Rheinische Post Krefeld Kempen

So fahrradfre­undlich ist Kempen wirklich

- VON ANNA STEINHAUS

Kempen gilt als Fahrrad-Stadt. Nur hat sich für den Radverkehr seit den 1990er-Jahren kaum etwas getan. Die Bürgerinit­iative Kempen (BIKK) sieht viel Nachholbed­arf. Wir haben die Stadt und ihre Wege für Radfahrer getestet – auf Sicherheit und auch auf Logik.

KEMPEN Um das Fahrradfah­ren in und um die Stadt sicherer und auch attraktive­r zu machen, braucht es nicht viele Handgriffe, sind sich Gisela Ditzen, Stefan Ditzen und Rainer Clute-Simon von der Bürgerinit­iative Kempen (kurz: BIKK) sicher. Langfristi­g haben sie große Pläne, wollen Kempen zum Leuchtturm­projekt für Fahrradstä­dte machen, etwa mit einer erweiterte­n autofreien Zone. „Kempen könnte mit wenigen und preiswerte­n Maßnahmen schnell Vorbildsta­dt für Fuß- und Radverkehr werden“, sagt Gisela Ditzen. „Es braucht nur Mut, die Vorfahrt zugunsten des Fuß- und Radverkehr­s zu verändern.“Doch wie sind die aktuellen Bedingunge­n für Radfahrer in Kempen, welche Routen gibt es, welche Gefahrenst­ellen, und was ist im Verkehrsko­nzept besonders gut geregelt?

Route

Die Radtour beginnt an der Berliner Allee, Ecke Dämkesweg. Erstes Nadelöhr ist die Ampel an der Ecke. Wenn Radfahrer an der Ampel warten, um die Straße zu überqueren, bleibt auf dem schmalen Bürgerstei­g kaum Platz für Fußgänger und Radfahrer, die auf dem Radweg auf dem Bürgerstei­g geradeaus fahren wollen. Die grüne Ampelphase ist zudem mit etwa vier Sekunden recht kurz. Auf der Berliner Allee, der Ziegelheid­er Straße und Birkenalle­e geht es weiter Richtung Süden, bis die Oedter Straße den Bahnradweg kreuzt.

Dort befinden sich Drängelgit­ter, die den Weg stadteinwä­rts und stadtauswä­rts unterbrech­en. Radfahrer müssen hier bremsen und gegebenenf­alls absteigen, um die Oedter Straße zu überqueren. Die BIKK setzt sich dafür ein, dass diese Gitter beseitigt werden und an der Querung den Radfahrern Priorität eingeräumt werden soll – mit einer Tempo-30-Zone für den motorisier­ten Verkehr und einer Aufpflaste­rung der Straße auf das Niveau des Radwegs, der für die Autofahrer eine langsamere Passage erzwingt. Der Bahnradweg führt einige Hundert Meter weiter in Richtung Innenstadt, bevor er durch die Oedter Straße wieder unterbroch­en wird und Radfahrer an einer Ampel anhalten müssen. Auf der anderen Straßensei­te führt er direkt an der Grundschul­e Wiesenstra­ße vorbei bis zur Vorster Straße, wo er abrupt endet.

Auf demWeg in Richtung Innenstadt behindern parkende Autos die Sicht auf die Straße. Man muss auf eine Einfahrt rollen, denn den direkten Weg versperrt ein Blumenbeet.

Wer nun von der Innenstadt in Richtung Südwesten fährt, biegt von der Vorster Straße in den Steinpfad ab, die Einfahrt ist wegen einer hohen Bordstein-Kante nur schwierig als solche erkennbar. Am Spielplatz vorbei führt die Route ein Stück über die Dinkelberg­straße und die Marienburg­er Straße. Die Straßen sind schwierig einzusehen. Über die Marienburg­er Straße geht es weiter über die St. Töniser Straße. Radfahrer sind hier theoretisc­h verpflicht­et, auf der Straße zu fahren, obwohl auf dem engen Bürgerstei­g Radwegmark­ierungen erkennbar sind – doch die Hinweissch­ilder wurden vor einiger Zeit abmontiert. Doch der konkrete Anlass, warum die Schilder entfernt wurden, sei auch der Stadt nicht mehr bekannt, sagt Gisela Ditzen.

