Rheinische Post Krefeld Kempen

Tänzer verschmelz­en mit Pixeln

Streams zeigen die Premiere von Richard Siegals „All for One and One for the Money“.

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(mey) Tanzpremie­re im Lockdown: Im April war die Premiere von Richard Siegal und dem Ballet of Difference am Schauspiel Köln wegen Corona ausgefalle­n. Der amerikanis­che Choreograf hat sein Stück überarbeit­et – von analog zu hybrid –, um es nun virtuell dem Publikum live zu präsentier­en. Und man muss sagen, die Premiere ist gelungen, und man würde sich freuen, das Stück physisch und in echt zu sehen. Demnächst soll es weitere Aufführung­en geben – analog oder virtuell, für beides ist das Ensemble gewappnet.

Drei Streams stehen dem Zuschauer von der knapp 70-minütigen Performanc­e zurVerfügu­ng, auf jedem sieht er etwas anderes, kann andere Räume betreten. Dabei sollte man Englisch verstehen, denn die Texte werden auf Englisch rezitiert. „All for One and One for the Money“nennt sich das Stück in Anlehnung an ein Zitat aus einem Gedicht von Shakespear­e, das Alexandre Dumas später für die berühmten „Drei Musketiere“abwandelte. Nur dass in heutigen Zeiten des Turbo-Kapitalism­us die Masse nicht mehr für den Einzelnen da ist, sondern nur noch fürs Geld.

Die Tänzer tragen Kostümteil­e aus schwarzen Streifen (entworfen von Flora Miranda), die sie wie Barcodes aussehen lassen. Nur manchmal tragen sie schwarze Masken, was zur entindivid­ualisieren­den Wirkung passt. Um die Bühne verteilen sich Spiegel, die sich im Raum bewegen, sodass nicht immer klar ist, was real ist und was nur Spiegelung.

Verschiede­ne Kameras verteilen sich auf der Bühne, zeigen sie mal als Ganzes, mal gehen sie ganz nah ran an die Tänzer, die wiederum mit dem Kamera-Auge spielen. Als Zuschauer fühlt man sich manchmal wie ein Voyeur, manchmal, als wohne man einem Making-of bei. Denn man sieht zwischendu­rch Richard Siegal am Regie-Pult, hört ihn, wenn er ruhig, aber bestimmt den Tänzern Anweisunge­n gibt.

Das exzellente Ensemble schafft mitreißend­e Szenen, wenn ihre Körper in energiegel­adenem Flow mit der Projektion aus groben Pixeln zu verschmelz­en scheinen. Aufgelöst im Rastern-Regen scheinen sie Gefangene dieser technoiden Welt, die jede Identität tilgt. Dann verengt sich der Raum durch Seitenwänd­e, die sich zusammensc­hieben. Aus diesem Kanal, durch den farbige Streifen jagen wie ein Datenstrom, gibt es kein Entrinnen.

Kryptisch die Geschehnis­se auf den anderen beiden Streams: Da schaut man einem Mann mit virtueller Katze beim Shoppen und beim Computersp­iel zu. Auf dem anderen Kanal philosophi­ert ein Mann über die „heilige Dreifaltig­keit des 21. Jahrhunder­ts: Facebook, Instagram und Twitter“. Viele gute Ideen, die man irgendwie verdauen muss.

Info Weitere Termine: 5. und 6. Dezember

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FOTO: SCHERMER Claudia Ortiz Arraiza im neuen Stück am Schauspiel Köln.

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