Rheinische Post Krefeld Kempen
So fahrradfreundlich ist Kempen wirklich
Kempen gilt als Fahrrad-Stadt. Nur hat sich für den Radverkehr seit den 1990er-Jahren kaum etwas getan. Die Bürgerinitiative Kempen (BIKK) sieht viel Nachholbedarf. Wir haben die Stadt und ihre Wege für Radfahrer getestet – auf Sicherheit und auch auf Logik.
KEMPEN Um das Fahrradfahren in und um die Stadt sicherer und auch attraktiver zu machen, braucht es nicht viele Handgriffe, sind sich Gisela Ditzen, Stefan Ditzen und Rainer Clute-Simon von der Bürgerinitiative Kempen (kurz: BIKK) sicher. Langfristig haben sie große Pläne, wollen Kempen zum Leuchtturmprojekt für Fahrradstädte machen, etwa mit einer erweiterten autofreien Zone. „Kempen könnte mit wenigen und preiswerten Maßnahmen schnell Vorbildstadt für Fuß- und Radverkehr werden“, sagt Gisela Ditzen. „Es braucht nur Mut, die Vorfahrt zugunsten des Fuß- und Radverkehrs zu verändern.“Doch wie sind die aktuellen Bedingungen für Radfahrer in Kempen, welche Routen gibt es, welche Gefahrenstellen, und was ist im Verkehrskonzept besonders gut geregelt?
Route
Die Radtour beginnt an der Berliner Allee, Ecke Dämkesweg. Erstes Nadelöhr ist die Ampel an der Ecke. Wenn Radfahrer an der Ampel warten, um die Straße zu überqueren, bleibt auf dem schmalen Bürgersteig kaum Platz für Fußgänger und Radfahrer, die auf dem Radweg auf dem Bürgersteig geradeaus fahren wollen. Die grüne Ampelphase ist zudem mit etwa vier Sekunden recht kurz. Auf der Berliner Allee, der Ziegelheider Straße und Birkenallee geht es weiter Richtung Süden, bis die Oedter Straße den Bahnradweg kreuzt.
Dort befinden sich Drängelgitter, die den Weg stadteinwärts und stadtauswärts unterbrechen. Radfahrer müssen hier bremsen und gegebenenfalls absteigen, um die Oedter Straße zu überqueren. Die BIKK setzt sich dafür ein, dass diese Gitter beseitigt werden und an der Querung den Radfahrern Priorität eingeräumt werden soll – mit einer Tempo-30-Zone für den motorisierten Verkehr und einer Aufpflasterung der Straße auf das Niveau des Radwegs, der für die Autofahrer eine langsamere Passage erzwingt. Der Bahnradweg führt einige Hundert Meter weiter in Richtung Innenstadt, bevor er durch die Oedter Straße wieder unterbrochen wird und Radfahrer an einer Ampel anhalten müssen. Auf der anderen Straßenseite führt er direkt an der Grundschule Wiesenstraße vorbei bis zur Vorster Straße, wo er abrupt endet.
Auf demWeg in Richtung Innenstadt behindern parkende Autos die Sicht auf die Straße. Man muss auf eine Einfahrt rollen, denn den direkten Weg versperrt ein Blumenbeet.
Wer nun von der Innenstadt in Richtung Südwesten fährt, biegt von der Vorster Straße in den Steinpfad ab, die Einfahrt ist wegen einer hohen Bordstein-Kante nur schwierig als solche erkennbar. Am Spielplatz vorbei führt die Route ein Stück über die Dinkelbergstraße und die Marienburger Straße. Die Straßen sind schwierig einzusehen. Über die Marienburger Straße geht es weiter über die St. Töniser Straße. Radfahrer sind hier theoretisch verpflichtet, auf der Straße zu fahren, obwohl auf dem engen Bürgersteig Radwegmarkierungen erkennbar sind – doch die Hinweisschilder wurden vor einiger Zeit abmontiert. Doch der konkrete Anlass, warum die Schilder entfernt wurden, sei auch der Stadt nicht mehr bekannt, sagt Gisela Ditzen.
Beim Abbiegen auf die Hülser Straße wird es unübersichtlich und beim Abbiegen auf die St. Huberter Straße ebenfalls, man muss in der Fahrbahnmitte warten, bis die Gegenspur frei wird. Auf der St. Huberter Straße ist auf der linken Seite des Bürgersteigs ein sogenannter Zwei-Richtungs-Radweg markiert, der bis zum Bahnhof führt und kaum Platz lässt für Fußgänger und Radfahrer.
