Rheinische Post Krefeld Kempen

Die Landschaft ist der Star

Jean-Luc Bannalec ist für seine Bretagne-Kriminalro­mane bekannt. Sein neues Buch widmet sich den Sagen der Region.

- VON WOLFRAM GOERTZ

Vom Bahnhof Montparnas­se waren es viereinhal­b Stunden mit dem TGV, in Quimper musste er umsteigen in den Bus nach Concarneau, und anfangs hatte er keinen Blick für diese Welt, für das Meer, für die Farben und für die Eigenheite­n der Bretonen. Ohne Zweifel fremdelte Georges Dupin mit dieser Region, in die er, der Kommissar aus der französisc­hen Hauptstadt, strafverse­tzt worden war.

Dieses Ankommen, dieses kinderäugi­ge Erstaunen, wie anders die Uhren hier doch ticken, ist einer der roten Fäden, die sich durch die großartige­n Kriminalro­mane von Jean-Luc Bannalec ziehen. Hier spielt Commissair­e Dupin die Hauptrolle, einer dieser Ermittler, die ihre Verschrobe­nheit in jeder Romanzeile bekräftige­n, doch ebenso ihre Intuition, ihren Scharfsinn. So unstruktur­iert seine Arbeitswei­se, so wetterleuc­htend seine Gedankenbl­itze, die er sogleich in ein Notizbuch krakelt.

In Wirklichke­it stammt Bannalec aus Bad Godesberg; mit bürgerlich­em Namen heißt er Jörg Bong. Doch sein Herz schlägt für die Bretagne, wo er zeitweise auch lebt.

Vermutlich hat er sogar ein Haus in Bannalec. Dort leben 5700 Einwohner mit und unter der Klimazone Cfb –„vollfeucht­es, warm gemäßigtes Regenklima“. Aus vollen Wolken schreibt auch Bannalec, wenn er seinen Dupin zu den schönsten Tatorten der Bretagne schickt. Etwa nach Pont-Aven, in Paul Gauguins Künstlerdo­rf. In die Salinen an der Atlantikkü­ste, wo Meersalz zum Zwecke kulinarisc­her Verfeineru­ng gewonnen wird. In den Wald von Brocéliand­e, in dem sich angeblich Feen, Zauberer und Gnome trollen. Und nun nach Saint-Malo (im Krimi „Bretonisch­e Spezialitä­ten“), wo Restaurant­s um die Gunst der Gourmands buhlen. Trotzdem ist die Landschaft hier der Star, diese atemberaub­enden Kontraste aus Lieblichke­it und wilder Gischt. Das Finistère ist halt das Ende der Welt.

Das Markenzeic­hen Dupins: Immer gibt es nicht nur mehrere Morde, sondern auch Steine von der Größe eines Menhirs, die andere ihm in den Weg legen. Sogar sein Vorgesetzt­er, der Präfekt Locmariaqu­er, ist – ähnlich seinem venezianis­chen Kollegen Patta in den Donna-Leon-Krimis – ein Pfau, der gern vor die Presse tritt und Ergebnisse verkündet, die Dupin erwirtscha­ftet hat. Ihm widmet Dupin oft einen seiner Kraftausdr­ücke, die es aus den Büchern auch in die Filme geschafft haben: „So ein Scheiß.“

In Saint-Malo spielt also Bannalecs neuer Roman mit dem Titel „Bretonisch­e Spezialitä­ten“; die ARD hat bereits mit den Dreharbeit­en begonnen. Tatsächlic­h ist Dupins Beliebthei­t in Deutschlan­d ziemlich hoch, wobei dieVerfilm­ungen beim Autor ein lachendes und ein weinendes Auge erzeugen. Die Filmdrehbü­cher sind nicht nur eine erhebliche Verknappun­g des literarisc­hen Stoffs (was ja unvermeidl­ich ist), sondern sie stellen die Figuren teilweise auf den Kopf.

Dupin ist bei Bannalec ein eher behäbiger Zeitgenoss­e, der sich allerdings allmählich zum Bretonen verwandelt, auch weil er Fisch so liebt. Der TV-Dupin (Pasquale Aleardi) ist ein Zappelphil­ipp und diagnostiz­iert bei sich eine merkwürdig­e Fischaller­gie. Seine Mitarbeite­rin Nolwenn ist im Kommissari­at eine pfiffige Allzweckwa­ffe, und zwar im vorgerückt­en Alter. Im Fernsehen verwandelt sie sich zu einer jungen Dame, nach der sich alle umschauen. Sie ist sozusagen die bretonisch­e Antwort auf Signorina Elettra bei Donna Leon.

Bong/Bannalec, der Wahl-Bretone, hat sich in seiner Bretagne auch im wirklichen Leben bestens eingericht­et. Alle Restaurant­s, in denen er je eingekehrt ist, hat er in die Krimihandl­ung eingebette­t und literarisc­h mit schmeichel­nd preisenden Formulieru­ngen bedacht; die ewige Dankbarkei­t der Patrone dürfte ihm gewiss sein, allen voran vom Chef des „L‘Amiral“in Concarneau, dem Stammlokal des Commissair­e.

Nachdem Bannalec vor einiger Zeit ein eher mäßig inspiriere­ndes Kochbuch veröffentl­icht hat (manche Zutaten sind in unseren Breiten schlecht bekömmlich), bringt sein Stammverla­g Kiepenheue­r & Witsch jetzt „Die schönsten bretonisch­en Sagen“– und die sind nun wirklich hinreißend. Hoher Gruselfakt­or. Erzkatholi­sch. Märchenhaf­t. Natürlich fehlt nicht die Geschichte vom Pakt mit dem Teufel oder von der versunkene­n Stadt Ys, der Debussy ein berühmtes Prélude gewidmet hat und die oft mit dem MontSaint-Michel verwechsel­t wird. Der übrigens zur Normandie zählt.

Der Bretagne-Tourismus hat sich Bannalecs Einkehr- und Konsumiert­ipps nicht zweimal souffliere­n lassen. In Concarneau und Umgebung wirbt man gern mit dem Deutschen und schickt Touristen auf„Kommissar Dupins Spuren“. Trotzdem wird noch viel Zeit ins Land gehen, bis Dupin die mirakulöse Bretagne vollständi­g verstanden hat, denn wie sagt die weise Nolwenn in „Bretonisch­es Gold“:„Die Bretonen haben einen Sinn für die Welt der Zeichen. Sie bewegen sich in der Welt wie in einem verwunsche­nen Wald.“

Übrigens ist der Name des Kommissars ein literarisc­her Trick. Dupin hieß nämlich auch der erste berühmte Roman-Detektiv von Edgar Allan Poe, der mit„Die Morde in der Rue Morgue“berühmt wurde: C. Auguste Dupin. Arthur Conan Doyle hat einmal bekannt, dass Poes Dupin das Vorbild für seinen Sherlock Holmes war. Davon kann Bannalecs Dupin nur träumen. Aber er arbeitet daran.

In Concarneau schickt man Touristen auf Kommissar Dupins

Spuren

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