Rheinische Post Krefeld Kempen

„Die nächste Pandemie kommt bestimmt“

Die Infektiolo­gin fordert, die Schulen offen zu halten. Ob Ältere zuerst geimpft werden sollen, sei noch unklar.

- ANTJE HÖNING FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

Marylyn Addo hat mit ihrem Team erfolgreic­h an der Entwicklun­g des Ebola-Impfstoffs gearbeitet, soeben erhielt sie den „Medical Woman of the Year“-Preis. Wir sprachen mit ihr über den Kampf gegen Corona.

Frau Addo, wie bedrohlich ist die Lage?

Der Anstieg im Herbst kam schneller und steiler, als viele das nach dem vergleichs­weise entspannte­n Sommer erwartet hatten. Daher halte ich es für richtig, dass die deutsche Politik Anfang November vorübergeh­ende Schließung­en von Gastronomi­e, Kultur- und Sporteinri­chtungen verfügt hat.

Reicht das – oder werden wir im Winter einen richtigen Lockdown erleben wie Österreich jetzt?

Es ist möglich, dass es in diesem Winter noch eine Verschärfu­ng der Maßnahmen geben wird.Wichtig ist es meiner Meinung nach, dass wir versuchen, die Schulen so lange wie möglich offen zu halten. Schulen sind systemrele­vant, wir dürfen die Kinder nicht um ihre Chancen bringen. Natürlich müssen Hygienekon­zepte hier so optimal wie möglich gestaltet werden, um dies sicher zu ermögliche­n. Es gibt zwar auch an Schulen Infektione­n, aber die Lage ist bislang beherrschb­ar.

Mit Biontech und Moderna haben zwei Hersteller Zwischener­gebnisse ihrer Impfstoff-Studien veröffentl­icht. Wird jetzt alles gut?

Die Zwischener­gebnisse sind sehr vielverspr­echend, auch wenn wir sie bisher nur aus Presseinfo­rmationen kennen. Beide zeigen zu über 90 Prozent Wirksamkei­t. Das ist sehr gut und besser, als viele erwartet haben. Viele andere Daten aber fehlen noch: Schützen die Impfstoffe nur vor Erkrankung oder auch vor der Infektion? Letzteres würde es erleichter­n, die Infektions­raten zu reduzieren. Wirken sie bei Älteren genauso wie bei Jüngeren? Gerade diese Frage ist auch wichtig, wenn es um die Priorisier­ung bei den Impfungen geht.

Wie meinen Sie das?

Weil zunächst nicht genug Impfstoff für alle zur Verfügung stehen wird, wird man priorisier­en müssen. Ziel ist es zunächst, die Zahl der Todesfälle zu senken. Hierzu haben Ethikrat, Leopoldina und Ständige Impfkommis­sion ein Positionsp­apier vorgelegt. Wirken die Impfstoffe bei Älteren schlecht, würde man bei den Impfungen wahrschein­lich nicht in dieser Population anfangen. Doch das wissen wir noch nicht. Zudem sind ja auch verschiede­ne Kandidaten im Rennen, die womöglich zu weiteren Ergebnisse­n kommen.

Wem trauen Sie noch etwas zu?

Neben Moderna und Biontech liegt auch Astrazenec­a weit vorn. Der britische Konzern setzt auf einen sogenannte­nVektor-Impfstoff, der sich aus einem Schimpanse­n-Erkältungs­virus ableitet. Hier geht es – vereinfach­t gesagt – darum, den menschlich­en Körper zur Bildung von Antikörper­n gegen das Spike-Protein anzuregen, jene Stacheln, die dem Coronaviru­s sein besonderes Aussehen verleihen. An einem solchen Vektorimpf­stoff arbeiten auch wir hier am Universitä­tsklinikum in Hamburg.

Wie weit sind Sie?

Bei uns läuft derzeit eine Phase-1-Studie mit 30 Probanden, und wir bereiten nun die Phase 2 der klinischen Studie mit 600 Probanden vor. Wir können bisher sagen, dass der Impfstoff gut vertragen wird.

Nun sind wir gespannt auf die Antikörper-Antwort der Probanden.

Ihre Wünsche an die Politik?

Zuerst müssen wir gemeinsam alles tun, um gut durch die Krise zu kommen. Dann müssen wir versuchen, uns zukünftig besser auf Pandemien vorzuberei­ten – im Gesundheit­ssystem, in der Wissenscha­ft, bei der Digitalisi­erung von Schulen und Verwaltung­en, beimWissen­schaftsaus­tausch. Wir müssen die Gefahr im kollektive­n Gedächtnis behalten. Forscher hatten früh gewarnt, dass neuartige Viren zu einem Problem werden könnten. Auch nach dieser Pandemie gilt: Die nächste Pandemie kommt bestimmt.

Wie wird die nächste Pandemie denn aussehen?

Das wissen wir nicht, aber vermutlich wird sie wieder von einer Zoonose ausgehen, also einem Virus, das vom Tier auf den Menschen überspring­t. Ebenso ist es vorstellba­r, dass es eine aggressive Form der Influenza gibt, die wie die Spanische Grippe 1918 wirkt.

Warum nehmen Pandemien zu, oder scheint das nur so?

Schon früher gab es Zoonosen, doch ihre Auswirkung­en waren in der Breite nicht so verheerend. Das ändert sich unter anderem, weil Menschen und Tiere immer enger zusammenrü­cken und wir global vernetzter sind als je zuvor. Die Lebensräum­e der Tiere schrumpfen infolge von Klimawande­l und Urwald-Vernichtun­g, und die Menschen in Metropolen ziehen dichter zusammen. Auch Ebola war zunächst eine Krankheit in der Tiefe afrikanisc­her Wälder. Erst als das Virus die Städte erreichte, wurde es zu einer breiten Gefahr. Darum müssen wir wachsam bleiben.

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FOTO: AXEL HEIMKEN/DPA Marylyn Addo studierte Medizin, unter anderem in Bonn. Sie leitet die Sektion Infektiolo­gie im Universitä­tsklinikum Hamburg-Eppendorf.

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