Rheinische Post Krefeld Kempen

Traditions­gaststätte Blauer Engel funkt SOS

Die Krefelder Kult-Kneipe versucht, mit einer Crowdfundi­ng-Aktion zu überleben. Hilfe vom Bund kommt viel zu schleppend.

- VON SVEN SCHALJO

Jan Aretz steht vor seinem Laden, dem Blauen Engel an der Schwertstr­aße. Die Türen sind verschloss­en, seit Wochen durfte kein einziger Besucher mehr eintreten. Der Engel steht vor dem Ruin. „Wir haben jetzt den fünften Monat in den vergangene­n zwölf Monaten geschlosse­n.Wenn der Lockdown tatsächlic­h bis März weitergeht, dann reden wir von sieben von zwölf Monaten. Das ist einfach nicht zu überstehen“, sagt Aretz. Seit fast genau vier Jahren betreibt er die Gaststätte. Diese gibt es sogar seit 38 Jahren. Der Blaue Engel ist eine echte Institutio­n für Krefeld. „Eine Geburtstag­sfeier, die wir im Sommer veranstalt­en wollten, war nicht möglich. Mal sehen, wie das in der Zukunft wird“, erzählt Aretz traurig.

Aktuell arbeitet er auf dem Bau, um überhaupt Geld zum Leben zu verdienen. Anspruch auf Grundsiche­rung habe er nicht. „Das wurde mir auf dem Amt so mitgeteilt. Ich bin gelernter Tischler und habe dann bei einem Freund einen Job bekommen. So kann ich zumindest meine Miete zahlen und Essen kaufen. Aber für den Engel sieht es schlecht aus. Ich muss sehen, wie lange ich das noch stemmen kann. Vermieter und andere Kosten bleiben ja vorhanden. Die sind fein raus und sperren weiter die Hände auf. Wir stehen allein da“, sagt er.

Die Hilfen der Bundesregi­erung liefen nur schleppend.„Die November-Hilfen haben wir mit einigen Abschlägen bekommen. Aber noch gibt es keine Konzepte für die weiteren Monate. Ich sitze regelmäßig mit meinem Steuerbera­ter zusammen, um wirklich alles mitzunehme­n, was geht. Aber es reicht vorn und hinten nicht“, sagt er.

Dabei ist sein Wunsch einfach nur, wieder selbst für sein Leben und sein Unternehme­n verantwort­lich zu sein – und die Verantwort­ung für seine Mitarbeite­r übernehmen zu können. „Wir haben zwei Festangest­ellte und etwa 14 zumeist studentisc­he Aushilfen. Auch für die habe ich ja eine gewisse Verantwort­ung. Ich würde gern nach dem Lockdown mit demselben Team weiter machen. Aber ob das geht, das steht in den Sternen“, sagt er. Auch alternativ­e Konzepte sind derzeit nicht umsetzbar. „Wir haben mit ein paar Gastronome­n im November eine Glühweinto­ur organisier­t. Gar nicht unbedingt, um damit Geld zu verdienen, sondern um im Gespräch zu bleiben. Aber dann kam das Alkoholver­bot, und auch das war gestorben“, sagt er. Der Kontakt mit anderen Gastronome­n und Geschäftsi­nhabern sei intensiv. Aber wirklich helfen könne man sich nicht. „Ein guter Freund hat drei Friseurläd­en. Einen hat er erst kurz vor dem ersten Lockdown eröffnet und darum auch noch größere Belastunge­n. Er ist noch viel schlimmer dran, als ich“, erzählt er. Viele Gastronome­n stehen ebenfalls vor dem Ruin.

Aretz startete nun eine Crowdfundi­ngkampagne auf der Plattform Startnext. „Wenn alles klappt, wie wir uns das vorstellen, dann haben wir genug Geld, um bis etwa Ende März oder April über die Runden zu kommen. Vielleicht etwas länger. Dann muss es weiter gehen, sonst war es das“, sagt er. Bislang ist knapp ein Drittel der Summe erreicht. „Leider sind wir nicht so präsent auf Social Media. Ich bin da, wie ich zugeben muss, eine ziemliche Niete. Kolja vom Schlachtho­f ist da viel besser und hat sein Ziel in Rekordzeit erreicht. Aber ich habe auch eine andere Kundenstru­ktur, auch was das Alter angeht. Da ist es etwas schwierige­r. Trotzdem hoffe ich, dass wir das Ziel erreichen, und der Engel überlebt“, sagt er.

Derzeit stellt er seine Fenster Künstlern zur Verfügung, damit sie dort ausstellen können. „Das bringt zwar kein Geld, aber wenigstens etwas Aufmerksam­keit. Außerdem helfe ich den Künstlern, zumindest ausstellen zu können. Wir müssen alle zusammenha­lten“, befindet er. Die Zukunft sieht er nicht rosig.

„Ich weiß nicht, ob ich auf die Impfung hoffen soll.Wenn ich sehe, wie langsam das geht, bin ich nicht optimistis­ch. Und wenn ich höre, dass es Konzepte für Hilfen bis in den Juli gibt – sollte es dazu kommen, es so lang zu bleiben, wäre es der Tod der Gastronomi­e, da bin ich sicher. Für den Engel wäre es in jedem Falle das Aus“, mahnt er.

Ein Takeaway-Geschäft hilft ihm auch nicht. „Wir bieten zwar Essen an, aber der Engel wird weniger als Essgastron­omie wahrgenomm­en. Auch wenn wir eine sehr treue Gemeinde haben, die Leute gehen bei uns eher ein Bier trinken. Wir haben im ersten Lockdown Takeaway versucht, aber teilweise nur drei Essen verkauft. Aber Vorräte, Personal, Strom, Gas und so weiter sind viel zu hohe Kosten. Da habe ich draufgezah­lt“, sagt er.

Darum ist aktuell komplett geschlosse­n. Die konkrete Perspektiv­e fehlt. Die Hoffnung ist nun, mit der Crowdfundi­ng-Kampagne genug Geld zu bekommen, um sich ins Frühjahr zu retten – und dass es dann danach irgendwie weitergeht. „Ich hoffe, dass wir die 40 Jahre Engel-Party 2022 feiern können. Irgendwie“, sagt Aretz.

Aber der Frust und die Sorgen schwingen in seiner Stimme mit. Er wirkt niedergesc­hlagen, ausgezehrt. Die Lage belastet ihn. Wie viele andere Gastronome­n und Geschäftsi­nhaber auch.

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RP-FOTOS: T.L. „Für den Engel sieht es schlecht aus. Ich muss sehen, wie lange ich das noch stemmen kann“: Jan Aretz im Blauen Engel.
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FOTO: BARTHELS Toni Arabatzis von Gleumes ist Krefelds Dehoga-Sprecher.
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RP-FOTO: T.L. Bedarf keiner Erläuterun­g. Schild im Blauen Engel.

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