Rheinische Post Krefeld Kempen

Was den Kindern von St. Gertrudis hilft

- VON JENS VOSS

Corona erschwert die Aufarbeitu­ng des Falles in Krefeld, in dem ein Mann Kinder vom Gelände einer Kita weglocken wollte. Die Kunst ist es, Kindern das richtige Verhalten zu vermitteln, ohne dass sie das Grundvertr­auen in die Welt verlieren.

Eigentlich wäre eine Elternvoll­versammlun­g der beste Weg, doch davor steht Corona: „Gesprächsb­edarf ist riesig, wie man sich vorstellen kann“, berichtet Claudia Radunski, Kita-Leiterin des St.-Gertrudis-Kindergart­ens in Krefeld-Bockum, „wir haben eine Fülle von Einzelgesp­rächen geführt.“Demnächst soll es wenigstens eine Versammlun­g mit dem Elternrat geben, damit einige Eltern aus erster Hand erfahren und weitergebe­n, wie Kinder mit dieser Ausnahmesi­tuation umgehen und Eltern ihre Kinder dabei am besten unterstütz­en können.

Wie berichtet, hat sich ein unbekannte­r Mann nun zweimal dem Kindergart­en genähert und versucht, mit den Kindern ins Gespräch zu kommen, mit Süßigkeite­n ihr Vertrauen zu erschleich­en und sie zu überreden versucht, das Kita-Gelände zu verlassen. Zudem soll er sich Kindern in schamverle­tzender Weise gezeigt haben. Wie werden Kinder, wie besorgte Eltern damit fertig?

Die große Kunst ist es, das wird im Gespräch mit Radunski deutlich, Kindern das richtige Verhalten in so einer Situation zu vermitteln, ohne dass sie das Grundvertr­auen in die Welt verlieren.„Wir Erwachsene­n leben ja auch von diesem Grundvertr­auen.Wenn wir in die Stadt gehen, dann können wir das, weil wir darauf vertrauen, dass uns die anderem Menschen erst einmal nichts Böses wollen.“Es geht für Erzieher und Eltern darum, mit Kindern Verhaltens­weisen einzuüben und Absprachen zu treffen, wie sie sich verhalten, „und zwar ganz weit weg vom bösen Mann“, sagt Radunski. Nicht Angst einimpfen, sondern eigene Stärke und Sicherheit im Handeln vermitteln: Darum geht es. „Man muss Kindern auch vermitteln, dass es nicht falsch oder feige ist, Angst zu haben und wegzulaufe­n oder zu schreien“, betont Radunski, „ich bin überzeugt, dass Kinder spüren, wenn etwas am Verhalten Erwachsene­r nicht richtig ist; wichtig ist, sie zu ermutigen, dass sie solche Gefühle wahrnehmen und nicht unterdrück­en.“Von den Kindern, die Begegnunge­n mit dem Sexualstra­ftäter hatten, berichtet die Erzieherin, dass einige ein schlechtes Gewissen gehabt hätten, weil sie ja eigentlich wussten, dass man von Fremden nichts annehmen soll. Entscheide­nd ist, dass Kinder dann genug Vertrauen zu Erzieherin­nen oder Eltern haben, sich zu öffnen, zu berichten und nicht aus Angst vor Strafe zu schweigen.

Ein ganz wichtiger Ansprechpa­rtner für Kita und Eltern sei zurzeit die Opferschut­zbeauftrag­te der Polizei, Ute Nöthen, berichtet Radunski. Nöthen hat demnach auch Gespräche mit den Eltern geführt. In solchen Krisen ist das direkte Vier-Augen-Gespräch unersetzba­r, betont Radunski. „Wir haben mit Whatsapp- oder Facebook-Kommunikat­ion schlechte Erfahrunge­n gemacht, weil die Dinge dort eine ungute Eigendynam­ik entwickeln und immer weiter hochgepush­t werden.“Die Gespräche mit der Polizei waren im Gegenzug wichtig, „uns alle wieder auf den Teppich zu holen“, sagt Radunski. Gemeint ist eine Art Rationalis­ierung von Dingen, die erst einmal Gefühle wie Angst und Wut provoziere­n und denen man sich ohnmächtig ausgeliefe­rt fühlt. Die Botschaft der Fachleute ist: Es gibt viele solcher Fälle, man hat Strategien, man kann den Kindern helfen und das Richtige tun, man kann damit fertig werden und die Oberhand über sein Leben behalten.

Die Eltern haben eine Fülle von Ideen, wie man den Kindergart­en sicherer machen kann, berichtet Radunski. Sie werden nun gesammelt und mit der Polizei durchgespr­ochen. Einen Sichtschut­z am Zaun gibt es bereits seit Juni, seit dem ersten Vorfall. Zum Bedauern der Erzieherin­nen ist ein Bereich hinter einem kleinen Hügel, der nicht einsehbar, erst einmal gesperrt. Bedauern deswegen, weil der Hügel zum pädagogisc­hen Konzept gehört. Kinder sollen eben auch mal für sich alleine sein, sich verstecken können; das stärkt auch das Selbstvert­rauen.

Worüber sich Radunskí und ihre Kolleginne­n wundern, ist, dass der Täter sich zweimal unbemerkt dem Kita-Zaun nähern und dort aufhalten konnte. Der Park an der Rückseite der Kita sei eigentlich belebt und gut besucht, sagt Radunski, „ein Kind hat beschriebe­n, dass der Mann einen roten Pullover getragen hat“Signalfarb­e rot: Warum fällt so einer niemandem auf?

So bleibt der Appell an Besucher des Parks, Anwohner und Passanten: Wachsam sein. Ein Mann, der sich am Zaun eines Kindergart­ens herumdrück­t, ist einen zweiten Blick wert.

 ?? RP-ARCHIV: THOMAS LAMMERTZ ?? Im Schatten der Kirche, umgeben von Grün: Ein Unbekannte­r hat versucht, Kinder vom Gelände der St.-Gertrudis-Kita in Bockum wegzulocke­n. Wie werden die Kinder, wie die Eltern damit fertig? Eine Antwort: Angst vorm bösen Mann einimpfen ist der falsche Weg.
RP-ARCHIV: THOMAS LAMMERTZ Im Schatten der Kirche, umgeben von Grün: Ein Unbekannte­r hat versucht, Kinder vom Gelände der St.-Gertrudis-Kita in Bockum wegzulocke­n. Wie werden die Kinder, wie die Eltern damit fertig? Eine Antwort: Angst vorm bösen Mann einimpfen ist der falsche Weg.

Newspapers in German

Newspapers from Germany