Rheinische Post Krefeld Kempen
Europapokal ist längst eine Farce
Molde FK bestritt sein Europa-League-Heimspiel gegen 1899 Hoffenheim im spanischen Villarreal und musste dafür deutlich weiter reisen als zum Auswärtsspiel nach Sinsheim. Benfica Lissabon und der FC Arsenal trafen erst in Rom aufeinander, dann in Piräus, wo Arsenal bis zur 87. Minute aufgrund der Auswärtstorregel ausgeschieden war. Bislang konkurrierten diese Geschichten von verlegten Europapokal-Spielen um Platz eins auf der Absurditäts-Skala dieser Saison. Doch sie haben am Mittwoch Konkurrenz bekommen.
Oliver Mintzlaff, Vorstandschef von RB Leipzig, hat in den vergangenen Jahren nicht immer Treffsicherheit bewiesen, wenn es darum ging, Ungerechtigkeiten im Profifußball zu benennen. Doch diesmal war es ihm nachzusehen, dass er sich erbost und auch ein wenig kapitulierend wunderte, warum Leipzig nicht zum Champions-League-Rückspiel nach Liverpool reisen durfte, Borussia Mönchengladbach aber – Stand Dienstagabend zumindest – im benachbarten Manchester hätte spielen dürfen.
Die städtischen Behörden hatten einen Gladbacher Plan abgesegnet, der nach der Rückkehr aus Manchester eine fünftägige Quarantäne vorsah, unterbrochen von einer Busfahrt zum Bundesligaspiel beim FC Schalke. Doch eine Regelanpassung des Bundesgesundheitsministeriums hat jegliches Futur in diesem Plan in den Konjunktiv II gesetzt. In dem Sinne: Es wäre auch zu schön gewesen.
Denn nun musste nicht nur Leipzigs
Spiel gegen Liverpool nach Budapest verlegt werden, sondern auch Borussias Spiel gegen Manchester am kommenden Dienstag. Die Inzidenz in der ungarischen Hauptstadt hat die Marke von 400 überschritten, in ganz Ungarn hat sie sich seit Gladbachs letzter Reise dorthin Ende Februar verdoppelt. Unterdessen darf am Donnerstag die „Fohlenwelt“am Borussia-Park wieder öffnen, und in Manchester ist die Inzidenz etwas höher, befindet sich in ganz Großbritannien, das die höchste Impfquote Europas aufweist, aber im Sinkflug.
Fußball-Fans haben in ihrer Abwesenheit schon einiges schlucken müssen im vergangenen Jahr. Doch wenn er nicht schon vorher erreicht war, ist spätestens jetzt der Punkt erreicht, an dem die Frage gestellt werden muss, welchen Sinn ein internationaler Wettbewerb unter diesen Umständen hat. Der Absurdität wird die Krone aufgesetzt, indem Borussia, genau wie Leipzig, rund 1,5 Millionen Euro Strafe zahlen muss
– nicht für einen guten Zweck, sondern als Entschädigung an ihren Gegner für den Mehraufwand.
Die Uefa muss sich die Frage gefallen lassen, welchen Sinn ihre Klubwettbewerbe in dieser Saison noch haben. Die deutschen Behörden müssen erklären, warum nach einem Aufenthalt in einer Stadt mit einer 400er-Inzidenz so viel moderatere Quarantäneregeln gelten. Die Angst vor den Coronavirus-Mutationen mag groß sein, doch es mangelt an Verhältnismäßigkeit.
Und Borussia? Die könnte jede Menge Applaus einheimsen, indem sie an dieser Stelle nicht mehr mitmacht und nicht antritt nächste Woche. „Wir könnten ehrenhalber das Spiel auch herschenken, aber das entspricht nicht unserem Naturell“, hatte Manager Max Eberl bereits vor der ersten Reise nach Budapest gesagt. Borussia trat an zum Hinspiel, das 0:2 endete. Alles andere wäre wohl auch jetzt zu idealistisch gedacht. Jedes Geisterspiel kostet den Verein 1,5 Millionen Euro, jeder weitere Verlust ist ein Stich ins Mark. Und die Spieler? Die befinden sich sowieso seit einem Jahr in einer Blase, die bei Gladbachs Europa-Reisen bislang ausnahmlos dicht hielt. Aber um das wahre Infektionsrisiko geht es bei diesem Hickhack auch nur am Rande.
Die Champions League und Europa League sind längst zur Farce geworden. Letzten Endes steckt Borussia genauso hilflos in diesem System, wie ihre Fans von außen draufschauen.