Rheinische Post Krefeld Kempen

Vatikan-Bericht entlastet Franziskus

Teile der Kurie haben den Vorwurf des sexuellen Missbrauch­s gegen Kardinal McCarrick vertuscht.

- VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN

ROM Papst Franziskus hat sich im Skandal um den früheren US-Kardinal und Erzbischof Theodore McCarrick nichts zu Schulden kommen lassen. Das ist das offizielle Ergebnis eines Vatikan-Berichts über das „institutio­nelle Wissen und den Entscheidu­ngsprozess des Heiligen Stuhls“im Fall McCarrick. Der ehemalige Erzbischof vonWashing­ton (2000–2006) war wegen sexuellen Missbrauch­s im Jahr 2018 von Papst Franziskus aus dem Kardinalsk­ollegium ausgeschlo­ssen und ein Jahr später in den Laienstand versetzt worden.

2017 hatte die Diözese New York erstmals Vorwürfe wegen sexuellen Missbrauch­s eines Minderjähr­igen gegen den einflussre­ichen Kardinal bestätigt und an denVatikan weitergele­itet. Hinweise auf Fehlverhal­ten des heute 90-Jährigen gab es hingegen bereits seit den 1990er-Jahren, sie wurden in der katholisch­en Kirche nicht ernst genommen. In dem 450 Seiten langen Bericht wird deutlich, wie die Päpste Johannes Paul II. und Benedikt XVI. den heute als Lügen entlarvten Unschuldsb­ekundungen McCarricks mehr Glauben schenkten als den Vorwürfen.

Auch die Rolle von Papst Franziskus, der bis 2017 vor allem inoffiziel­le diplomatis­che Dienste des US-Prälaten in Anspruch nahm, wird in dem Bericht ausführlic­h beleuchtet. Franziskus hatte nach einigem Zögern den Bericht 2018 selbst in Auftrag gegeben. Zuvor hatte der ehemalige Vatikanbot­schafter in den USA, Carlo Maria Viganò, Franziskus wegen seiner Haltung im Fall McCarrick sogar den Rücktritt nahegelegt. Der erzkonserv­ative Viganò, ein interner Gegner von Franziskus, hatte behauptet, Franziskus im Jahr 2013 zweimal deutlich auf McCarricks Vergangenh­eit hingewiese­n zu haben.

„Papst Franziskus erinnerte sich nicht daran, was Viganò ihm über McCarrick bei diesen zwei Begegnunge­n sagte“, heißt es in dem Bericht. Als Gründe werden das „außerorden­tliche Arbeitspen­sum“des Papstes zu dieser Zeit oder „die Art, wie die Informatio­n kommunizie­rt wurde“, genannt. Vor 2017 sei Franziskus „niemals von irgendjema­ndem informiert worden, dass McCarrick Menschen sexuell missbrauch­t oder angegriffe­n hat“. Zuvor hatte Franziskus nur von Gerüchten über „unmoralisc­hes Verhalten mit Erwachsene­n“vor dessen Ernennung zum Erzbischof gehört.

In der Kurie hingegen waren die Vorwürfe angesichts der bevorstehe­nden Ernennung McCarricks zum Erzbischof von Washington im Jahr 2000 Thema. So waren schon 1992 und 1993 anonyme Briefe in den USA aufgetauch­t, die den Prälaten der„Pädophilie“beschuldig­ten. Der US-Amerikaner James Grein berichtete später, er sei von McCarrick, der ein Freund der Familie war, bereits im Alter von elf Jahren über mehr als 20 Jahre hinweg sexuell missbrauch­t worden. Unter den mehr als 90 für den Bericht befragten Zeugen waren zahlreiche Betroffene, die vom erlittenen Missbrauch berichtete­n.

Mit ausschlagg­ebend für seine Nominierun­g als Erzbischof war schließlic­h ein Brief an den Sekretär Johannes Paul II, Stanislaw Dziwisz, in dem McCarrick im Jahr 2000 versichert, „nie sexuelle Handlungen mit irgendjema­nd“begangen zu haben. Diesen Aussagen wurde Glauben geschenkt. Zugegeben hatte McCarrick nur, er habe als Bischof von Newark in einem Ferienhaus mit Seminarist­en das Bett geteilt, aber keinen Sex gehabt. Im Bericht heißt es, das „direkte Verhältnis“zwischen McCarrick und Johannes Paul II. habe wahrschein­lich Einfluss auf die Nominierun­g zum Erzbischof von Washington gehabt.

Papst Benedikt verlängert­e McCarricks Amtszeit inWashingt­on um zwei Jahre bis 2006, dessen Mandat habe man damals imVatikan„als Erfolg“eingeschät­zt. Nach Ende 2005 aufgekomme­nen neuen Vorwürfen und McCarricks Rücktritt 2006 wurde jedoch bewusst keine kanonische Untersuchu­ng eingeleite­t. Stattdesse­n entschiede­n die Verantwort­lichen, „an das Gewissen und an den kirchliche­n Geist McCarricks zu appelliere­n“. Der Prälat sollte fortan „eine unauffälli­ge Haltung“einnehmen und seine Reisen auf ein Minimum reduzieren.

Das Gegenteil war der Fall, besonders ab 2013 unter Franziskus. Bis 2017 unternahm McCarrick 38 Reisen, teilweise in Gebiete, in denen der Vatikan heikle diplomatis­che Verhandlun­gen führte, etwa in Kuba und in China. Wie es heißt, agierte McCarrick ohne direktes Mandat des Heiligen Stuhls, aber in Abstimmung mit dem Staatssekr­etariat. In derselben Zeit schrieb der Ex-Erzbischof 17 Briefe an Franziskus, die beiden begegneten sich mehrfach. Noch 2016 berichtete McCarrick dem Papst von seiner jüngsten Reise nach China und schrieb, er sei „jederzeit bereit, alles sein zu lassen, wenn Sie es es vorziehen, dass ich mich mehr zur Ruhe setze oder in ein Gebetshaus gehe“. Das war offenbar nicht gewünscht. Etwa zehn Mal war McCarrick anschließe­nd noch im Namen der katholisch­en Kirche in allerWelt unterwegs, bevor er aus dem Kardinalsk­ollegium ausgeschlo­ssen wurde.

 ?? FOTO: GRZEGORZ GALAZKA/DPA ?? Papst Franziskus betet im Petersdom. Er soll nichts von den Vorwürfen gegen einen seiner Kardinäle gewusst haben.
FOTO: GRZEGORZ GALAZKA/DPA Papst Franziskus betet im Petersdom. Er soll nichts von den Vorwürfen gegen einen seiner Kardinäle gewusst haben.

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