Rheinische Post Krefeld Kempen
SPD-Fraktionschef hört nach 31 Jahren auf
Bernd-Dieter Röhrscheid ist ein Urgestein der Willicher Kommunalpolitik. Bei der Kommunalwahl trat er nicht mehr an, doch auch abseits der Politik hat er viele Projekte, für die er sich weiter einsetzen will.
Ein Text über Bernd-Dieter Röhrscheid und seinen Abschied aus dem Willicher Stadtrat, in dem er 31 Jahre lang Vorsitzender der SPD-Fraktion war, ist zwangsläufig auch ein Text über seine Familie. Seine Frau, seine Kinder, seine Enkel und sein Großvater: Sie alle haben dazu beigetragen, dass sich der heute 67-Jährige in den vergangenen Jahrzehnten auf so vielfältige Weise engagiert hat. Abseits der Politik werde er das auch weiterhin tun, versichert Röhrscheid. So ist er seit vier Wochen Pate der Aktion„Schule gegen Rassismus – Schule mit Courage“an der Astrid-Lindgren-Schule in Schiefbahn, an der seine Frau Lehrerin ist.
Die Leiterin der Grundschule, Cerstin Pelz, kennt Röhrscheid noch aus ihrer eigenen Schulzeit am St.-Bernhard-Gymnasium, an dem Röhrscheid Lehrer war. „Sie hat bei mir gelernt, sich für andere Menschen einzusetzen“, sagt Röhrscheid. Anderen Menschen zu helfen, sich für etwas zu engagieren, das hat Röhrscheid von seinem Großvater mütterlicherseits mit auf den Weg bekommen. Sein Opa – ebenfalls Lehrer – war nach seinen Erfahrungen im ErstenWeltkrieg in die SPD eingetreten und politisch aktiv. Das gefiel den Nationalsozialisten überhaupt nicht, und sie misshandelten ihn schwer, setzten ihn massiv unter Druck. „Mein Großvater hat mir früh deutlich gemacht, wie wichtig es ist, sich zu engagieren“, erinnert sich der in Kassel geborene Röhrscheid – und seine Frau Christa ergänzt: „Ich habe Bernd-Dieter so kennengelernt, dass er etwas intensiv verfolgt hat, wenn ihn etwas gepackt hatte.“Sie hielt ihm den Rücken frei, kümmerte sich um die drei Kinder. Auch die unterstützten ihren Vater – wenngleich sie ihm vor ein paar Jahren sagten: „Wenn es etwas Wichtiges im privaten Bereich gab, war nur Mama da.“
1970 trat Röhrscheid in die SPD ein, um Willy Brandt zu unterstützen, und engagierte sich auf kommunalpolitischer Ebene in Willich. 1984 wurde er in den Stadtrat gewählt, wurde schon 1985 stellvertretender Fraktionsvorsitzender und 1989Vorsitzender der Fraktion. Von 1986 bis 1989 war er zudemVorsitzender des Jugend- und Sportausschusses, von 1989 bis 1994 Vorsitzender des Jugendhilfeausschusses. Wichtiges Anliegen ist ihm auch die kulturelle und sportliche Entwicklung der Stadt, weshalb er in mehr als 30 Jahren, in denen er stellvertretender Vorsitzender des Sport- und Kulturausschusses war, wesentliche Impulse setzte. 2004 trat er bei der Bürgermeisterwahl gegen Josef Heyes an und bekam 26,5 Prozent der Wählerstimmen.
Die Gründung der städtischen Grundstücksgesellschaft zusammen mit Dieter Hehnen (CDU), die Entwicklung der Gewerbegebiete Münchheide und Stahlwerk Becker, der gemeinsame Kampf mit Hans Kothen (CDU) gegen den Kreis Viersen dafür, dass die Stadt Willich ein eigenes Jugendamt bekommt, die Gründung einer Gesamtschule und der Stadtwerke: Das sind die wichtigsten Themen und größten Erfolge seiner Amtszeit, an die sich Bernd-Dieter Röhrscheid zurückerinnert.
