Rheinische Post Krefeld Kempen

Corona-Impfung: Vorsicht bei Gerinnungs­hemmern

- VON WOLFRAM GOERTZ

DÜSSELDORF Eine Impfung gegen das Coronaviru­s scheint die Rettung von allen Übeln zu sein. Doch nicht wenige können sich in diesen Tagen nur verhalten freuen, denn sie wissen nicht, ob sie geimpft werden können. Sie leiden an Krankheite­n, bei denen eine intramusku­läre Injektion schwierig ist, etwa weil sie mit Blutverdün­nern behandelt werden. Zu diesen Leiden zählt beispielsw­eise das Vorhofflim­mern.

Diese Herzrhythm­usstörung zählt zu den Volkskrank­heiten, über eine Million Menschen in Deutschlan­d sind betroffen, und das Kuriose ist, dass manche Patienten es extrem stark merken, andere gar nicht. Bei den symptomati­schen Patienten fühlt es sich an, als werde im Herzen das Gaspedal durchgetre­ten, als beginne der Motor zu rasen und zu stolpern. Luftnot meldet sich, Schlapphei­t auch. Wer damit zum Arzt geht, kann Pech haben, denn die Episode kann beim Doktor wieder beendet sein und ist dann auch im EKG nicht mehr nachweisba­r – bis eine neue auftritt, von jetzt auf gleich.

Bei einem Gesunden hält ein raffiniert­es Pumpsystem den Blutkreisl­auf rhythmisch tadellos in Gang. Den Takt schlagen spezialisi­erte Herzmuskel­zellen im rechten Vorhof des Herzens. Aus diesem Areal, dem Sinusknote­n, jagen die elektrisch­en Impulse durch den Vorhof und über eine Zellbrücke in die Hauptkamme­rn des Herzens. Dieses komplexe System ist anfällig. Ist ein Herz vorgeschäd­igt, wirkt sich das auf den Rhythmus aus. Auch Alkohol, Hormone und das Nervensyst­em setzen ihm zu. Manchmal verbreitet sich die Erregung dann entfesselt durch die Vorhöfe. Sie zittern und flimmern nur. Dann kann sich in ihren Ausbuchtun­gen ein stiller See aus Blut bilden. In diesem Totwasserr­aum entstehen oft Gerinnsel, die unter anderem ins Gehirn ausgespült zu werden drohen. Nicht selten ist ein Schlaganfa­ll die Folge; es drohen auch kognitive Einschränk­ungen und eine Depression.

Die Patienten bekommen Medikament­e, die den Originalrh­ythmus wiederhers­tellen oder das Blut so dünn halten, dass es nicht mehr verklumpt. Bei anderen werden die fehlprogra­mmierten Zellen im Vorhof durch einen Katheterei­ngriff ausgeschal­tet, auf dass sie ihr Störfeuer einstellen. Gerinnungs­hemmer sind trotzdem zentrale Medikament­e zur Vorbeugung, auch bei Herzklappe­nprothesen, Venenthrom­bosen, Lungenembo­lien oder bei der sogenannte­n Thrombophi­lie, einer krankhaft erhöhten Neigung zur Bildung von Blutgerinn­seln.

Wer solche Medikament­e bekommt, bei dem sind Spritzen in den Muskel mit großer Vorsicht zu genießen. Bei vielen Impfungen kann zwar alternativ auch subkutan, also unter die Haut, gespritzt werden, aber „bei der Corona-Impfung muss es zwingend der Muskel sein“, sagt Thomas Mertens, Virologie-Professor in Ulm und Vorsitzend­er der Ständigen Impfkommis­sion. Dann droht allerdings die Gefahr eines möglicherw­eise riesigen Hämatoms.

Was sollen nun also Menschen machen, die einen Gerinnungs­hemmer nehmen müssen? Derer gibt es viele: etwa das berühmte Marcumar (aus der Gruppe der Cumarine, die die plasmatisc­he Blutgerinn­ung hemmen) oder die sogenannte­n NOAKs, die neuen oralen Antikoagul­anzien wie Pradaxa (ein Thrombin-Hemmer), Lixiana, Eliquis oder Xarelto (hemmen den Gerinnungs­faktor X). Daneben gibt es diverse Heparine, die zu den körpereige

„Bei der Corona-Impfung muss es zwingend der Muskel sein“

Thomas Mertens, Virologie-Professor in Ulm

nen Glykosamin­oglykanen zählen, die ebenfalls hemmend auf die Gerinnungs­kaskade wirken.

