Rheinische Post Krefeld Kempen
Wann ein Stollen wirklich gut ist
Wegen der Corona-Pandemie fand die Prüfung der vom Bäckerhandwerk gebackenen Christstollen in diesem Jahr unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Dennoch konnte man viel über die Wertigkeit handwerklich hergestellter Christstollen erfahren.
Wie gut sind die Christstollen, die das heimische Bäckerhandwerk traditionell herstellt? Im Rahmen einer Stollenprüfung ließen über 20 der 88 Mitglieder der Bäckerinnung Krefeld/Viersen/Neuss, von der Großbäckerei bis zum Kleinbetrieb, auf freiwilliger Basis ihre vorweihnachtlichen Stollen von KarlErnst Schmalz aus Bocholt, einem von drei Qualitätsprüfern für Backwaren des Deutschen Brotinstituts, testen. Das Institut ist der Akademie des Deutschen Bäckerhandwerks mit Sitz in Weinheim zugeordnet und für die Qualitätskontrolle von Backwaren zuständig.
Pandemie-bedingt konnte in diesem Jahr die Qualitätskontrolle der Christstollen nicht wie im vergangenen Jahr öffentlich im Eingangsbereich des Kaufhofs am Neumarkt stattfinden. So verlegte sie Innungsobermeister Rudolf Weißert kurzerhand in die Backstube seiner Forstwalder Bäckerei an der Hückelsmaystraße. Eine angemessene Kulisse für eine Qualitätsprüfung, in der sich auch die anwesenden Innungsbäckermeister im Nu heimisch fühlen, wie man an ihren angeregten Gesprächen ablesen konnte.
Seit 1992 gibt es diese Stollenprüfung in Krefeld, berichtete der Hausherr. Die Prüfungsmodalitäten sind mit den Jahren strenger geworden. Um eine für das jeweilige Betriebsmarketing wichtige Goldmedaille zu erringen, muss der Betrieb in drei aufeinander folgenden Jahren die Note „Sehr gut“für ein Produkt erhalten haben.
Hinter einem langen Tisch hat der Prüfer Platz genommen. Vor ihm sind weit über 30 mit Kennzahlen anonymisierte Christstollen über die ganze Tischlänge ausgebreitet; dazwischen liegen Tüten mit Spritzgebäck, Printen, Spekulatius und schokoladigen Spitzkuchen. Schmalz öffnet die farbenfrohe rotgoldene Verpackung. Mit einem scharfen Messer teilt er den Stollen und schneidet an einer Schnittkante ein schmales Stück ab. Auf die intensive Geruchsprobe folgen verschiedene Tastproben. Schmalz bewertet nach rein sensorischen Kriterien. Form und Aussehen, Oberfläche und Kruste, Lockerheit und Krumenbild, Struktur und Elastizität. Nicht zuletzt tragen auch Geruch und Geschmack zum Urteil des Prüfers bei.
Seine Befunde trägt der erfahrene Bäckermeister unter der Kennnummer des Prüfgebäcks in einen Kopfbogen des Deutschen Brotinstitutes ein. Fehler bei der Herstellung wie beispielsweise zu starke Hitze beim Backen, die eine fast schwarze Kruste bewirken, die sich nicht richtig mit dem Stolleninneren verbindet und unerwünschte Bitterstoffe erzeugt, bespricht der Tester sofort und unterbreitet Verbesserungsvorschläge.
Bis zu 30 verschiedene Tests schafft die Zunge des Prüfers an einem Prüftag. Damit seine Geschmacksnerven bis zum Schluss durchhalten, nimmt Schmalz nach jedem Einzeltest einen Schluck schwarzen Tees zu sich. „Seit nunmehr 33 Jahren bin ich als Qualitätsprüfer unterwegs“, erzählt der Testprofi im Gespräch. „Ein handwerklich von einem Bäcker hergestellter Christstollen ist von der Menge der Zutaten extrem hochwertig und muss notwendigerweise mehr kosten als die vielerorts angebotenen Billigprodukte.“
Die gesetzlichen Bestimmungen sehen beim Stollen einen dreißigprozentigen Fettanteil und 60 Prozent Fruchteinlage vor. Der Handwerksstollen liege weit darüber. Auf zehn Kilogramm Mehl würden bis zu 15 Kilogramm Früchte verarbeitet. Dies und der 30-prozentige Butteranteil, der beim Butterstollen sogar auf 40 Prozent anwachse, machten den vom Bäckerhandwerk gebackenen Christstollen sehr hochwertig und äußerst saftig, vor allem dann, wenn er von außen in einen leichten Überzug aus Butterfett „gekapselt“werde.
Obermeister Weißert nennt ein Beispiel: Im vergangenen Jahr sollte ein Krefelder Christstollen in die USA verschickt werden. Er blieb aber in Schottland hängen. Als die Post den Fehler nach Wochen korrigierte, übermittelte der Empfänger sein Erstaunen darüber, dass der Stollen nichts von seiner saftigen Geschmeidigkeit eingebüßt hatte.
Brotkönigin Caroline Puppe entstammt der großen Neusser Bäckerei Puppe und ist selbst Bäckermeisterin. Frauen seien im Bäckerhandwerk auf dem Vormarsch. In ihrem Meisterkurs machten angehende Meisterinnen bereits ein knappes Drittel aus. Ihr Lieblingsstollen ist der traditionelle Butterstollen mit einem hohen Anteil an süßen Mandeln.
Daneben sind der Vielfalt keine Grenzen gesetzt: Vom Dinkel-Vollkornstollen über Rosinenstollen mit Marzipan und Orangeat und Zitronat über Cranberry-Stollen mit bitterer Schokolade bis hin zum Krefelder Altbier-Stollen, den die Bäckerinnung mit der Brauerei Königshof propagiert, ist die Vielfalt breit gefächert. Im Rekordjahr 2015 habe man in Deutschland rund 300 verschiedene Stollen gezählt. Qualitätsprüfer Schmalz und Innungsobermeister Weißert betonen aber, dass der Butterstollen immer noch am häufigsten verlangt werde, oft auch mit Mandeln und Marzipan gefüllt.