Rheinische Post Krefeld Kempen
Lastenrad fahren: Ein Vater erzählt
„Ein Lastenrad. Das Statussymbol der jungen Familie, der Ökoaktivisten im Straßenverkehr und das Hindernis in der Einbahnstraße, wenn der Verkehr für Fahrräder in beide Richtungen freigegeben wurde. Damit hätten wir im ersten Satz schon drei Vorurteile untergebracht, und nun können wir uns dem eigentlichen Thema wieder widmen. Ein Lastenrad? Das ist so ein Dreirad, was mit Mutti ziemlich schwerfällig um die Kurve kommt und die Zwillinge vom Kindergarten nach Hause bringt? Fast richtig. Ein Lastenrad kann drei Räder haben, muss es aber nicht.
Gerade im gehobenen Preissegment finden sich viele Lastenräder, die mit nur zwei Rädern sehr gut auskommen. Wir hatten daheim zuerst ein Dreirad, und es war mir ein absoluter Graus. Dreiräder bieten der Physik bei jeder Fahrt die Stirn, und sowohl Flieh- wie auch Anziehungskraft gewinnen bei diesem Spiel gegen den Fahrer. Wer nicht stürzen will, der muss entweder sehr langsam fahren oder das Radfahren ganz neu für sich erlernen. Da stellte ich mir natürlich die Frage, ob ich, der seine Kindheit in den 70ern auf einem gelben Bonanza-Rad verbracht hatte, heute mit 50 Jahren noch einmal neu das Fahren eines Rades erlernen will. „Belaste einfach mehr die linke Pedale, wenn Du in eine Rechtskurve einbiegst“oder „schau, dass Du möglichst nie mit einem leeren Lastenrad fährst.“
Soll ich Anhalter am Straßenrand aufgabeln? Nein, wir gaben das Rad dem Händler zurück und bekamen dafür ein Lastenrad mit zwei Rädern. Das ist wendig, sportlich und, um es mit den Worten unserer vierjährigen Tochter Leni zu sagen, eine „Rakete“.
Mit einem Dreirad weicht man Schlaglöchern nur schwer aus, und auch wenn wir in Krefeld nicht viel haben – ein Mangel an Schlaglöchern herrscht nicht.Wenn man mit einem Zweirad über buckelige Fahrradwege fährt, weil die Baumwurzel sich der Städteplanung nicht unterzuordnen weiß, dann ruckelt es in einem Zweirad zweimal und in einem Dreirad dreimal. Kinder werden in einem Dreirad deutlich mehr durchgerüttelt und am Schlaf gehindert als in einem Zweirad.
Die Meinungen gehen hier aber weit auseinander. Die einen lieben dieVariante, bei der man an der Ampel im Sattel sitzen bleiben kann, und die anderen lieben die Varianten, bei der man in der Kurve richtig Spaß hat. Wichtig ist nur, dass jeder sein passendes Rad findet, und wer im Vorfeld eines Kaufes nicht beiden Varianten eine Chance gibt, der trifft vielleicht eine Entscheidung, die er später korrigieren muss.
In Krefeld wird man mit seinem Lastenrad noch ziemlich bestaunt. Steht man beim Bäcker und will Brötchen holen, dann kommen die Leute und fragen nach dem Preis, dem Namen des Rades und „ob so etwas schwer zu fahren ist“. Ich biete den Leuten dann gerne eine Runde auf unserem Rad an, aber den meisten ist es nicht ganz geheuer.
In Köln oder Düsseldorf gehören Lastenräder mit einer ganz anderen Selbstverständlichkeit zum Bild einer jeden Straße. Köln fördert sogar den Kauf von Lastenrädern. Alleine im Jahr 2020 mit 500.000 Euro. Bleibt die Frage, was macht man damit eigentlich? Man fährt einkaufen, holt die Kinder ab, macht Ausflüge, und man hat Spaß dabei.
Wichtig ist noch - man lässt sein Auto stehen. Wenn ich auf meinem Rad sitze, dann sitze ich nicht in meinem Auto. Das klingt simpel, aber es ist wichtig. Man bewegt sich, ist aktiv, und man schont die Um
Andre Göttel hat mit 50 seine Leidenschaft fürs Radfahren wiederentdeckt – mit einem Lastenrad. Wir baten ihn um einen Erfahrungsbericht. Es war tatsächlich eine Wiederentdeckung: Als Kind war er leidenschaftlicher Bonanzaradfahrer.
„In Krefeld wird man noch bestaunt. Beim Bäcker fragen die Leute, ob so etwas schwer zu fahren ist“
Andre Göttel Lastenradfahrer
welt. Zurück zu Krefeld und dem Lastenrad.
Man kann hier fahren, aber wenn man wie ich, im Alter von 50 Jahren plötzlich wieder seine Liebe zum Fahrrad entdeckt, dann sucht man Schleichwege. Legale Schleichwege, versteht sich. Nicht bei Rot über die Ampel fahren und nicht mit Tempo durch die Fußgängerzone. Man weiß nach ein paar Wochen, wo die Wege sind, die etwas weniger schlecht sind. Richtige gute Wege gibt es in Krefeld nicht viele, aber vielleicht passiert ja in den kommenden Jahren noch etwas.
So spät, wie ich zum Rad gekommen bin, so spät wurde ich noch einmal Vater, und wenn es irgendwas gibt, was mir am Lastenrad wirklich gut gefällt, dann sind es Touren mit meiner kleinen Tochter. Sie sitzt nicht – wie im Auto – hinter mir, sondern ich bin es, der hinter ihr sitzt. Wir können uns während der Fahrt unterhalten, wir sehen auf der Johansenaue ein Eichhörnchen über die Straße rennen oder holen uns ein Eis und fahren weiter. Wenn ein Kind zum Spielen zu uns kommt, dann holen wir es mit dem Lastenrad ab. Dann sitzen die beiden Kinder zusammen vorne in der Kiste, und wir flitzen in Oppum die Kronlandbrücke runter.
Unser Lastenrad haben wir eher
zufällig für uns entdeckt. Mittlerweile haben wir keinen Zweitwagen mehr, und unser Lastenrad möchte ich nicht missen. Abgeben werden wir es aber trotzdem, denn manches ist mit Fahrrädern wie mit Autos. Es gibt immer ein noch schöneres Modell. Auch wenn ich es mir nie hätte vorstellen können, mir einmal ein Rad für 5.000 Euro zu bestellen - ich fürchte, dass mir genau das in der letzten Woche irgendwie passiert ist.