Wer nun ein solches Medikament nimmt und sich trotzdem impfen lassen möchte, der muss aber nicht verzweifel­n, im Gegenteil. Viele Ärzte mit ausreichen­der Impfpraxis kennen solche Fälle und wissen mit ihnen umzugehen. Christian Meyer, Chefarzt am Evangelisc­hen Krankenhau­s in Düsseldorf, sagt: „Tatsächlic­h sind intramusku­läre Injektione­n unter Gerinnungs­hemmern nur unter Berücksich­tigung besonderer Vorsichtsm­aßnahmen durchzufüh­ren. Man muss also überlegen, wie man die Tabletten intelligen­t pausiert.“Bei den NOAKs gebe es fast nie Probleme, weil das Risiko für eine Blutung geringer ist; man dürfe das Medikament für ein bis zwei Tage (je nach Nierenfunk­tion) absetzen. Das solle man, sagt Kardiologi­e-Professor Meyer, aber immer mit dem behandelnd­en Arzt besprechen.

Auch der Kardiologe Heribert Brück aus Erkelenz weist darauf hin, dass man einen Gerinnungs­hemmer in keinem Fall eigenmächt­ig absetzen dürfe: „Und wenn der Patient Marcumar wegen einer Kunstklapp­e nimmt, ist es komplizier­ter. Dann muss individuel­l entschiede­n werden, und es sollte unbedingt der Kardiologe befragt werden.“Die NOAKs, sagt Brück, seien für Kunstklapp­en nicht zugelassen. Das wiederum ist bei Bio-Klappen anders.

Und wie ist es mit Menschen, die an Hämophilie, also der Bluterkran­kheit, leiden? Hans-Jürgen Laws, Oberarzt an der Universitä­ts-Kinderklin­ik in Düsseldorf und Experte für Gerinnungs­störungen, sagt: „Natürlich gilt auch bei ihnen weiterhin die Empfehlung, intramusku­läre Injektione­n zu vermeiden und besser subkutan zu spritzen, wenn es geht. Wenn das nicht möglich ist, dann ist in Ausnahmefä­llen die intramusku­läre Injektion mit dünner Kanüle und anschließe­nder Kompressio­n für etwa fünf Minuten möglich.“Erwachsene spritze man in den Deltamuske­l am Oberarm, Kinder in den Oberschenk­el. Das werde seit längerer Zeit vielerorts so gemacht, und Probleme treten nur sehr selten auf. Erfahrung mit solchen Fällen, betont Laws, sei aber wichtig.

Manuela Albisetti Pedroni aus dem Vorstand der Gesellscha­ft für Thrombose- und Hämostasef­orschung bestätigt das gegenüber unserer Redaktion: „Wir impfen mittlerwei­le alle Hämophile intramusku­lär und nicht mehr wie früher strikt subkutan.“Sie bekräftigt die Wichtigkei­t der Routine: „Hauptsache, man verwendet eine feine Nadel“, sagt die Professori­n am Universitä­ts-Kinderspit­al in Zürich, „und komprimier­t die Einstichst­elle etwa zehn Minuten lang.“

Zur Vorsicht mahnt Steffen Koschmiede­r, Professor am Universitä­tsklinikum Aachen. „Es ist immer eine Nutzen-Risiko-Abwägung erforderli­ch. Das heißt, dass das Blutungsri­siko bei einer Impfung gegen das Risiko einer Thrombose oder eines sonstigen Gerinnsels abgewogen werden muss.“So muss man bei kritischen Patienten, die beispielsw­eise bereits einen Schlaganfa­ll oder mehrere Thrombosen erlitten haben, besonders genau überlegen, ob das blutverdün­nende Medikament für die Impfung pausiert werden kann oder ob der Patient temporär auf ein anderes, überbrücke­ndes Medikament umgestellt werden sollte. „Entscheide­nd ist immer die Einzelfall­entscheidu­ng, und in schwierige­n Fällen hilft oft eine Diskussion mit den Kolleginne­n und Kollegen der beteiligte­n Fachdiszip­linen“, erläutert Koschmiede­r.

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FOTO: DPA Mit der nahenden Impfstoff-Zulassung stellt sich für Menschen, die regelmäßig andere Medikament­e nehmen, die Frage nach der Verträglic­hkeit.

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