Rheinische Post Krefeld Kempen
Notfall-Ärzte warnen vor Überlastung
In NRW gibt es 1653 freie Intensivbetten – noch. Doch schon jetzt ist Personal knapp. Die Krankenhäuser fordern Freihaltepauschalen, um Operationen verschieben zu können.Personaluntergrenzen sollen ausgesetzt werden.
Angesichts der wachsenden Zahl von Corona-Infektionen warnte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am Montag vor einer „akuten Notlage in unseren Krankenhäusern“. Auch die Notärzte im Land schlagen Alarm: „Die zweiteWelle der Pandemie ist in den Notaufnahmen angekommen“, sagt Martin Pin, Präsident der Deutschen Gesellschaft Interdisziplinäre Notfall- und Akutmedizin (DGINA) und Chefarzt an der Kaiserswerther Diakonie. „Da schwere Symptome mit einer zeitlichen Verzögerung auftreten, ist mit einer deutlichen Zunahme von Covid19-Patienten in den Krankenhäusern zu rechnen“. Dies werde die Notaufnahmen und Intensivstationen an den Rand ihrer Leistungsfähigkeit bringen, insbesondere dann, wenn sich auch vermehrt Personal infiziere.
Die Zahl der Covid19-Patienten, die bundesweit auf Intensivstationen behandelt werden, hat sich in den vergangenen zwei Wochen bereits von 851 auf 2243 Patienten nahezu verdreifacht, so die Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI). Den bisherigen Höchststand gab es demnach am 18. April mit 2933 Patienten. Aktuell sind rund 7900 der knapp 29.000 Intensivbetten frei. In Nordrhein-Westfalen sind noch 1653 der 6827 Intensivbetten frei. Nun ruft die Deutsche Krankenhausgesellschaft die Politik um Hilfe.„Damit wir auch eine stark steigende Zahl von Patienten bewältigen können, brauchen wir Hilfe von Bund und Land“, sagte Jochen Brink, Präsident der Krankenhausgesellschaft NRW.
Zu wenig Personal „Es gibt derzeit genug Intensivbetten, aber nicht genug Personal“, betonte Brink. Und das liegt aus Sicht der Kliniken auch daran, dass die Politik Personaluntergrenzen festgeschrieben hat. Unterschreiten Kliniken diese Schwellen, müssen sie Vergütungsabschläge hinnehmen. Brink fordert daher, die Personaluntergrenzen erneut aufzuheben. Bereits im März waren sie ausgesetzt worden. Die Krankenhäuser in NRW seien innerhalb kurzer Zeit in der Lage, planbare Operationen stark einzuschränken und Behandlungs- und Intensivkapazitäten für Covid19-Patienten bereitzustellen. „Das ist allerdings nur leistbar, wenn die starren Pflegepersonaluntergrenzen kurzfristig wieder ausgesetzt werden. Überraschenderweise hatte das Bundesgesundheitsministerium diese am 1. August wieder eingesetzt“, so Brink.
Die SPD lehnt eine Anhebung der Grenzen dagegen ab.„Die Personaluntergrenze darf auf keinen Fall aufgehoben werden. Pflegekräfte sind Menschen und keine Maschinen, denen man einfach immer mehr auflasten kann“, sagte Lisa-Kristin Kapteinat, Fraktionsvizechefin der SPD-Landtagsfraktion. Stattdessen sollten Operationen verschoben werden, auch könne man versuchen, Teilzeit-Kräfte für ein Umsatteln Vollzeit-Arbeit zu gewinnen.
Ausfall planbarer Operationen Um Kapazitäten für die Behandlung von Covid-Patienten freizuschaufeln, können Krankenhäuser planbare Operationen wie den Ersatz von Hüft- und Kniegelenken verschieben. Allerdings geht ihnen dann auch viel Geld verloren. Im Frühjahr hatte die Politik daher so genannte Freihaltepauschalen als Ersatzzahlung eingeführt. Die Kliniken fordern, dies zu wiederholen. „Die Freihaltepauschalen müssen dringend reaktiviert werden, damit die Kliniken auch ausreichend Betten für Covid-19-Patienten freihalten können. Ohne die Freihaltepauschalen ist es für die Kliniken wirtschaftlich kaum möglich, viele Betten freizuhalten und auf elektive Maßnahmen wie planbare Operationen zu verzichten“, mahnte Brink.
Davon will NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) aber nichts wissen: „Stand heute sehe ich keinen Anlass für eine Freihalteprämie, denn es sind noch genug Intensivkapazitäten vorhanden“, sagte der Minister unserer
Redaktion. „Aber wir schauen uns das Infektionsgeschehen natürlich fortlaufend an.“Er verwies darauf, dass das Land den Krankenhäusern im April per Erlass eine gestufte Freihaltung von Intensivkapazitäten empfohlen habe. Diese Empfehlung besagt, dass zehn Prozent der Intensivkapazitäten für Covid19Patienten durchgehend freizuhalten sind und bei Bedarf innerhalb von 24 beziehungsweise 48 Stunden jeweils weitere zehn Prozent in Betrieb genommen werden sollen. „Diese Empfehlung ist weiterhin gültig und nach aktueller Einschätzung ausreichend, um auf die dynamische Entwicklung des Infektionsgeschehens zu reagieren“, betonte Laumann.
Auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) ist skeptisch. Er hatte schon im Sommer vor einem Missbrauch der Freihalte-Pauschalen gewarnt. Sein Sprecher verweist auf eine Anschlussregelung, wonach die Ausfälle vor Ort zu kompensieren sind. „Mit dem Krankenhauszukunftsgesetz werden die gesetzlichen Rahmenbedingungen geschaffen, damit coronabedingte Erlösrückgänge 2020 gegenüber 2019 im Rahmen von krankenhausindividuellen Verhandlungen der Vertragsparteien vor Ort ausgeglichen werden können“, erklärte der Ministeriumssprecher.
Strafzahlungen „Als drittes müssen Kliniken davor geschützt werden, Strafzahlungen zu leisten“, fordert Brink. Diese drohten, „wenn Kliniken nicht als Spezialversorger anerkannt sind“. Derzeit dürfen nur solche Krankenhäuser Notfälle behandeln, die auch als Spezialversorger anerkannt sind. Ansonsten müssen sie die Patienten weiterschicken oder bekommen von den Krankenkassen Strafen aufgebrummt. In Zeiten der Pandemie erscheint diese Regelung den Krankenhäusern als unrealistisch und bürokratisch.
Ausstattung Laumann verweist dagegen darauf, dass das Land den Kliniken bei der Ausstattung bereits stark entgegen gekommen sei. „Die Krankenhäuser haben eine Pauschale von 50.000 Euro für Geräte und Zubehör erhalten“, betont er. „Außerdem haben wir zusätzliche Intensivplätze genehmigt. Aus Mitteln des Gesundheitsfonds haben wir 50.000 Euro Bonus pro Intensivbett und über 100 Millionen Euro an die Krankenhäuser verteilt. Das sind erhebliche Summen.“