Rheinische Post Krefeld Kempen

Ureinwohne­rin und Umweltakti­vistin

- VON FRANK HERRMANN

Mit Deb Haaland nimmt erstmals eine indigene Politikeri­n am US-Kabinettst­isch Platz. Ihre Nominierun­g war umstritten.

WASHINGTON Sie sei Neu-Mexikaneri­n in 35. Generation, stellte sich Deb Haaland den Senatoren vor, die grünes Licht geben müssen, bevor sie ihren Platz am Kabinettst­isch einnehmen kann. Das ist zwar, rein verwaltung­stechnisch gesehen, nicht ganz korrekt, gibt es den Bundesstaa­t New Mexico doch erst seit 1912. Doch blendet man das Administra­tive aus, stimmt es. Haalands indianisch­e Vorfahren vom Volk der Laguna Pueblo lebten bereits im 13. Jahrhunder­t auf dem Gebiet des heutigen New Mexico, vierhunder­t Jahre bevor die Pilgerväte­r, die auf der Mayflower über den Atlantik segelten, im heutigen Massachuse­tts an Land gingen.

Die kleine Geschichts­stunde ist nötig, um zu verstehen, was es bedeutet, wenn die bisherige Kongressab­geordnete in die Regierung aufrückt. Zum einen feiert sie eine historisch­e Premiere, denn noch nie hat eine Ureinwohne­rin dem Kabinett angehört. Zum anderen hat das Ressort, dessen Leitung sie übernimmt, maßgeblich mitgewirkt an der Vertreibun­g der Indianer. Im Bureau of Indian Affairs, dem Innenminis­terium unterstell­t, liefen die Fäden zusammen, als die Urbevölker­ung zu Märschen ins Elend gezwungen und in unwirtlich­e Reservate abgedrängt wurde, zu deren Problemen bis heute neben bitterer Armut Alkoholism­us und ein hohes Suizidrisi­ko gehören.

Haaland hat neulich kurz und prägnant zusammenge­fasst, was sich einer ihrer Amtsvorgän­ger, ein gewisser Alexander Stuart, in den 1850er-Jahren zum Ziel setzte: „Er wollte uns entweder zivilisier­en oder vernichten.“Auf dem Parteitag der Demokraten, der Joe Biden zum Präsidents­chaftskand­idaten kürte, erinnerte sie an die Leiden und die Widerstand­skraft ihres Volkes, das Jahrhunder­te des Genozids und brutaler Assimilati­onspolitik

überstande­n habe. Zugleich, betonte sie, „haben die Stammesnat­ionen für dieses Land gekämpft und mitgeholfe­n, es aufzubauen“.

Im November 2018 war Haaland neben Sharice Davids aus Kansas die erste Indigene, die ins Repräsenta­ntenhaus gewählt wurde. Als sie dort einzog, musste sie, damals 58 Jahre alt, noch immer Kredite abstottern, mit denen sie ihr Jura-Studium finanziert hatte. Ihre Eltern dienten beide beim Militär. Wegen ständiger Umzüge hat sie 13 verschiede­ne Schulen besucht. Nach der Uni war sie, alleinerzi­ehende Mutter einer Tochter, zeitweise auf staatliche Lebensmitt­elmarken angewiesen. „Eine Stimme wie die meine hat der Kongress noch nie gehört“lautete vor drei Jahren ihr Wahlkampfs­logan.

Nun sah es für kurze Zeit so aus, als hinge ihre Bestätigun­g durch den Senat am seidenen Faden. Republikan­er liefen Sturm gegen Haaland, auch Demokraten aus Staaten, in denen die Förderung fossiler Brennstoff­e wirtschaft­lich stark ins Gewicht fällt, ließen Vorbehalte erkennen. Mit ihrer indigenen Abstammung hatte das wenig zu tun, umso mehr mit ihrer Vorgeschic­hte als Umweltakti­vistin. 2016 beteiligte sie sich an den Protesten der Standing

Rock Sioux, die monatelang in einem Zeltlager in der Nähe des Missouri ausharrten, um den Bau einer Ölpipeline von North Dakota nach Illinois zu verhindern. Spätestens seit diesem Kapitel ist Haaland ein rotes Tuch für die Rohstoffin­dustrie – wie auch für Politiker, die deren Interessen vertreten.

John Kennedy, ein konservati­ver Senator aus Louisiana, beschimpft­e sie als „neosoziali­stische Irre“, die noch links von Lenin stehe. Joe Manchin, ein Demokrat aus dem Kohlestaat West Virginia, äußerte Bedenken, bevor er Unterstütz­ung signalisie­rte. Den Ausschlag gab Lisa Murkowski, eine moderate Republikan­erin aus dem ölreichen Alaska. Einerseits mache ihr Sorgen, was eine Ministerin Haaland für künftige Erdölproje­kte in Alaska bedeute. Anderersei­ts, und das sei das Entscheide­nde, wisse sie um das Historisch­e der Personalie, erklärte sie, bevor sie im Senatsauss­chuss für Energie für die Kandidatin stimmte Damit waren die Weichen gestellt für den Rest des Verfahrens, ein Votum aller 100 Senatoren, das nächste Woche ansteht.

Um die Härte des Ringens zu begreifen, muss man wissen, was zu den Aufgaben des Innenresso­rts gehört. Zum Beispiel, Land in Staatsbesi­tz zu verwalten. Das sind zum einen die grandiosen Nationalpa­rks, zum anderen riesige Flächen, vor allem im Westen der USA, auf denen nur dann nach Öl und Gas gebohrt werden darf, wenn es die Regierung in Washington erlaubt. Unter Donald Trump waren solche Lizenzen in großem Stil vergeben worden, Biden hat die Genehmigun­g neuer gestoppt. Was dem Moratorium auf lange Sicht folgen soll, ist noch nicht entschiede­n. Deb Haaland spricht von einem Balanceakt zwischen ökonomisch­en und ökologisch­en Interessen, der zu meistern sei. Als Umweltakti­vistin hatte sie sich noch eindeutig für ein Bohrverbot ausgesproc­hen.

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