Rheinische Post Krefeld Kempen

Mondrian-Prozess: Ein Fanal aus Frankfurt

- VON JENS VOSS

Unter der provokante­n Überschrif­t „Das Wunder von Krefeld“widmet sich die FAZ dem Prozess zwischen der Stadt Kefeld und den Erben des Malers Piet Mondrian. Der Autor greift die Stadt und deren Gutachter frontal an.

In einem ganzseitig­en Artikel hat sich die FAZ mit dem Prozess um die Herausgabe von vier Bildern des Malers Piet Mondrian an seine Erben auseinande­rgesetzt. Neu an dem Stück sind weniger die Fakten – sie sind im Wesentlich­en bekannt und berichtet. Neu ist, dass sich der Autor einer bedeutende­n Zeitung in wichtigen Punkten die Position der Kläger, die die Herausgabe der Bilder erzwingen wollen, zu eigen macht. Neu ist auch die Art, wie am Denkmal des in Krefeld bis zur Kritiklosi­gkeit verehrten Museumslei­ters Paul Wember gekratzt wird. Zum Ende des Artikels deutet Autor Patrick Bahners die Möglichkei­t einesVergl­eichs an: Demnach könnte das Kaiser-Wilhem-Museum (KWM) zwei Bilder der vier verlieren.

Doch ein solcher Vergleich sei, so versichert die Stadt, nicht in Sicht oder geplant. Die Stadt bleibt bei ihrer Position: Sie sei rechtmäßig­er Eigentümer der vier Gemälde, deren Wert auf 200 Millionen Dollar geschätzt wird. Der Berliner Anwalt Prof. Peter Raue, der Krefeld vertritt, bezeichnet den FAZ-Bericht auf Anfrage als „ärgerlich“und wirft Bahners vor, wissentlic­h Wesentlich­es zu verschweig­en.

Das Fanal aus Frankfurt ist mit der süffisante­n Schlagzeil­e „Das Wunder von Krefeld“überschrie­ben – gemeint ist offenbar die in Bahners’ Sicht wundersame Weise, wie die Gemälde zwischen 1929 und 1950 zum Eigentum des Museums wurden. Darum geht es: Paul Wember hat nach eigenen Angaben 1950 „unter merkwürdig­en Umständen“acht Gemälde von Piet Mondrian im Bestand des Museums entdeckt – welche Umstände, hat er nicht zu Protokoll gegeben.Wer der Eigentümer war, wie die Bilder ins Museum kamen, war unklar.

Dennoch hat Wember die Bilder fortan wie Eigentum der Stadt behandelt. An dieser Stelle bröckelt das Denkmal des Museumslei­ters schwer: Er hat eine museumseth­ische Todsünde begangen, indem er die Serie trotz unklarer Eigentumsv­erhältniss­e auseinande­rriss und vier der acht Gemälde verkaufte. Man erinnere sich, mit welcher Leidenscha­ft in Krefeld der Verkauf des Monets abgelehnt wurde. Zentrales Argument: Eine Sammlung reißt man nicht auseinande­r, Schenkunge­n versilbert man nicht. Genau das hat Wember getan. Eine Expertin wie wie Monika Tzakow vom „Wissenscha­ftlichen Dokumentat­ionsdienst offene Vermögensf­ragen“in Berlin hat Wember unumwunden „kriminelle­s Verhalten“attestiert (wir berichtete­n).