Am Bahnübergang knubbeln sich wartende Radfahrer, Fußgänger und Autos vor der abgesenkten Schranke. Weil der Zwei-Richtungs-Radweg weitergeht, stehen alle wartenden Fahrradfahrer links. Direkt auf der anderen Seite mündet die Schorndorffer Straße auf die St. Huberter Straße, eine gefährliche Stelle: Denn die Fahrbahn ist zwar an der Kreuzung rot eingefärbt, aber die wartenden Autofahrer rechnen lediglich mit Radverkehr von links und nicht von rechts und rollen weiter nach vorn, was beinahe zu einer Kollision zwischen Auto und Fahrrad führt. Über die Arnoldstraße geht es weiter durchs Industriegebiet.
Die beliebteste Route nach St. Hubert führt über eine Kreuzung am Industriering Ost. Ein Schild weist darauf hin, dass Radfahrer zum Überqueren absteigen müssen und zwischen links- und rechtsabbiegenden Autos warten müssen, während der Verkehr auf dem Industriering fließt. Es dauert gut fünf Minuten, bis ein Transporter schließlich abbremst und der Fahrer dieWartenden über die Straße lässt.
Am Rand des Industriegebiets am Außenring beginnt der Radweg in Richtung St. Hubert. Der geteerte und teils beleuchtete Weg führt durch einen kleinen Tunnel hinaus, zwischen Feldern entlang – eine der schönsten Strecken für Radfahrer. Über die Bendenstraße geht es in St. Hubert weiter zur Kreuzung und in die Königstraße.
Entlang der linken Seite parken Autos, was die Straße verschmälert. Platz genug für Radfahrer oder ein Auto bleibt – aber nicht für beide. Trotzdem versucht ein Auto hupend zu überholen, die Radfahrer auf der Straße werden abgedrängt. „Grundsätzlich besteht bei Radfahrern Angst vor zu schnellen und aggressiven Autofahrern“, sagt Achim Rothe von der Bürgerinitiative „Fairer Verkehr in St. Hubert“. „Die Folge ist, dass beinahe alle Radfahrer auf den Fußweg ausweichen – zum Großteil ohne Rücksicht auf Fußgänger. Die Folgen sind gefährliche Situationen und tägliche Konflikte.“Die Route führt weiter über die Haupstraße und schließlich über die Bahnstraße in Richtung Kempener Landstraße, die ausgewiesene Fahrradroute zwischen St. Hubert und der Kempener Innenstadt.
Auf den Fahrradweg entlang der Landstraße, den sich Fußgänger und Radfahrer tatsächlich teilen müssen, gelangt man nur, indem man die Landstraße an einer Verkehrsinsel überquert. Der Weg ist beleuchtet, doch es fehlen Markierungen auf der Fahrbahn, die darauf hinweisen, dass diese Route von Radfahrern genutzt wird, da sie auch Teil des Schulwegs ist. „Allerdings ist der Weg von den Planern des Radverkehrskonzepts als zu schmal und gefährlich bezeichnet worden“, sagt Gisela Ditzen. Am Außenring führt der Radweg über eine Ampel entlang der St. Huberter Straße, auf der der Radweg wieder über den Bürgersteig zum Bahnhof führt.
Am Bahnhof ist eine große überdachte Abstellfläche für Fahrräder, die gut genutzt wird. Doch eine ausgewiesene Einfahrt aufs Bahnhofsgelände gibt es nicht: Zwischen Bahnradweg und Abstellfläche liegen eine Straße und ein Parkplatz. DerWeg führt außen herum, über die mehrspurige Kleinbahnstraße. Um vom Bahnhof in Richtung Innenstadt zu fahren, müssen sich Radfahrer wortwörtlich wieder einen Weg suchen und sich auf der Auto-Linksabbiegerspur in Richtung Thomasstraße einordnen. An der Kreuzung am Moorenring, wo Radfahrer auf gleicher Höhe mit Autos auf eine Grünphase warten, gilt es aufmerksam zu sein, um bei Linksabbiegern nicht in den toten Winkel zu geraten.
Ein positives Beispiel, wie das Miteinander auch geregelt werden kann, ist die Ecke Orsaystraße und Burgstraße. Dort wurde eine sogenannte Begegnungszone geschaffen: Straße und Bürgersteige sind an dieser Ecke auf gleicher Höhe – sogenannte Nullabsenkungen. Jeder ist sich bewusst, dass er den Platz nicht für sich allein hat, bleibt deswegen achtsam. Weiter geht es über die Franziskanerstraße und den Burgring in Richtung Kempener Norden. Über die Wachtendonker Straße, die Fröbelstraße und schließlich ein Stück über einen Radweg bis zu der Fußgängerbrücke.
Die Brücke, die über die Straelener Straße führt, ist sehr steil, weswegen die meisten Radfahrer lieber die Straelener Straße direkt überqueren. Hinter der Turnhalle und der Astrid-Lindgren-Schule, im Kempener Norden, führt der Fahrradweg an Rasenflächen, Bäumen, Hecken und einem Spielplatz vorbei, alles autofrei. Hier ist das Radwegenetz besser ausgebaut als im Süden.