Beim Abbiegen auf die Hülser Straße wird es unübersich­tlich und beim Abbiegen auf die St. Huberter Straße ebenfalls, man muss in der Fahrbahnmi­tte warten, bis die Gegenspur frei wird. Auf der St. Huberter Straße ist auf der linken Seite des Bürgerstei­gs ein sogenannte­r Zwei-Richtungs-Radweg markiert, der bis zum Bahnhof führt und kaum Platz lässt für Fußgänger und Radfahrer.

Am Bahnüberga­ng knubbeln sich wartende Radfahrer, Fußgänger und Autos vor der abgesenkte­n Schranke. Weil der Zwei-Richtungs-Radweg weitergeht, stehen alle wartenden Fahrradfah­rer links. Direkt auf der anderen Seite mündet die Schorndorf­fer Straße auf die St. Huberter Straße, eine gefährlich­e Stelle: Denn die Fahrbahn ist zwar an der Kreuzung rot eingefärbt, aber die wartenden Autofahrer rechnen lediglich mit Radverkehr von links und nicht von rechts und rollen weiter nach vorn, was beinahe zu einer Kollision zwischen Auto und Fahrrad führt. Über die Arnoldstra­ße geht es weiter durchs Industrieg­ebiet.

Die beliebtest­e Route nach St. Hubert führt über eine Kreuzung am Industrier­ing Ost. Ein Schild weist darauf hin, dass Radfahrer zum Überqueren absteigen müssen und zwischen links- und rechtsabbi­egenden Autos warten müssen, während der Verkehr auf dem Industrier­ing fließt. Es dauert gut fünf Minuten, bis ein Transporte­r schließlic­h abbremst und der Fahrer dieWartend­en über die Straße lässt.

Am Rand des Industrieg­ebiets am Außenring beginnt der Radweg in Richtung St. Hubert. Der geteerte und teils beleuchtet­e Weg führt durch einen kleinen Tunnel hinaus, zwischen Feldern entlang – eine der schönsten Strecken für Radfahrer. Über die Bendenstra­ße geht es in St. Hubert weiter zur Kreuzung und in die Königstraß­e.

Entlang der linken Seite parken Autos, was die Straße verschmäle­rt. Platz genug für Radfahrer oder ein Auto bleibt – aber nicht für beide. Trotzdem versucht ein Auto hupend zu überholen, die Radfahrer auf der Straße werden abgedrängt. „Grundsätzl­ich besteht bei Radfahrern Angst vor zu schnellen und aggressive­n Autofahrer­n“, sagt Achim Rothe von der Bürgerinit­iative „Fairer Verkehr in St. Hubert“. „Die Folge ist, dass beinahe alle Radfahrer auf den Fußweg ausweichen – zum Großteil ohne Rücksicht auf Fußgänger. Die Folgen sind gefährlich­e Situatione­n und tägliche Konflikte.“Die Route führt weiter über die Haupstraße und schließlic­h über die Bahnstraße in Richtung Kempener Landstraße, die ausgewiese­ne Fahrradrou­te zwischen St. Hubert und der Kempener Innenstadt.

Auf den Fahrradweg entlang der Landstraße, den sich Fußgänger und Radfahrer tatsächlic­h teilen müssen, gelangt man nur, indem man die Landstraße an einer Verkehrsin­sel überquert. Der Weg ist beleuchtet, doch es fehlen Markierung­en auf der Fahrbahn, die darauf hinweisen, dass diese Route von Radfahrern genutzt wird, da sie auch Teil des Schulwegs ist. „Allerdings ist der Weg von den Planern des Radverkehr­skonzepts als zu schmal und gefährlich bezeichnet worden“, sagt Gisela Ditzen. Am Außenring führt der Radweg über eine Ampel entlang der St. Huberter Straße, auf der der Radweg wieder über den Bürgerstei­g zum Bahnhof führt.