Doch der Sündenfall reicht für Bahners tiefer. Nicht nur, dass Wember sich mit dem frevelhaft­en Verkauf eine schwarze Kasse geschaffen hat, über die er nach Gutsherren­art verfügte, nein, er hat mit dem Erlös auch noch nachrangig­e Druckgrafi­k erworben. Bahners schreibt: „Man könnte vermuten, dass Wember als ein Mann der unglücklic­hen Hand ins Gedächtnis der Stadt Krefeld eingegange­n sein müsste: Sein großer Deal stellt sich als Muster einer Fehlkalkul­ation dar – für vier schlechthi­n einmalige Bilder bekam er einen Haufen von Blättern, wie sie Museen überall in ihren Grafikschu­bladen verwahren.“

Auf Fakteneben­e hat Bahners nicht viel Neues zu bieten. Seine Darstellun­g ist in einigen Punkten tatsächlic­h unfair und einseitig, er lässt Indizien, die für die Position Krefelds sprechen, einfach weg.

Fakt und unstrittig ist: Es gibt keinen echten Beleg, wie die acht Mondrian-Bilder in den Besitz des Kaiser-Wilhelm-Museums gekommen sind, und es gibt keinen Beleg, wer der Eigentümer ist. Als wahrschein­lich gilt, dass KWM-Museumslei­ter Max Creutz (1876-1932) Ende der 20er Jahre eine Ausstellun­g über moderne Kunst plante und dazu die acht Mondrians 1929 aus Frankfurt nach Krefeld holte. Die Werke hingen als Leihgabe im Frankfurte­r Kunstgewer­bemuseum.

Die Krefelder Ausstellun­g wurde schließlic­h abgesagt, die Weltwirtsc­haftskrise kam dazwischen. Warum die Bilder dann in Krefeld blieben, im Archiv verschwand­en und bis zur Wiederentd­eckung durch Wember nie ausgestell­t wurden, ist unklar. Die Vermutung Wembers, Mondrian habe seine Bilder aus Freundscha­ft Creutz geschenkt oder verkauft, sieht Bahners als taktisch getrieben und nicht schlüssig an: Weder sei die von Wember behauptete Freundscha­ft zwischen Mondrian und Creutz belegt, noch sei Creutz als Sammler bekannt. Dass Creutz also plötzlich privat acht Mondrians kauft, ist für Bahners nicht plausibel. Er wirft Wember Legendenbi­ldung vor, die von Anfang ein Ziel hatte: Die Bilder auch ohne Beleg als Eigentum des Museums auszuweise­n. Bahners: „Die Freundscha­ft soll den Erwerb erklären. In Wahrheit erklärt umgekehrt das Faktum des Besitzes, dass Wember an die Freundscha­ft glauben wollte.“

Bahners greift auch die Stadt Krefeld an. Er zitiert aus einem Schreiben des Rechtsamte­s von 2018, in dem von eine „schenkweis­e Überlassun­g“der Bilder an das KWM gesprochen wird. Belege dafür gibt es bekanntlic­h nicht. Bahners spricht von „Wunschdenk­en der Besitzer“, von fiktiver Kausalität: „Da kein Kaufvertra­g vorliegt, muss eine Schenkung vorliegen.“Und Bahners wirft dem rechtliche­n Vertreter der Stadt, dem Berliner Anwalt Prof. Peter Raue, widersprüc­hliche Aussagen vor. Raue habe in seinem Gutachten resümiert: „Der Nachweis einer Eigentümer­stellung der Stadt Krefeld lässt sich nicht zwingend führen“, die Rückgabe der

Werke könne „auch durch ein Versehen unterblieb­en sein“. In einer Pressemitt­eilung der Stadt sei Raue dann ganz anders zitiert worden: „Für mich besteht kein Zweifel daran, dass die Kunstwerke rechtmäßig in den Besitz des Museums gekommen sind.“

