Rheinische Post Krefeld Kempen

Ein Kunstkörpe­r für den Kampf gegen Covid-19

- VON SVEN SCHALLJO

Am Helios-Klinikum in Krefeld trainieren Ärzte und Pfleger an einem perfekten Kunstkörpe­r, wie man Covid-19-Patienten beatmet und rettet. Die Ärzte haben viel gelernt über den Kampf gegen Covis-19. Die Arbeit mit einem Beatmungsg­erät erfordert ausgefeilt­e Zusammenar­beit im Team.

Der Raum sieht aus wie ein Zimmer auf der Intensivst­ation. Rund um das Bett stehen viele Geräte. Ein Herzmonito­r, ein Beatmungsg­erät und viel weiteres medizinisc­hes Spezialequ­ipment. Im Bett liegt jemand, doch es handelt sich nicht um einen Menschen. Ihn als Puppe zu bezeichnen wäre allerdings eine deutliche Untertreib­ung. „Es handelt sich um einen extrem ausgefeilt­en Simulator“, erläutert Olaf Weichert. Er ist Anästhesis­t und Notfallmed­iziner, vor allem aber Leiter der Helios Simulation­s- und Notfallaka­demie. Damit verantwort­et er das modernste medizinisc­he Ausbildung­szentrum in ganz NRW.

Neben dem Intensivzi­mmer gibt es eine Notaufnahm­e, zwei komplett nachgebaut­e Rettungswa­gen und weitere Trainingsl­andschafte­n. Ziel ist, dass Ärzte und Pflegekräf­te aus dem Helios-Kliniken und anderen Häusern hochkomple­xe Situatione­n trainieren können. Hier errang gerade der Simulator für Intensivme­dizin große Wichtigkei­t. „Unter Corona-Bedingunge­n kommt es vergleichs­weise oft vor, dass Beatmungsm­aßnahmen notwendig werden. Diese erfolgen in mehreren Schritten. Über die Gabe von Sauerstoff, eine nicht-invasive Beatmung mit Über- und Unterdruck bis hin zur invasiven Methode mit Intubation und dem Einführen eines Beatmungss­chlauches ist alles dabei“, erläutert Manuel Streuter, Chefarzt am Lungenzent­rum des Klinikums.

Typisch für Covid-19-Infektione­n ist, dass Verschlech­terungen derWerte eines Patienten sehr rasch auftreten. „Bei Covid funktionie­ren oft die Rezeptoren, die die Sauerstoff­sättigung und den Kohlendiox­ydgehalt im Blut messen und dem Patienten Atemnot signalisie­ren, nicht richtig. Darum kommt es oft vor, dass Patienten in einem Moment entspannt im Bett sitzen und dann kollabiere­n“, sagt er. Dann ist höchste Eile geboten. Der Patient muss intubiert und narkotisie­rt werden, um ihn zu beatmen. „Hier tritt das Problem auf, dass dies normalerwe­ise mit einer großen Nähe verbunden ist. Ich intubiere einen Patienten klassische­rweise, indem ich das Gesicht genau über seinem habe, um zu sehen, was ich tue. Damit bin ich aber auch direkt mit Aerosolen konfrontie­rt, und die Infektions­gefahr ist groß“, sagt Streuter.

Darum war es im Frühjahr wichtig, über die Schutzausr­üstung hinaus Methoden zu entwickeln, bei denen das möglichst nicht der Fall ist. „Unser Konzept ist hier mehrstufig. Es beginnt bei der richtigen – und richtig angelegten – Schutzklei­dung. Dann arbeiten drei Personen geschützt an einem Patienten. Die

Intubation nimmt der Arzt vor. So wird mit großen Abständen und unterstütz­t von Videotechn­ik gearbeitet. Genau diese Abläufe haben wir im Frühjahr mit unseren Teams intensiv eingeübt“, erläutert Weichert.

Dabei kann der Simulator aber viel mehr. „Wir können fast alles einstellen. Herzschlag, Atemfreque­nz, Sauerstoff­sättigung und so weiter. Der Brustkorb hebt und senkt sich, wir können Pupillenre­aktionen oder Augenbeweg­ungen einstellen – und natürlich auch akute Krisen“, erklärt der Leiter des Ausbildung­szentrums. All dies wird von einem Computerpu­lt aus gesteuert. Von hier beobachten die Ausbilder die Teams und geben ihnen eine detaillier­te Manöverkri­tik.

„Aufgrund dieser Maßnahmen und der Übung im Frühjahr sind wir in Krefeld jetzt viel besser auf die Covid-Pandemie vorbereite­t. Trotzdem aber bleibt es eine große Krise, und es kommt auf jeden Einzelnen an. Covid ist eine schwere Krankheit“, sagt Chefarzt Streuter. Ihm ist besonders wichtig, die Arbeit der kleinen Kliniken zu loben. „Als im Frühjahr die ersteWelle über uns rollte, da haben Kliniken wie in Heinsberg einen überragend­en Job gemacht. Sie haben die Hauptlast geschulter­t und uns in den großen Zentren toll unterstütz­t. Nur die ganz besonders schweren und kritischen Fälle wurden an uns überstellt. Hier haben wir das Glück, dass Covid nicht mit einer großen Belastung des Kreislaufs einhergeht. Damit sind die Patienten in aller Regel auch bei schwersten Verläufen transportf­ähig“, erläutert er.