Am Concordienplatz vorbei führt die Route sogar über eine sogenannte Aufpflasterung über die Nansenstraße, Autofahrer müssen abbremsen und auf den Radverkehr achten. Durch dasWohngebiet führt der Weg wieder auf die Berliner Allee und den Dämkesweg in Richtung Hospital.
Dort befindet sich im Wohngebiet die Fahrradstraße Ludwig-Jahn-Straße. Von hier aus beginnt die Straße Heyerdrink, die viele Radfahrer, aber auch Autofahrer als Schleichweg in die Innenstadt nutzen. Die Bürgerinitiative Kempen setzt sich dafür ein, hier sogenannte Modalfilter anzubringen: Poller, damit die Straße frei für Radfahrer bleibt.
Sie mündet schließlich auf den Innenstadtring – ein Knotenpunkt des Radverkehrs in Kempen, besonders morgens. Denn die Ecke am Möhlen-/Hessenring passieren viele Kinder und Jugendliche aus allen Richtungen auf ihrem Schulweg. Auf dem Stück Bordstein zwischen Mülhauser Straße und Peschweg wird es zu den Stoßzeiten eng vor lauter Fahrrädern.
Das ist gut
Einzelne Abschnitte von Routen bieten beste Voraussetzungen für den Radverkehr. So etwa der Bahnradweg und der Radweg, der hinter dem Industriegebiet in Richtung St. Hubert beginnt, breit, geteert, mit Tunnel, der unter dem motorisierten Verkehr hindurchführt. Ebenso die Begegnungszone an der Ecke Burgstraße/Orsaystraße direkt an der Innenstadt, wo Fußgänger, Rad- und Autofahrer gleichberechtigte Verkehrsteilnehmer sind. Ebenfalls gut ist das Radwegenetz im Norden: Schulen und Kitas sind gut ans Radnetz angebunden.
Das ist schlecht
An vielen Stellen ist der Radverkehr nicht mitgedacht, Routen auf den meistgenutzten Wegen maßgeblich in und aus der Innenstadt und zu vielen Schulen werden unterbrochen, etwa durch „Drängelgitter“oder Ampeln, die überquert werden müssen. Die Fahrradfahrer konkurrieren entweder mit Fußgängern oder Autofahrern um Platz: Auf den Bürgensteigen wird es eng, und auf der Straße achten Autofahrer nicht immer auf den Radverkehr, weil Piktogramme und Markierungen fehlen. Ein weiteres Problem ist die unklare Wegenutzung und an welchen Stellen Radverkehr auf der Straße und wann auf dem Bürgersteig stattfindet. Es fehlen teils Schilder und Markierungen.
Gefahrenstellen
An Verkehrsknotenpunkten, an denen alle drei Fortbewegungsarten aufeinander treffen, müssen sich Radfahrer und Fußgänger dem Auto unterordnen. Das kann gefährlich werden, weil Autofahrern an diesen Stellen nicht bewusst ist, dass sie sich den Platz teilen müssen. Gefahrenstellen sind am Bahnübergang, beim Abbiegen von der St. Töniser Straße auf die Hülser Straße und beim Überqueren des Industrierings, Kreuzung am Moorenring (toter Winkel) und Knotenpunkt an der Mühlenapotheke/Innenstadtring.
Fazit
Das Fahrrad ist ein beliebtes Fortbewegungsmittel. Auch im November sind viele Radfahrer unterwegs. Das liege an der Corona-Pandemie, ist sich Gisela Ditzen sicher: „Die Leute arbeiten von zu Hause und wollen sich mehr bewegen.“Für ein neues Verkehrskonzept kann die Pandemie also auch zur Chance werden. „Es braucht nur Mut, die Vorfahrt zugunsten des Fuß- und Radverkehrs zu verändern. Das Beste in Kempen ist die geniale Fußgängerzone. Wir haben auch viele schöne grüne Wege, es braucht nur noch einen Lückenschluss, damit wir ein geschlossenes Netz zu Schulen, Sportstätten, Kindergärten, Parks, Geschäften und Innenstadt bekommen.“Denn es gehe der Bürgerinitiative vor allem darum, die schwächeren Verkehrsteilnehmer zu schützen. „Kinder sollen sich sicher zu Fuß und mit dem Rad bewegen können. Dazu braucht es sichere Wege, die Fehler verzeihen. Die Änderung der Vorfahrt reicht in vielen Fällen schon aus“, sagt Gisela Ditzen.
Eines ist den Mitgliedern der Initiative wichtig: Das Auto soll nicht verdrängt werden, die Bedürfnisse von Radfahrern und Fußgängern sollen allerdings mehr berücksichtigt werden. „Wir haben hier in Kempen eigentlich ideale Bedingungen zum Fahrradfahren“, sagt Stefan Ditzen. Doch dafür müsste der Radverkehr auch mehr mitbedacht werden.