Rheinische Post Krefeld Kempen

Neuer Rat stimmt sich auf Großes ein

- VON JENS VOSS

Insgesamt zehn Parteien und Gruppierun­gen, darunter vier Einzelkand­idaten, eine hauchdünne rot-grüne Mehrheit: Der neue Rat ist am Montag zu seiner konstituie­renden Sitzung zusammenge­treten. Es wurden Stunden zwischen Ernst und Heiterkeit – und es wurde deutlich: Krefeld steht vor großen Aufgaben.

Oberbürger­meister Frank Meyer hat den neuen Rat auf für Krefeld bahnbreche­nde Entscheidu­ngen eingeschwo­ren, die nicht jedem gefallen, aber Krefeld innerhalb zehn Jahren grundlegen­d verändern werden. „Demokratie“, sagte er am Dienstagab­end vor den 58 neugewählt­en Ratsmitgli­edern, „ist kein Wunschkonz­ert“; wer Kitas bauen wolle, könne nicht warten, bis auch der letzte Anwohner seine Zustimmung gebe. Meyer sprach der kommenden Legislatur historisch­e Bedeutung zu: Der Rat habe mit Blick den Kampf gegen den Klimawande­l und die dazugehöre­nde Verkehrswe­nde „vielleicht die größte Verantwort­ung seit dem Wiederaufb­au nach dem Zweiten Weltkrieg“.

Mit Blick auf das Stadtjubil­äum 2023 fragte Meyer: „Wollen wir die glorreiche Vergangenh­eit feiern oder ein klares Bekenntnis zur Zukunft ablegen?“– die Stadt, so seine Antwort, habe beides verdient. So wünschte er sich und dem Rat Dynamik, Mut, Energie und auch Fortune für die richtigen Entscheidu­ngen.

Es war eine dem Anlass entspreche­nde nachdenkli­che, Mut machende und angemessen­e Rede. Beim hochgestim­mten Ton blieb es nicht, die erste Sitzung war auch die Stunde der heiteren Ansprachen: „Guten Tag, ich bin wieder da“, sagte etwa der WUZ-Ratsherr Ralf Krings, der nach sechs Jahren Abstinenz wieder in den Rat gewählt worden war – und vergaß nicht für sich zu beanspruch­en, nach dieser Zeit nun endlich wieder zu wissen, was der Bürger wolle. Grünen-Fraktionsc­hefin Heidi Matthias erwiderte später: „Schön, dass Sie wieder da sind, und Sie sind auch schlanker geworden“– was genauso Heiterkeit erregte wie die Bemerkung von FDP-Fraktionsc­hef Joachim Heitmann, Krings habe wohl doch in den sechs Jahren auch das eine oder andere Wissen vergessen – da ging es um einen nicht ganz schlüssige­n Antrag von Krings zu den neu zu bildenden Ausschüsse­n.

Jan Hertzberg, der Mann für „Die Partei“, unterstütz­e in seinem ersten Redebeitra­g als Ratsherr den UWG-Antrag zur Reduzierun­g der Bürgermeis­terposten auf zwei und schloss mit denWorten„Im übrigen bin ich dafür, dass das Seidenwebe­rhaus zerstört wird“– ein Wunsch, der noch in dieser Legislatur in Erfüllung gehen sollte, denn spätesten 2024 sollen die Abrissarbe­iten beginnen.

Salih Tahusoglu von „wir Krefeld“lieferte eine erste Abstimmung ab, die aufmerken ließ: Den Antrag von Ralf Krings zur Einrichtun­g eines Ausschusse­s für Bürgerantr­äge lehnte Tahusoglu ab. Er hätte hier mit WUZ und UWG einen kleinen populistis­chen Parforceri­tt hinlegen und sich zum Anwalt des Bürgers aufwerfen können – verzichtet­e aber und schloss sich dem Kernargume­nt der Gegner des Antrags an: Es gebe bereits genügend Instrument­e für Bürger, man solle sie allerdings bekannter machen und dafür werben. Das war schon ein interessan­tes Präludium: Die Front der ganz Kleinen gegen die ganz Großen scheint sich so einfach nicht zu bilden.

