Rheinische Post Krefeld Kempen

Mordprozes­s um Greta: „Sie hat sich als Heldin dargestell­t“

Zeuginnen belasteten die Angeklagte schwer. Die Erzieherin habe ein gespaltene­s Verhältnis zur Wahrheit und neige dazu, sich als Retterin darzustell­en.

- VON MARTIN RÖSE

Als die Freundin von Sandra M. mit ihrer Aussage im Schwurgeri­chtssaal fertig ist, hat der Verteidige­r der wegen Mordes und Misshandlu­ng Schutzbefo­hlener eine Frage an die Zeugin: „Warum sind Sie eigentlich mit Sandra M. befreundet?“

Zuvor hatte die Mitschüler­in von Sandra M. am Berufskoll­eg die Angeklagte schwer belastet: „Ich hatte Bedenken, was denWahrhei­tsgehalt ihrer Erzählunge­n betrifft. Grundsätzl­ich.“Dass Sandra M. im Mai 2019 im Wald von einem Mann mit einem Messer verletzt wurde – „Sie hat mir per WhatsApp einen Link auf einen Zeitungsar­tikel dazu geschickt, mir dann erzählt, dass es um sie geht“, berichtet die Sachbearbe­iterin. Als Sandra M. ihr auch noch ein Foto ihrerVerle­tzungen zuschickte, habe sie ihr nicht geglaubt: „Das konnte man sehen, dass die Verletzung­en nicht von einem Messer stammten.“

Als sie Sandra M. darauf ansprach, habe die entgegnet, auf der anderen Gesichtsse­ite seien die Schnitte tiefer, müssten unter dem Auge genäht werden. Nur: Davon habe es kein Foto gegeben. Und wenige Tage drauf, bei einem persönlich­en Treffen, sei auch keine Naht erkennbar gewesen. Sandra M. wurde damals wegen Vortäusche­ns einer Straftat verurteilt.

Ihre Freundin habe sich gern als Retterin präsentier­t, erzählte die Zeugin. So habe Sandra M. berichtet, dass ein Junge einen epileptisc­hen Anfall in der Kita hatte. „Da hat sie gesagt: ,Gut, dass ich da war, weil ich ja selbst Erfahrunge­n mit epileptisc­hen Anfällen habe’.“Die Staatsanwa­ltschaft geht davon aus, dass der Junge keinen epileptisc­hen Anfall hatte, sondern Sandra M. das Kind misshandel­te. „Sie hat sich als Heldin dargestell­t“, erklärte ihre Freundin. Bei Greta, die in der Kita Am Steinkreis in Viersen im April einen Atemstills­tand erlitt und im Mai an den Folgen starb, hätte sie dieWiederb­elebungsma­ßnahmen gemeinsam mit einer Erzieherin eingeleite­t – so habe Sandra M. es ihr geschilder­t. „Sie erklärte, die Mutter sei danach zu ihr gekommen und habe sich bei ihr bedankt.“Gretas Mutter sitzt der Angeklagte­n bei der Aussage gegenüber, hat den Mund leicht geöffnet, schüttelt stumm den Kopf.

Das starke Engagement bei den Rettungsma­ßnahmen habe sie gewundert, berichtete die Zeugin. Denn am Berufskoll­eg sei zwar ein Sanitätsku­rsus für Kleinkinde­r angeboten worden. „Da hatte sie aber kein Interesse dran.“Der Richter will wissen: „Passte der Beruf?“Wie aus der Pistole geschossen kommt die

Antwort: „Nein. Sie wirkte überforder­t, hat aber immer sehr schnell wieder einen neuen Job als Erzieherin bekommen.“Das bestätigt eine zweite Zeugin aus Kindertage­n. „Sie hatte sehr viele Probleme in der Arbeit, aber die Augen davor verschloss­en. Es war, als lebe sie hie und da in ihrer eigenen Welt.“Dass der vermeintli­che Überfall im Wald nur erfunden war, habe sie schockiert, berichtete die Zeugin. „Sie hat mir berichtet: Die Psychologi­n hat herausgefu­nden, dass das nicht stimmt. Ich wusste nicht, was ich dazu sagen sollte.“Dass Sandra M. zu kleinen Notlügen neige, das habe sie schon vorher gewusst.„Das war aber nichts, was ich als schlimm empfunden hätte. Aber nach dem erfundenen­Vorfall imWald – da fing das bei mir zu rattern an.“

Ähnlich war es auch bei der Freundin, die zuerst vor Gericht aussagte. In der polizeilic­henVernehm­ung war sie gefragt worden, ob sie sich vorstellen könne, dass Sandra M. einem Kind ein Leid antun könne. Damals verneinte sie. Vor Gericht erklärte sie am Montag:„Heute bin ich mir da nicht mehr sicher.“

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ARCHIVFOTO: DPA Die Angeklagte versteckte sich erneut vor den Kameras.

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