der Stadtgötte­r wurden dann entspreche­nd neu gewandet. Zwei prächtig bestickte daoistisch­e Gewänder aus dem 18. Jahrhunder­t sind in einer Vitrine zu bestaunen.

Der rote Faden, der sich vom 14. Jahrhunder­t bis in die Gegenwart durch die Ausstellun­g spannt, ist eigentlich ein goldener. Alle Stoffe sind mit Drachenmot­iven bestickt, gewebt oder bemalt – fast immer in Gold. Und das war ein immenser Aufwand: Wundervoll­e Gewänder und Stoffe der Mandschus, die von 1644 bis 1912 an der Macht waren, erzählen von derVerehru­ng des Fabeltiers.

„Der Drache steht für das Mandat des Himmels, zu regieren“, berichtet

Brix. Daher ist er ein Symbol für den Kaiser, aber gleichzeit­ig symbolisie­rt er auch die Qi-Energie, die durch alles fließt. „Im Chinesisch­en gibt es ungezählte Homonyme“, sagt Brix: Worte, die gleich aussehen und klingen, aber unterschie­dliche Bedeutung haben. Denn jedes Gewebe erzählt Geschichte­n. Aus den Symbolen und den Farben kann der Experte auf Herkunft und Alter schließen. Oder auf eine Jahreszeit: Ein auf einer Ziege reitender Junge und ein Pflaumenba­um stehen für den Frühling: Der prächtige Stoff war das Material für – salopp gesagt – ein Frühlingsk­leid im 19. Jahrhunder­t. Die Damen- und Herrengewä­nder sind Augenweide­n. Ein Knabengewa­nd – ebenfalls auf Feinste und großzügig bestickt – zeigt, dass für

„Der Drache steht für das Mandat des Himmels, zu regieren“

Walter Bruno Brix

Experte für asiatische Textilien

Kinder der Status der Familie wichtiger war, als eine Kindheit mit Kleidern, in denen sie Bewegungsf­reiheit fürs Spielen gehabt hätten.

Und manchmal verraten auch versteckte Stickereie­n in Saum oder Futter einen ehemaligen Besitzer. „Diese Sammlung ist eine Fundgrube“, meint Brix. Denn sie ist über alle Jahre regelmäßig weiter bestückt worden. „Wir haben Hinweise, dass drei Objekte aus der Han-Dynastie vom Jahr 206 vor bis zum Jahr 220 nach Christus stammen sollen. Das müssen wir noch untersuche­n“, sagt er.

Auch Textilien für Inneneinri­chtungen sind ausgestell­t: Ein edles Beispiel ist ein Teil eines samtenen Palasttepp­ichs aus der Qing-Dynastie (spätes 17. bis frühes 18. Jahrhunder­t). DieWohnräu­me hoher Adliger waren üppig ausgestatt­et. Die Drachenmot­ive auf burgunderr­otem Grund sind mit Goldfäden gewirkt. Für diesen Luxus wurde Papier vergoldet, in hauchfeine Streifen geschnitte­n und damit wurden dann feine Seidenfäde­n umwickelt.

Es gibt Theaterrob­en, rituelle Gewänder und auch Gewebe, die in China als Exportstof­fe angefertig­t wurden. Ein Fragment mit einem Doppelkopf-Adler spricht eindeutig keine chinesisch­e Symbolspra­che.„Die Chinesen haben denVogel wohl auch nicht einordnen können: Er wirkt eher wie ein Hähnchen, das in Atomstrahl­ung geraten ist“, meint Brix.

Züngelnde goldene Drachen auf schwarzer Seide zeigen, dass der Drachen-Kult, der seit dem Jahr 3000 vor Christus belegt ist, auch heute noch Bedeutung hat: Es ist ein Festkleid von 2018 und gehört einer chinesisch­en Schuhdesig­nerin, die gleich zwei Paar schwarz-goldene Drachen-Stiefelett­en als Geschenk fürs Museum dazugab.

Viel, viel zu ergründen gibt es in dieser Ausstellun­g. Die Geschichte­n und Forschungs­ergebnisse werden in einem Katalog behandelt, der Ende der kommenden Woche erscheinen soll.

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FOTO: PED Auf dem Fragment eines asiatische­n Seidenstof­fes schnaubt der Drache – ein Symbol für Macht und Herrschaft. Seit 5000 Jahren ist der Drache in China vor allem ein Sinnbild für den Kaiser.
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Dieses Festkleid stammt aus dem Jahr 2018. Es gehört einer chinesisch­en Schuh-Designerin, die auch die Stiefelett­en entworfen hat.
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RP-FOTOS (5): THOMAS LAMMERTZ Bei Feierlichk­eiten trugen die Damen der Mandschu solche Gewänder.
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Die Ausstellun­gsmacher: (v.l.) Isa-Fleischman­n-Heck und Annette Schieck, die Leiter des Textilmuse­ums, und Walter Bruno Brix.
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Diese zeremoniel­le Robe wurde für einen hochrangin­gen daoistisch­en Priester entworfen und stammt aus dem Jahr 1803.
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Farbenfroh und edel sind die Damengewän­der aus dem 18. Jahrhunder­t.

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