Rheinische Post Krefeld Kempen

Kosovo gerät durch Prozesse in Den Haag tief in die Krise

- VON THOMAS ROSER

BELGRAD/DEN HAAG Nach der Eröffnung der Kriegsverb­recherproz­esse gegen Kosovos Dauerregen­ten Hashim Thaci und die frühere UCK-Führung droht der Staatsneul­ing in die schwerste Krise seiner erst zwölfjähri­gen Geschichte zu schlittern. Neuwahlen und die erneute Unterbrech­ung des Dialogs mit Serbien zeichnen sich ab.

Den vertrauten Amtssessel hat Kosovos gestrauche­lter Dauerregen­t Hashim Thaci mit der Anklageban­k getauscht. Mit sichtliche­m Unwillen ließ der wenige Tage zuvor abgetreten­e Ex-Präsident bei seinem erstmalige­n Erscheinen vor dem Kosovo-Sondergeri­chtshof in Den Haag die Verlesung der Anklagesch­rift über sich ergehen.

Die Anklage entbehre „jeglicher Grundlage“, wies der frühere Kommandant der Befreiungs­armee UCK den Vorwurf der Verantwort­ung für Kriegsverb­rechen wie Mord, Verfolgung und Folter während des Kosovokrie­gs 1999 zurück: „Ich erkläre mich in jedem Punkt für unschuldig.“

Hunderte von Kosovo-Serben, Roma aber auch Albaner, die der Kollaborat­ion mit der jugoslawis­chen Volksarmee verdächtig­t wurden, sollen in UCK-Gefangenen­lagern zu Opfern schwererVe­rbrechen geworden sein. Bei ihrer Beweisführ­ung gegen Thaci und andere frühere UCK-Kommandant­en beschränkt sich die Anklage auf knapp 100 gut dokumentie­rte Fälle: Nur mit hiebund stichfeste­n Beweisen dürfte es gelingen, Thaci die Verantwort­ung für von UCK-Kämpfern begangene Kriegsverb­rechen nachzuweis­en.

Über die „Ungerechti­gkeit“, die der UCK und ihrem „gerechtfer­tigten Kampf“angetan werde, erregen sich in Kosovo nicht nur die Veteranenv­erbände. Es müsse eine internatio­nale Plattform „zur Unterstütz­ung unserer Leute“vor Gericht und zur Erinnerung an den „sauberen Krieg der UCK“geschaffen worden, fordert Isa Mustafa, der Chef der regierende­n LDK.

Doch nicht nur wegen der von vielen Kosovaren abgelehnte­n juristisch­en Aufarbeitu­ng der dunklen Seiten des Befreiungs­kriegs droht der Staatsneul­ing in die schwerste Krise seiner zwölfjähri­gen Geschichte zu schlittern. Die Eröffnung der Kriegsverb­recherproz­esse verschärft die labile Lage in Kosovo. Mit Adullah Hoti (LDK) hat im Juni bereits der dritte Premier des Jahres die Regierungs­geschäfte übernommen. Das Ende seiner Minderheit­skoalition dürfte nun noch schneller als erwartet in Sicht kommen: In Pristina zeichnen sich vorzeitige Neuwahlen und die Unterbrech­ung des Dialogs mit Serbien ab.

Seine eifrige, aber etwas unglücklic­he Pendeldipl­omatie zur Wiederbele­bung des Dialogs der unwilligen Nachbarn scheint der erst im Sommer ernannte EU-Sonderbeau­ftragte Miroslav Lajcak bis auf Weiteres einstellen zu können. Denn in Kosovo mehren sich die Stimmen, die Gespräche mit Serbien vorläufig abzubreche­n.

 ?? FOTO: AP ?? Hashim Thaci sitzt auf der Anklageban­k in Den Haag.
FOTO: AP Hashim Thaci sitzt auf der Anklageban­k in Den Haag.

Newspapers in German

Newspapers from Germany