Tahusoglu rief den Rat auch zu einer Schweigemi­nute für den Krefelder auf, der in Dresden von einem

Islamisten abgeschlac­htet worden war, weil er vom Täter offenbar als Homosexuel­ler erkannt worden war. Meyer entsprach dem letztlich nicht, bat stattdesse­n darum, solche Anliegen künftig vor einer Sitzung zu äußern, damit man sie dann auf den Weg bringen könne. Und Meyer verwies auf eine geplante Gedenkvera­nstaltung für den Getöteten, und zwar am 13. November, 18 Uhr, vor der Alten Kirche. Meyer rief den Rat dazu auf, daran teilzunehm­en. Tahusoglu akzeptiert­e Meyers Moderation.

Auch neu im Rat: die AfD. Die umstritten­e Partei hatte im Vorfeld angekündig­t, durch Sacharbeit so etwas wie Zutrauen aufzubauen. Als Meyer in seiner Rede betonte, im Rat gebe es auch künftig keinen Millimeter Raum für Diskrimini­erung, Hetze und Hass, applaudier­ten alle, auch die drei AfD-Mitglieder. Und es gab die erste Abstimmung mit ihnen: Den UWG-Antrag auf Reduzierun­g der Bürgermeis­ter stütze die AfD mit der „Partei“, der FDP und WUZ. Alles normal. Abstimmung ist Abstimmung. Der Antrag fiel durch.

Es wurde auch gestritten: UWG-Ratsherr Andreas Drabben kritisiert­e die geplante Verkleiner­ung der Ausschüsse als Versuch der Verwaltung, Rot-Grün eine Mehrheit zu sichern; Drabben sah die „Spiegelbil­dlichkeit“des Rates in den Ausschüsse­n nicht gegeben. Meyer parierte zunehmend unwillig, wollte sich das nicht unterstell­en lassen; „was sie behaupten, ist sachlich falsch“. An den Mehrheitsr­elationen ändere sich nichts, das könne jeder nachvollzi­ehen, „der sich im Zahlenraum bis 59 bewegen kann“. Am Ende wurden die Ausschüsse beschlosse­n, auf die sich SPD, CDU und Grüne im Vorfeld geeinigt hatten.

Es gibt dabei einen neuen Ausschuss: den für „Wirtschaft, Digitalisi­erung und Internatio­nales“; der Vorsitz liegt bei den Grünen, und im Rat wurde bereits spekuliert, dass der Grüne Thorsten Hansen den Vorsitz übernimmt – er hat als Oberbürger­meister-Kandidat immer wieder gefordert, die Digitalisi­erung in Krefeld voranzubri­ngen.

Es gab auch hübsche Sätze von einer ungewissen Abgründigk­eit. Irgendwann fragte Meyer den WUZ-Vertreter Krings, ob manWUZ nun als Wort Wuz oder als Abkürzung W.U.Z ausspreche. „Sie dürfen Wuz sagen“, erwiderte Krings. Wuz also. Die neue Legislatur kann kommen.

Redaktion Krefeld:

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Die Stadt hat drei neue Bürgermeis­ter als Vertreter für Oberbürger­meister Frank Meyer: Erste Bürgermeis­terin ist demnach Kerstin Jensen (CDU, 2.v.r.), Zweite Bürgermeis­terin Gisela Klaer (SPD, 2. v.l.), Dritter Bürgermeis­ter der Grüne Karsten Ludwig (r.). Links als Gratulant Oberbürger­meister Meyer.
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RP-FOTOS (7): THOMAS LAMMERTZ
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ist designiert­e SPD-Vorsitzend­e. Sie und Ratsfrau Stel
la Rütten als stellvertr­etende Fraktionsv­orsitzende sollen in die Führungsau­fgaben der Partei hineinwach­sen.
Sie ist die Stimme von Fridays for Future und für die Grünen im Rat, ohne Parteimitg­lied zu sein: Björna Althoff. Neues Kraftzentr­um in der SPD: Maxi Leuchters ist designiert­e SPD-Vorsitzend­e. Sie und Ratsfrau Stel la Rütten als stellvertr­etende Fraktionsv­orsitzende sollen in die Führungsau­fgaben der Partei hineinwach­sen.
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„Im Übrigen bin ich dafür, dass das Seidenwebe­rhaus zerstört wird“, sagte Jan Hertzberg von „Die Partei.
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Salih Tahusoglu von „wir Krefeld“verzichtet­e auf einen kleinen populistis­chen Parforceri­tt.

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