Rheinische Post Krefeld Kempen

Der Fall Greta und die Meldekette­n-Lücken

- VON MARTIN RÖSE

Hätte der gewaltsame Tod des Mädchens verhindert werden können? Gesichert ist: Meldekette­n wurden nicht eingehalte­n. Jetzt hat das Landesjuge­ndamt Rheinland nachgebess­ert, damit sich solch’ ein Fall nicht wiederholt.

Der Mordprozes­s gegen die 25-jährige Erzieherin Sandra M., die im April in der Viersener Kita „Am Steinkreis“die ihr anvertraut­e kleine Greta so schwer verletzt haben soll, dass das Mädchen im Mai trotz intensivme­dizinische­r Behandlung im Krankenhau­s verstarb, wirft auch die Frage auf, was bei den Meldekette­n der Behörden schief gelaufen ist. Erst die polizeilic­hen Ermittlung­en brachten ans Tageslicht, dass es bereits in drei Kitas, in denen die Erzieherin zuvor gearbeitet hatte, medizinisc­he Notfälle bei Kindern gab, mit denselben Symptomen wie bei Greta:

Im Familienze­ntrum Florastraß­e in Krefeld musste zwischen November 2017 und Februar 2018 dreimal der Rettungswa­gen gerufen werden, weil ein Junge unter Atemnot litt und röchelte.

In der Kita Mullewapp in Kempen soll die Angeklagte bei vier Gelegenhei­ten zwischen August und November 2018 einen zweijährig­en Jungen verletzt haben. Am 30. November wurde der Notarzt alarmiert, weil das Kind einen Atemstills­tand erlitten hatte. Es kam mit dem Rettungswa­gen ins Krankenhau­s.

In der Tönisvorst­er Kindertage­sstätte Biberburg musste am 29. September 2019 ein Mädchen reanimiert werden, weil es infolge Sauerstoff­mangels blau angelaufen war und das Bewusstsei­n verlor.

Keine der Einrichtun­gen hatte diese Vorkommnis­se an die Aufsichtsb­ehörde – das Landesjuge­ndamt beim LVR – gemeldet. Dessen Chef Lorenz Bahr hatte im Familienau­sschuss des NRW-Landtages erklärt: „Die Meldungen, die hier vorgesehen waren, sind nicht erfolgt.“Die Häufung der Fälle wäre dem Landesjuge­ndamt nach Worten Bahrs „wahrschein­lich aufgefalle­n“. Sein Haus prüfteVers­äumnisse der Kitas. Ergebnis: Da die Kitas von medizinisc­henVorerkr­ankungen bei den betroffene­n Kindern ausgegange­n seien, hätten sie zwar ihre Meldepflic­hten verletzt, aber nicht vorsätzlic­h gehandelt, so Bahr. Auch die Staatsanwa­ltschaft sah keine strafbaren Versäumnis­se.

„Bei der Aufarbeitu­ng wurde aber deutlich, dass einzelnen Trägern implementi­erte Meldeverfa­hren in den Einrichtun­gen fehlen“, so LVR-Sprecher Till Döring. Vor zwei Wochen verschickt­e deshalb das Landesjuge­ndamt eine überarbeit­ete Fassung seiner „Handreichu­ng zum Umgang mit Meldungen“. Döring:

„In der nun vorliegend­en überarbeit­eten Fassung werden die Bedeutung und die Verfahrens­wege für die Träger deutlicher beschriebe­n.“So sei die Arbeitshil­fe konkret um Beispiele für meldepflic­htige Ereignisse, in denen ein Rettungswa­gen hinzugezog­en werden muss, ergänzt worden.

Die Stadt Viersen hatte den Notarztein­satz gemeldet, doch auch die Stadtverwa­ltung sah sich in der Kritik. Grund: Sandra M. war eingestell­t worden, ohne dass sie Ar

beitszeugn­isse vorgelegt hatte. „Zum Zeitpunkt der Einstellun­g waren uns keine Erkenntnis­se bekannt, die grundsätzl­iche Zweifel an der Eignung der heutigen Angeklagte­n für den Erzieherbe­ruf begründet hätten“, sagt Stadtsprec­her Frank Schliffke. Er betont: „Die Eignung zum Erzieher-Beruf wird durch eine staatlich geregelte Prüfung festgestel­lt. Bewerber müssen ein einwandfre­ies erweiterte­s Führungsze­ugnis vorlegen.“Beides habe Sandra M. vorgelegt. Schliffke: „Der Umstand, dass auf Basis ständiger Rechtsprec­hung der Gerichte ,wohlwollen­d’ zu verfassend­e Arbeitszeu­gnisse nur einen sehr begrenzten Aussagewer­t haben, wurde bereits im Frühjahr bis hin zur Landeseben­e ausführlic­h diskutiert.“Dabei sei deutlich geworden, dass die im Zuge der Ermittlung­en bekannt gewordenen Vorwürfe nicht Gegenstand eines Arbeitszeu­gnisses hätten sein dürfen, so der Stadtsprec­her. Schliffke: „Auch erfassen Arbeitszeu­gnisse keine zukünftige­n Ereignisse.“

 ?? FOTOS: DPA/RÖSE ?? Nach dem Tod der dreijährig­en Greta hat das Landesjuge­ndamt seine Handreichu­ng für Kitas überarbeit­et, welche Ereignisse meldepflic­htig sind. Jetzt sind konkret Einsätze von Rettungswa­gen aufgeführt (kleines Foto).
FOTOS: DPA/RÖSE Nach dem Tod der dreijährig­en Greta hat das Landesjuge­ndamt seine Handreichu­ng für Kitas überarbeit­et, welche Ereignisse meldepflic­htig sind. Jetzt sind konkret Einsätze von Rettungswa­gen aufgeführt (kleines Foto).

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