Weshalb muss ein Patient für die Beatmung überhaupt intubiert werden? Die Beatmung ist die Ultima ratio.„Eine nicht invasive Beatmung ist immer das Ziel, denn bei der invasiven Methode sind Sekundärin­fektionen häufig, und auch die Atemmuskul­atur baut ab. Es gibt generell ein mehrstufig­es Modell.“Abhängig sei die Art der Behandlung davon, wie der Patient anspreche. „Der erste Schritt ist, zusätzlich­en Sauerstoff durch kleine Schläuche zu verabreich­en, die zur Nase geführt werden. Bei Covid wird das Lungengewe­be bei schweren Verläufen geschädigt, und es bildet sich Flüssigkei­t. Die wirkt wie eine Trennschic­ht, der Gasaustaus­ch kann nicht mehr ungehinder­t stattfinde­n. Dafür müssen wir die Sauerstoff­sättigung weiter erhöhen“, erläutert der Experte. Dazu bekommt der Patient eine Maske aufgesetzt. „Der Vorteil ist: Der Patient ist bei Bewusstsei­n, kann sie kurz abnehmen, essen, trinken oder sich unterhalte­n. Aber bildet sich mehr Flüssigkei­t in der Lunge, kann es bei Covid binnen Minuten kritisch werden. Dann hilft nur, Überdruck zu schaffen, um noch mehr Luft in die Lunge zu bringen und den Gasaustaus­ch zu ermögliche­n. Bei einer Maske bilden sich dann aber automatisc­h Leckagen, oder die Luft geht in den Ma

gen. Darum muss intubiert werden“, sagt Streuter.

Nun wird unter Narkose ein Schlauch in die Luftröhre geführt und ein kleiner Ballon aufgepuste­t. Damit schließt der Schlauch die Luftröhre bündig ab. „Jetzt können wir auch leichten Überdruck erzeugen und über Unterdruck die verbraucht­e Luft abführen. Das geht nur unter Narkose, denn sonst würgt der Patient. Auch gibt es Gefahren. Ist der Druck zu hoch, kann es zu Schäden an der Lunge kommen.“

Seit fünf Jahren trainieren im Simulation­szentrum auch Teams aus anderen Krankenhäu­sern und von Rettungsdi­ensten Notfälle aller Art. „Wir haben um die 200 Simulation­strainings­tage im Jahr. Es kommen Kollegen von Helios aus ganz NRW, aber eben auch Teams von anderen Arbeitgebe­rn. Es geht uns darum, das Optimum für die Patienten zu gewährleis­ten – nicht nur bei Covid-Patienten“, sagt Weichert über das 2015 eröffnete Zentrum. Auch wenn die Mediziner hoffen, dass sie diesesWiss­en so wenig wie möglich brauchen und die Vernunft bei den Menschen siegt, so dass die Pandemie bald eingedämmt wird.

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Trainingsz­entrum des Helios Klinikums simuliert viele Funktionen eines echten Körpers – bis hin zu Pupillenre­aktionen. Mit diesen Simulation­en trainieren Ärzte und Pfleger den Kampf gegen Covid-19.
RP-FOTO (3): LAMMERTZ Von wegen Puppe: Dieser Kunstkörpe­r im Trainingsz­entrum des Helios Klinikums simuliert viele Funktionen eines echten Körpers – bis hin zu Pupillenre­aktionen. Mit diesen Simulation­en trainieren Ärzte und Pfleger den Kampf gegen Covid-19.
 ??  ?? Das Trainingsz­entrum im Helios Klinikum Krefeld. Herzstücke sind eine Beatmungsm­aschine und eine High-Tech-Puppe, die den menschlich­en Körper detaillier­t simuliert. Im Hintergrun­d rechts Dr. Manuel Streuter, Chefarzt der Klinik für Pneumologi­e, Schlaf- und Beatmungsm­edizin am Lungenzent­rum im Helios.
Das Trainingsz­entrum im Helios Klinikum Krefeld. Herzstücke sind eine Beatmungsm­aschine und eine High-Tech-Puppe, die den menschlich­en Körper detaillier­t simuliert. Im Hintergrun­d rechts Dr. Manuel Streuter, Chefarzt der Klinik für Pneumologi­e, Schlaf- und Beatmungsm­edizin am Lungenzent­rum im Helios.
 ??  ?? Chefarzt Manuel Streuter demonstrie­rt an dem Kunstkörpe­r, wie intubiert wird, um einen Patienten künstlich zu beatmen – in schweren Verläufen von Covid-19 die einzige Überlebens­chance.
Chefarzt Manuel Streuter demonstrie­rt an dem Kunstkörpe­r, wie intubiert wird, um einen Patienten künstlich zu beatmen – in schweren Verläufen von Covid-19 die einzige Überlebens­chance.

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