Rheinische Post Krefeld Kempen
Was den Kindern von St. Gertrudis hilft
Corona erschwert die Aufarbeitung des Falles in Krefeld, in dem ein Mann Kinder vom Gelände einer Kita weglocken wollte. Die Kunst ist es, Kindern das richtige Verhalten zu vermitteln, ohne dass sie das Grundvertrauen in die Welt verlieren.
Eigentlich wäre eine Elternvollversammlung der beste Weg, doch davor steht Corona: „Gesprächsbedarf ist riesig, wie man sich vorstellen kann“, berichtet Claudia Radunski, Kita-Leiterin des St.-Gertrudis-Kindergartens in Krefeld-Bockum, „wir haben eine Fülle von Einzelgesprächen geführt.“Demnächst soll es wenigstens eine Versammlung mit dem Elternrat geben, damit einige Eltern aus erster Hand erfahren und weitergeben, wie Kinder mit dieser Ausnahmesituation umgehen und Eltern ihre Kinder dabei am besten unterstützen können.
Wie berichtet, hat sich ein unbekannter Mann nun zweimal dem Kindergarten genähert und versucht, mit den Kindern ins Gespräch zu kommen, mit Süßigkeiten ihr Vertrauen zu erschleichen und sie zu überreden versucht, das Kita-Gelände zu verlassen. Zudem soll er sich Kindern in schamverletzender Weise gezeigt haben. Wie werden Kinder, wie besorgte Eltern damit fertig?
Die große Kunst ist es, das wird im Gespräch mit Radunski deutlich, Kindern das richtige Verhalten in so einer Situation zu vermitteln, ohne dass sie das Grundvertrauen in die Welt verlieren.„Wir Erwachsenen leben ja auch von diesem Grundvertrauen.Wenn wir in die Stadt gehen, dann können wir das, weil wir darauf vertrauen, dass uns die anderem Menschen erst einmal nichts Böses wollen.“Es geht für Erzieher und Eltern darum, mit Kindern Verhaltensweisen einzuüben und Absprachen zu treffen, wie sie sich verhalten, „und zwar ganz weit weg vom bösen Mann“, sagt Radunski. Nicht Angst einimpfen, sondern eigene Stärke und Sicherheit im Handeln vermitteln: Darum geht es. „Man muss Kindern auch vermitteln, dass es nicht falsch oder feige ist, Angst zu haben und wegzulaufen oder zu schreien“, betont Radunski, „ich bin überzeugt, dass Kinder spüren, wenn etwas am Verhalten Erwachsener nicht richtig ist; wichtig ist, sie zu ermutigen, dass sie solche Gefühle wahrnehmen und nicht unterdrücken.“Von den Kindern, die Begegnungen mit dem Sexualstraftäter hatten, berichtet die Erzieherin, dass einige ein schlechtes Gewissen gehabt hätten, weil sie ja eigentlich wussten, dass man von Fremden nichts annehmen soll. Entscheidend ist, dass Kinder dann genug Vertrauen zu Erzieherinnen oder Eltern haben, sich zu öffnen, zu berichten und nicht aus Angst vor Strafe zu schweigen.
Ein ganz wichtiger Ansprechpartner für Kita und Eltern sei zurzeit die Opferschutzbeauftragte der Polizei, Ute Nöthen, berichtet Radunski. Nöthen hat demnach auch Gespräche mit den Eltern geführt. In solchen Krisen ist das direkte Vier-Augen-Gespräch unersetzbar, betont Radunski. „Wir haben mit Whatsapp- oder Facebook-Kommunikation schlechte Erfahrungen gemacht, weil die Dinge dort eine ungute Eigendynamik entwickeln und immer weiter hochgepusht werden.“Die Gespräche mit der Polizei waren im Gegenzug wichtig, „uns alle wieder auf den Teppich zu holen“, sagt Radunski. Gemeint ist eine Art Rationalisierung von Dingen, die erst einmal Gefühle wie Angst und Wut provozieren und denen man sich ohnmächtig ausgeliefert fühlt. Die Botschaft der Fachleute ist: Es gibt viele solcher Fälle, man hat Strategien, man kann den Kindern helfen und das Richtige tun, man kann damit fertig werden und die Oberhand über sein Leben behalten.
Die Eltern haben eine Fülle von Ideen, wie man den Kindergarten sicherer machen kann, berichtet Radunski. Sie werden nun gesammelt und mit der Polizei durchgesprochen. Einen Sichtschutz am Zaun gibt es bereits seit Juni, seit dem ersten Vorfall. Zum Bedauern der Erzieherinnen ist ein Bereich hinter einem kleinen Hügel, der nicht einsehbar, erst einmal gesperrt. Bedauern deswegen, weil der Hügel zum pädagogischen Konzept gehört. Kinder sollen eben auch mal für sich alleine sein, sich verstecken können; das stärkt auch das Selbstvertrauen.
Worüber sich Radunskí und ihre Kolleginnen wundern, ist, dass der Täter sich zweimal unbemerkt dem Kita-Zaun nähern und dort aufhalten konnte. Der Park an der Rückseite der Kita sei eigentlich belebt und gut besucht, sagt Radunski, „ein Kind hat beschrieben, dass der Mann einen roten Pullover getragen hat“Signalfarbe rot: Warum fällt so einer niemandem auf?
So bleibt der Appell an Besucher des Parks, Anwohner und Passanten: Wachsam sein. Ein Mann, der sich am Zaun eines Kindergartens herumdrückt, ist einen zweiten Blick wert.