Rheinische Post Krefeld Kempen
Rat muss sich ohne Selbstaufgabe schützen
Aus Gründen des Pandemieschutzes hat der Oberbürgermeister vorgeschlagen, Befugnisse des Rates an den Hauptausschuss zu übertragen. Es hagelte Proteste – mit guten Gründen. Meyers Intention ist aber auch richtig.
Oberbürgermeister Frank Meyer zeigte sich getroffen, weil man ihm unterstellte, es gehe ihm nicht um Infektionsschutz, sondern um politisches Kalkül zur Herstellung anderer Mehrheiten. Hintergrund: Er hatte vorgeschlagen, Entscheidungsbefugnisse des Rates an den deutlichen kleineren Hauptausschuss zu übertragen, so wie es die Landesregierung mit Blick auf Corona gesetzlich ermöglicht hat. Der Haken: Die Organisation von Mehrheiten für das rot-grüne Bündnis wäre im deutlich kleineren Hauptausschuss einfacher als im viel größeren, zersplitterten Rat mit hauchdünner Ein-Stimmen-Mehrheit für Rot-Grün (wir berichteten). Die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit für Meyers Vorschlag kam nicht zustande, es hagelte Proteste, nur SPD, Grüne und AFD wollten Meyer folgen.
Man muss Meyer in der Tat nicht unterstellen, anderes als Infektionsschutz gewollt zu haben. Allein schon deshalb, weil es Wahnsinn gewesen wäre, im Hauptausschuss eine Entscheidung wie die zur Grotenburg wieder rückgängig zu machen. Der Flurschaden für die Glaubwürdigkeit von Meyer, SPD und Grünen wäre enorm gewesen.
Dennoch: Es ist nun mal so, dass die rot-grüne Mehrheit im Hauptausschuss komfortabler wäre. Die Einzelkandidaten und eine Ratsgruppe wären faktisch aus dem Spiel. Die zentralen Instrumente kommunalpolitischen Handelns – Stimm- und Antragsrecht – wären für eine Reihe von Ratsmitgliedern entfallen. Es stimmt, dass ein Teil der Kräfte, die der Wähler in den Rat geschickt hat, ausgeschaltet wäre. Hier zu protestieren hat gute Gründe.
Gleichwohl ist Meyers Sorge berechtigt. Die Ratssitzung zur Grotenburg bewegte sich pandemisch am Rande des Leichtsinns. Es war in der stundenlangen Debatte viel Bewegung im Saal, es gab Fraktionsberatungstreffen, in denen die Abstandsregeln gebrochen wurden, und die meisten Ratsmitglieder trugen keine FFP2-Masken, sondern teils abenteuerliche Baumwollläppchen im Gesicht.
Der Rat sollte sich besser schützen – ohne Selbstaufgabe, mit mehr Disziplin: Die Sitzungen müssen kürzer, die Debatten straffer werden – ohne zehnfache Wiederholung eines Arguments. Auch sollten FFP2-Masken Pflicht sein. In der besten aller Welten könnten sich alle Ratsmitglieder im Vorfeld einer Sitzung testen lassen. Doch soweit ist Deutschland bekanntlich nicht. Die Testkapazität ist so dünn wie der Vorrat an Impfdosen.
JENS VOSS