Und dann sind da noch die sogenannten Willicher Verhältnisse im Stadtrat, die Röhrscheid zusammen mit dem CDU-Fraktionsvorsitzenden Ralf-Hasso Sagner beendete: „Vor 1989 war die Stimmung in der
Politik äußerst schlecht – bis hin zu Verunglimpfungen und Klageandrohungen“, erinnert sich Röhrscheid. Mit Sagner habe er eingeführt, dass alle wesentlichen politischen Entscheidungen vorbesprochen und die anderen Fraktionen hinzugezogen wurden. „In der Folge sind die meisten wichtigen Entscheidungen einstimmig gefallen, und die Willicher Verhältnisse waren beendet.“Auch die Tatsache, dass Lukas Siebenkotten als SPD-Mann 1991 Beigeordneter wurde, sei vorher undenkbar gewesen.
Und der größte Misserfolg? „Das war 1986, als die Sparkasse Krefeld ein Angebot machte, die Willicher Sparkasse zu übernehmen. Wir haben es geschafft, mit FDP und Grünen eine Mehrheit dafür zu finden, die Eigenständigkeit der Willicher Sparkasse zu erhalten. Das haben wir gemacht, um der CDU eins auszuwischen“, sagt Röhrscheid. 1991 kam es dann aber doch zur Übernahme – zu weit schlechteren Konditionen. Im Kommunalwahlkampf 1989 habe sich der Einsatz der SPD für die Willicher Sparkasse gelohnt: „Wir haben vier Direktmandate geholt“, sagt Röhrscheid, gibt aber zu, dass der Deal am Ende für die Stadt miserabel gewesen sei – wenngleich über die Sparkassenstiftung auch dank des Einsatzes von Hans Kothen viel Geld (beispielsweise für Skulpturen, die Stadtbibliothek und die Schlossfestspiele) nach Willich zurückgeflossen sei.
Doch nicht nur als Kommunalpolitiker ist Röhrscheid bekannt und geschätzt. Seit Beginn seiner Tätigkeit als Politik-, Sozialwissenschaften- und Sportlehrer im Jahr 1977 am St.-Bernhard-Gymnasium kämpft er für eine Erinnerungskultur in der Stadt, arbeitete mit seinen Schülern zum Thema „Gegen dasVergessen“und gründete mit ihnen 2011 die Stolperstein-AG, deren Ziel darin besteht, für alle aus der Stadt Willich deportierten oder geflüchteten jüdischen Mitbürger einen „Stolperstein“zu verlegen – 79 sind es inzwischen. „Für viele Angehörige, die teilweise sogar aus dem Ausland nachWillich kommen, sind diese Steine eine Art Grabstein. Dort fühlen sie sich ihrenVerwandten näher“, sagt Röhrscheid.
Die Arbeit mit Schülern des St.-Bernhard- und des Lise-Meitner-Gymnasiums und dem Stadtarchivar Udo Holzenthal führte 2016 zu einem großen Buch mit fast 1100 Biografien der ausWillich stammenden Juden und zur Bildungskooperation mit dem Stadtarchiv und den Heimat- und GeschichtsfreundenWillich, in derenVorstand Röhrscheid seit 2013 mitarbeitet.
Ein Schicksalsschlag in der Familie führte 2007 dazu, dass Röhrscheid ein weiteres Betätigungsfeld hinzubekam: Sein damals vierjähriger Enkel Linus erkrankte an Leukämie und starb vier Jahre später. „Linus hat die Krankheit bewusst miterlebt und uns ermutigt, dafür zu sorgen, dass diese Krankheit nicht in Vergessenheit gerät“, sagt Röhrscheid. Um seinem Enkel zu helfen, organisierte er 2007 mit vielen Helfern eine große Typisierungsaktion, bei der sich mehr als 2000 Personen registrieren ließen und 80.000 Euro als Spenden zusammenkamen. 2007 gründete Röhrscheid den Verein„StaR – Stammzellspende Rheinland“, der zum Ziel hat, möglichst viele potenzielle Stammzellspender für Leukämiekranke zu gewinnen und die Kosten der Typisierungen zu finanzieren – mehr als eine Million Euro sind bereits zusammengekommen.
Den Vereinsvorsitz hat Röhrscheid zwar nach elf Jahren abgegeben, aber auch so bleibt für ihn auch künftig viel zu tun – viele Nachfragen gebe es zudem nach wie vor von Angehörigen Willicher Juden, die Heimat- und Geschichtsfreunde seien ein spannendes Betätigungsfeld – und dann möchte sich Röhrscheid seiner Familie widmen: Im Keller schlummern noch die bisherigen Ergebnisse seiner Ahnenforschung. „Bis ins Jahr 1450 bin ich schon zurück, aber es soll noch weiter gehen“, sagt Röhrscheid.