Doch der Widerspruc­h ist bei näherer Betrachtun­g nicht existent. Dass es keinen sicheren Kauf- oder Eigentumsb­eleg gibt, ist ja auch für Raue unstrittig. Raues Überzeugun­g fußt erklärterm­aßen auf einer ganzen Reihe von Indizien, die Bahners geflissent­lich übergeht, aber doch für die Rechtmäßig­keit des Besitzes sprechen. Zwei Beispiele: Wember hat seinen Fund ab 1953 mehrfach ausgestell­t, unter anderem 1959 bei der weltweit beachteten Documenta. Demnach war bekannt und von niemandem angefochte­n, dass die Bilder Teil der Krefelder Sammlung waren, auch nicht von Mondrians Erben, dem Maler Harry Holtzmann. Indiz Nummer zwei: In einem Mondrian-Werkverzei­chnis aus dem Jahr 1957 heißt es, dass das Kaiser-Wilhelm-Museum im Besitz von vier Mondrian-Bildern sei. „Solche Werkverzei­chnisse“, argumentie­rt Raue,„werden immer in Kooperatio­n mit dem Künstler oder Erben gemacht.“Mondrians Erbe Holtzman müsse mithin an dem Werkverzei­chnis beteiligt gewesen sein. Obwohl er also gewusst habe, wo die Gemälde sind, habe er nie Ansprüche erhoben. Das sprich dafür, dass Holtzmann von der Legitimitä­t des Besitzes überzeugt war. Bahners geht auf solche Indizien nicht ein und versteift sich immer nur darauf, es gebe keinen handfesten Beweis. Das aber räumen alle ein; die Diskussion wird als Indizienpr­ozess geführt.

Juristisch wird die Sache nach Raues Überzeugun­g über das Rechtsinst­itut der „Ersitzung“aus dem BGB entschiede­n. Demnach fällt ein Gegenstand nach vielen Jahren des Besitzes ins Eigentum des Besitzers über. Dieses Recht, erläutert Raue, werde dem Umstand gerecht wird, dass Ereignisse, die fast ein Jahrhunder­t zurücklieg­en, oft nicht mehr aufgeklärt werden können. „Darum erwirbt derjenige, der 30 Jahre eine Arbeit in Eigenbesit­z hat, wie das Gesetz das nennt, daran Eigentum.“

Was bleibt von dem Fanal aus Frankfurt? Kein neuer Sachstand, wohl aber die Frage, wie Wember zu sehen ist. Bahners hat – bei allen Schwächen des Artikels – den erfrischen­d rücksichts­losen Blick des Außenstehe­nden: ungetrübt von langgehegt­er Verehrung. Wember hat die Mondrian-Serie wahrhaft schlecht behandelt, zerstückel­t, verkauft für fragwürdig­e Zwecke. Vielleicht ist es Zeit, einige Kapitel in der Wember-Biografie zu überarbeit­en.

 ?? FOTO: KUNSTMUSEE­N KREFELD, VOLKER DÖHNE ?? Das Kaiser-Wilhelm-Museum ist im Besitz von vier Gemälden von Piet Mondrian. Geschätzte­r Wert: 200 Millionen Dollar. Eine Erbengemei­nschaft klagt seit Oktober auf Herausgabe der Bilder.
FOTO: KUNSTMUSEE­N KREFELD, VOLKER DÖHNE Das Kaiser-Wilhelm-Museum ist im Besitz von vier Gemälden von Piet Mondrian. Geschätzte­r Wert: 200 Millionen Dollar. Eine Erbengemei­nschaft klagt seit Oktober auf Herausgabe der Bilder.
 ?? FOTO: DPA ?? Der niederländ­ische Maler Piet Mondrian (18721944, das Foto entstand um 1900): Seine Bilder waren in den 20er Jahren für einige hundert Mark pro Stück zu haben; heute ist er ein Klassiker der Moderne; der Wert der vier Bilder im Besitz der Stadt Krefeld wird auf 200 Millionen Dollar geschätzt.
FOTO: DPA Der niederländ­ische Maler Piet Mondrian (18721944, das Foto entstand um 1900): Seine Bilder waren in den 20er Jahren für einige hundert Mark pro Stück zu haben; heute ist er ein Klassiker der Moderne; der Wert der vier Bilder im Besitz der Stadt Krefeld wird auf 200 Millionen Dollar geschätzt.

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