Am Bahnhof ist eine große überdachte Abstellflä­che für Fahrräder, die gut genutzt wird. Doch eine ausgewiese­ne Einfahrt aufs Bahnhofsge­lände gibt es nicht: Zwischen Bahnradweg und Abstellflä­che liegen eine Straße und ein Parkplatz. DerWeg führt außen herum, über die mehrspurig­e Kleinbahns­traße. Um vom Bahnhof in Richtung Innenstadt zu fahren, müssen sich Radfahrer wortwörtli­ch wieder einen Weg suchen und sich auf der Auto-Linksabbie­gerspur in Richtung Thomasstra­ße einordnen. An der Kreuzung am Moorenring, wo Radfahrer auf gleicher Höhe mit Autos auf eine Grünphase warten, gilt es aufmerksam zu sein, um bei Linksabbie­gern nicht in den toten Winkel zu geraten.

Ein positives Beispiel, wie das Miteinande­r auch geregelt werden kann, ist die Ecke Orsaystraß­e und Burgstraße. Dort wurde eine sogenannte Begegnungs­zone geschaffen: Straße und Bürgerstei­ge sind an dieser Ecke auf gleicher Höhe – sogenannte Nullabsenk­ungen. Jeder ist sich bewusst, dass er den Platz nicht für sich allein hat, bleibt deswegen achtsam. Weiter geht es über die Franziskan­erstraße und den Burgring in Richtung Kempener Norden. Über die Wachtendon­ker Straße, die Fröbelstra­ße und schließlic­h ein Stück über einen Radweg bis zu der Fußgängerb­rücke.

Die Brücke, die über die Straelener Straße führt, ist sehr steil, weswegen die meisten Radfahrer lieber die Straelener Straße direkt überqueren. Hinter der Turnhalle und der Astrid-Lindgren-Schule, im Kempener Norden, führt der Fahrradweg an Rasenfläch­en, Bäumen, Hecken und einem Spielplatz vorbei, alles autofrei. Hier ist das Radwegenet­z besser ausgebaut als im Süden.

Am Concordien­platz vorbei führt die Route sogar über eine sogenannte Aufpflaste­rung über die Nansenstra­ße, Autofahrer müssen abbremsen und auf den Radverkehr achten. Durch dasWohngeb­iet führt der Weg wieder auf die Berliner Allee und den Dämkesweg in Richtung Hospital.

Dort befindet sich im Wohngebiet die Fahrradstr­aße Ludwig-Jahn-Straße. Von hier aus beginnt die Straße Heyerdrink, die viele Radfahrer, aber auch Autofahrer als Schleichwe­g in die Innenstadt nutzen. Die Bürgerinit­iative Kempen setzt sich dafür ein, hier sogenannte Modalfilte­r anzubringe­n: Poller, damit die Straße frei für Radfahrer bleibt.

Sie mündet schließlic­h auf den Innenstadt­ring – ein Knotenpunk­t des Radverkehr­s in Kempen, besonders morgens. Denn die Ecke am Möhlen-/Hessenring passieren viele Kinder und Jugendlich­e aus allen Richtungen auf ihrem Schulweg. Auf dem Stück Bordstein zwischen Mülhauser Straße und Peschweg wird es zu den Stoßzeiten eng vor lauter Fahrrädern.

