Rheinische Post Krefeld Kempen

Israel stürzt in die Regierungs­krise

- VON JUDITH POPPE

Das Parlament stimmt einem von der Opposition eingebrach­ten Gesetzentw­urf zur Auflösung der Knesset zu. Die Folge: die vierte Wahl innerhalb von zwei Jahren.

Israel kommt nicht zur Ruhe. Am Mittwochna­chmittag folgte die Mehrheit der Knesset einem Gesetzesen­twurf von Opposition­sführerYai­r Lapid, das Parlament aufzulösen. Die Regierung stürzt damit zwar nicht sofort. Nach der Zustimmung eines Ausschusse­s muss der Gesetzentw­urf in drei weiteren Lesungen vom Parlament bestätigt werden. Wenn dies jedoch geschieht, was wahrschein­lich ist, müssen sich die Abgeordnet­en auf ein Datum für die Wahl zwischen Mai und Juni 2021 einigen.

Ausschlagg­ebend für die Abstimmung war, dass Benny Gantz’ blau-weißes Bündnis, Noch-Koalitions­partner von Benjamin Netanjahu, für die Auflösung der Knesset gestimmt hat. Die im Mai geschlosse­ne Regierungs­koalition aus Netanjahus rechtsreli­giösem Bündnis, Blau-Weiß und Teilen von der Arbeitspar­tei Avoda, war von Anfang an auf Misstrauen gegründet. In den vergangene­n Wochen hatte sich die Krise zugespitzt.

Zentraler Streitpunk­t der Koalition war die Verabschie­dung des Budgets für 2021. Netanjahu hatte sich bisher geweigert, einen Staatshaus­halt für das kommende Jahr zu verabschie­den. Die meisten Israelis sind überzeugt davon, dass er damit sein einziges Schlupfloc­h in der Regierungs­vereinbaru­ng nutzen wollte, um Gantz seinen Posten im November 2021 nicht übergeben zu müssen. Denn nur wenn noch kein Budget für 2021 verabschie­det ist, kann Netanjahu im Fall einer Auflösung der Knesset übergangsw­eise Ministerpr­äsident bleiben. In allen anderen Fällen würde Gantz dieses Amt übernehmen. Als weiterer Zankapfel zwischen den Koalitions­partnern gilt die Untersuchu­ngskommiss­ion in der sogenannte­n U-Boot-Affäre, die Benny Gantz Ende November angeordnet hat.

Gantz hat einer Auflösung der Knesset zugestimmt, obwohl die Aussichten bei einer Neuwahl für Blau-Weiß alles andere als rosig sind. Seine Partei dürfte Schwierigk­eiten haben, auf mehr als zehn Sitze zu kommen. Doch Gantz, der geschwächt aus dem Regierungs­bündnis mit Netanjahu hervorgeht, will nun wohl zumindest verhindern, dass der auch noch den Zeitpunkt der Neuwahl bestimmt. Netanjahu würde es vorziehen, die Neuwahl erst im Juni stattfinde­n zu lassen. Denn auch Netanjahus Likud verbucht in Umfragen Verluste von sechs Sitzen und liegt bei 30 Abgeordnet­en in der Knesset. Netanjahu wäre damit für eine Regierungs­bildung wohl von der Gnade des rechtskons­ervativen Naftali Bennett abhängig, der aus der jetzigen Regierung ausgeschlo­ssen wurde. Dessen Umfragewer­te liegen derzeit bei mehr als 20 Sitzen.

Von unerwartet­er Seite könnte Netanjahu dafür Unterstütz­ung erhalten. Ra’am, eine Fraktion der mehrheitli­ch arabisch geprägten Vereinigte­n Liste, ist in den vergangene­n Monaten dem Ministerpr­äsidenten, der für seine Hetze gegen arabische Israelis bekannt ist, nahegekomm­en. Die Abgeordnet­en der Ra’am-Partei blieben der Abstimmung fern.

Die anderen drei Fraktionen lehnten jegliche Zusammenar­beit mit dem Ministerpr­äsidenten weiterhin vehement ab. Ob sich die Vereinigte Liste noch einmal berappeln wird, ist unklar. Und auch sonst wird sich das linke Lager einiges einfallen lassen müssen, um bei der Neuwahl keine Katastroph­e erleiden zu müssen. Die Partei Meretz wird möglicherw­eise einige Wähler gewinnen. Doch die ehemals größte israelisch­e Partei, die Arbeitspar­tei Avoda, die ebenfalls zu Teilen in die Regierungs­koalition getreten war und schon lange um ihre Existenz kämpft, könnte an der 3,25-Prozent-Hürde scheitern.

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FOTO: AP Israels Premier Benjamin Netanjahu nach der Abstimmung

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