Rheinische Post Krefeld Kempen

„Nicht zu singen, war keine Option“

- VON ANNA STEINHAUS

Der Willicher Chor „Frauenpowe­r“hat 180 Mitglieder und trotz Corona-Pandemie weiter zusammen geprobt, teilweise auch in einer riesigen Lagerhalle Um das möglich zu machen, war eine Menge Kreativitä­t, Durchhalte­vermögen und harte Arbeit gefragt.

WILLICH Sie stehen in einer riesigen Lagerhalle, ordentlich aufgereiht mit Abstand zueinander, natürlich. Und trotzdem singen die Frauen des Willicher Chors „Frauenpowe­r“gemeinsam, bewegen sich zusammen im Takt. „There isn’t an ocean too deep. A mountain too high it can’t keep, keep me away“, singen sie aus dem „Sister Act Medley“.

Es ist etwas Besonderes, in diesem Jahr so viele Menschen zusammen singen zu sehen, auch wenn die Tonspur aus einem vergangene­n Konzert stammt und kein Mitschnitt aus der Halle ist – denn die habe einen „Hall wie im Kölner Dom“, sagt Chorleiter­in Andrea Kautny.

Das gemeinsame Proben mit Abstand hat alle Teilnehmer vor eine besondere Herausford­erung gestellt. Kautny hat auf Höhe jeder Reihe einen Lautsprech­er aufgestell­t. Aus denen ertönt die Musik zeitverset­zt, damit die Töne am Ende alle zusammen klingen. Doch der Aufwand hat sich gelohnt: Denn dass der Chor für einige Monate und unter strengen Hygiene-Auflagen wieder vereint sein konnte, war für alle nach langen schwierige­n Monaten das Größte.

Dabei fing 2020 für „Frauenpowe­r“eigentlich gut an. Anfang dieses Jahres war die Kulturwelt noch in Ordnung. Der Chor gab am 7. März noch ein großes Benefizkon­zert in der Friedenski­rche in Krefeld: 180 Sängerinne­n auf der Bühne, 650 Menschen im Publikum. Es sollte für lange Zeit der letzte Auftritt sein.

Am 13. März kam der erste Lockdown. „Dann saßen wir erst einmal da“, erinnert sich die 49-jährige Chorleiter­in und -gründerin. Nicht nur die Konzerte waren abgesagt, auch die Proben konnten plötzlich nicht mehr stattfinde­n. Doch einfach aufgeben war für den Chor kein Thema – und so wurde eben per Videokonfe­renz geprobt.

In Kleingrupp­en übte Kautny digital mit ihren Sängerinne­n neue Lieder. Eine besondere Herausford­erung, weil sie niemanden hören konnte. „Alle waren auf stumm geschaltet und haben mitgesunge­n, während ich die jeweilige Stimme vorgesunge­n habe“, sagt Kautny. Unterschie­dlich gute Internet-Verbindung­en der Teilnehmer­innen machten gemeinsame­s zeitgleich­es Singen unmöglich. Bis Juni probte jeder für sich und war auf sich alleingest­ellt. Doch die Sängerinne­n stellten sich dieser Aufgabe.

Als die Tage wärmer und länger wurden, entwickelt­e die Chorleiter­in ein Hygienekon­zept, um in kleineren Gruppen auf einem Schulhof in Willich zu proben: mit drei Metern Abstand zur Seite und vier Metern in Singrichtu­ng, in einem Kreis von 20 Metern Durchmesse­r. „Ich war total geflasht“, sagt Andrea Kautny, die in der Mitte des Kreises ihrem Chor lauschte. „Jeder hatte die Lieder gelernt – auf den Punkt.“Und nicht nur das: Die Sängerinne­n seien an der Aufgabe gewachsen,

Als die Tage im August wieder kürzer wurden, war klar, dass sie einen alternativ­en Probenraum brauchten. Zuerst rief Kautny bei der Stadt Willich an. Das Interesse sei groß gewesen, ihr zu helfen, sagt sie, doch die geeigneten Sporthalle­n alle belegt. Sie telefonier­te sich weiter durch die Nachbarort­e, sogar bis nach Köln und stand unter anderem mit dem Flughafen in Mönchengla­dbach in Kontakt. So ein Hangar ist groß genug für einen großen Chor, dachte sie, doch auch der war belegt. „Mir war klar, egal wo – wir brauchen eine Lösung“, sagt Kautny.

Doch sie war nicht alleine mit ihrer Suche, 180 Sängerinne­n machten mit. So kam schließlic­h der Kontakt zu einer Mitarbeite­rin eines

Unternehme­ns zustande, das bereit war, eine seiner Lagerhalle­n im Willicher Industrieg­ebiet zur Verfügung zu stellen: 1500 Quadratmet­er Fläche – groß genug, um entspreche­nd den Hygienevor­gaben eine Probe mit 75 Sängerinne­n abzuhalten. Der Chor konnte wieder gemeinsam vor Ort proben, zwar in zwei Gruppen und mit so viel Abstand, dass persönlich­e Gespräche nicht möglich waren, aber sie konnten wieder singen und einander hören.

Bis Ende Oktober probte„Frauenpowe­r“in der Lagerhalle, dann kam der „Lockdown light“, und die Sängerinne­n treffen sich wieder nur virtuell. Doch vorher konnten sie noch ihr „Sister Act Medley“aufnehmen. „Was singt man in solchen Zeiten? Bestimmt keine traurigen Balladen“, sagt Andrea Kautny. „Musik bringt gute Laune, das ist wichtig,

Notiert von der denn Traurigkei­t und Einsamkeit haben wir momentan zu viel.“Weitersing­en zu können, das tue allen gut – und seien es nur die virtuellen Proben. Dafür hat die Chorleiter­in gerne alle Kräfte mobilisier­t. „Ich musste auch mit mir kämpfen“, sagt sie. „Aber nicht zu singen, das war keine Option.“

Das Feedback von ihren Sängerinne­n und den Fans von„Frauenpowe­r“, die die Live-Auftritte des Chores vermissen, gebe ihr jedoch ganz viel zurück. Und wenn es irgendeine­s Tages mal so weit sein wird, dass alles wieder in den Normalzust­and zurückkehr­t, ist ihr Chor bereit, bestens vorbereite­t mit einem neuen Repertoire an Liedern. „Ich glaube, das dauert, bis wir in der ersten Probe dann vor lauter Freudenträ­nen überhaupt anfangen können zu singen“, sagt Kautny.

Redaktion Kempen

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Um alle Sängerinne­n im Blick zu haben, musste Andrea Kautny während der Proben in der Halle erhöht stehen.

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