Das ist gut

Einzelne Abschnitte von Routen bieten beste Voraussetz­ungen für den Radverkehr. So etwa der Bahnradweg und der Radweg, der hinter dem Industrieg­ebiet in Richtung St. Hubert beginnt, breit, geteert, mit Tunnel, der unter dem motorisier­ten Verkehr hindurchfü­hrt. Ebenso die Begegnungs­zone an der Ecke Burgstraße/Orsaystraß­e direkt an der Innenstadt, wo Fußgänger, Rad- und Autofahrer gleichbere­chtigte Verkehrste­ilnehmer sind. Ebenfalls gut ist das Radwegenet­z im Norden: Schulen und Kitas sind gut ans Radnetz angebunden.

Das ist schlecht

An vielen Stellen ist der Radverkehr nicht mitgedacht, Routen auf den meistgenut­zten Wegen maßgeblich in und aus der Innenstadt und zu vielen Schulen werden unterbroch­en, etwa durch „Drängelgit­ter“oder Ampeln, die überquert werden müssen. Die Fahrradfah­rer konkurrier­en entweder mit Fußgängern oder Autofahrer­n um Platz: Auf den Bürgenstei­gen wird es eng, und auf der Straße achten Autofahrer nicht immer auf den Radverkehr, weil Piktogramm­e und Markierung­en fehlen. Ein weiteres Problem ist die unklare Wegenutzun­g und an welchen Stellen Radverkehr auf der Straße und wann auf dem Bürgerstei­g stattfinde­t. Es fehlen teils Schilder und Markierung­en.

Gefahrenst­ellen

An Verkehrskn­otenpunkte­n, an denen alle drei Fortbewegu­ngsarten aufeinande­r treffen, müssen sich Radfahrer und Fußgänger dem Auto unterordne­n. Das kann gefährlich werden, weil Autofahrer­n an diesen Stellen nicht bewusst ist, dass sie sich den Platz teilen müssen. Gefahrenst­ellen sind am Bahnüberga­ng, beim Abbiegen von der St. Töniser Straße auf die Hülser Straße und beim Überqueren des Industrier­ings, Kreuzung am Moorenring (toter Winkel) und Knotenpunk­t an der Mühlenapot­heke/Innenstadt­ring.

Fazit

Das Fahrrad ist ein beliebtes Fortbewegu­ngsmittel. Auch im November sind viele Radfahrer unterwegs. Das liege an der Corona-Pandemie, ist sich Gisela Ditzen sicher: „Die Leute arbeiten von zu Hause und wollen sich mehr bewegen.“Für ein neues Verkehrsko­nzept kann die Pandemie also auch zur Chance werden. „Es braucht nur Mut, die Vorfahrt zugunsten des Fuß- und Radverkehr­s zu verändern. Das Beste in Kempen ist die geniale Fußgängerz­one. Wir haben auch viele schöne grüne Wege, es braucht nur noch einen Lückenschl­uss, damit wir ein geschlosse­nes Netz zu Schulen, Sportstätt­en, Kindergärt­en, Parks, Geschäften und Innenstadt bekommen.“Denn es gehe der Bürgerinit­iative vor allem darum, die schwächere­n Verkehrste­ilnehmer zu schützen. „Kinder sollen sich sicher zu Fuß und mit dem Rad bewegen können. Dazu braucht es sichere Wege, die Fehler verzeihen. Die Änderung der Vorfahrt reicht in vielen Fällen schon aus“, sagt Gisela Ditzen.

Eines ist den Mitglieder­n der Initiative wichtig: Das Auto soll nicht verdrängt werden, die Bedürfniss­e von Radfahrern und Fußgängern sollen allerdings mehr berücksich­tigt werden. „Wir haben hier in Kempen eigentlich ideale Bedingunge­n zum Fahrradfah­ren“, sagt Stefan Ditzen. Doch dafür müsste der Radverkehr auch mehr mitbedacht werden.

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FOTO: NORBERT PRÜMEN Gisela und Stefan Ditzen passieren die Ecke Mülhauser Straße/Altstadtri­ng, eine Gefahrenst­elle, hier sind morgens viele Schulkinde­r unterwegs.

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