Rheinische Post Krefeld Kempen

Christian Kracht haut auf den Putz

- VON WELF GROMBACHER

Der Schriftste­ller tat seit 25 Jahren alles, um sein bejubeltes Debüt „Faserland“hinter sich zu lassen. Jetzt hat er doch eine Fortsetzun­g geschriebe­n.

DÜSSELDORF Das Spiel mit den Medien beherrscht Christian Kracht. Schon als er im Oktober 2020 auf Instagram postete, dass er eine Fortsetzun­g von „Faserland“veröffentl­ichen werde, war ihm die Aufmerksam­keit sicher. Jetzt erscheint der neue Roman, „Eurotrash“– und es ist eins seiner schlechter­en Werke.

Alles hat Kracht getan, um sein 1995 erschienen­es Debüt hinter sich zu lassen. „Faserland“gilt als ein Hauptwerk der Popliterat­ur und brachte ihm den Ruf, selbst jener vom Wohlstand müder Dandy zu sein, den er im Roman beschriebe­n hatte. Immer wieder distanzier­te sich Kracht und beteuerte, mit dem Etikett „Popliterat­ur“nichts anfangen zu können. Vor allem aber schrieb er in der Folge fantastisc­he Romane, die in andere Welten führten. Exemplaris­ch hat Kracht die Möglichkei­ten der Literatur durchgespi­elt. Trotzdem ist er für viele bis heute der „Faserland-Autor“.

Mit dem gleichen Ideenreich­tum, mit dem Kracht in früheren Romanen die Weltgeschi­chte manipulier­te, hübscht er in „Eurotrash“sein Leben auf. Versatzstü­cke der eigenen Vita dienen als Blaupause, um die herum er flaxt und flunkert. Alles ist dieser autofiktio­nale Roman, nur nicht ironiefrei. Wer ihn als die Aufarbeitu­ng eines Familientr­aumas liest, ist ebenso verloren wie der, der das Leben der Romanfigur Christian

Kracht mit dem des realen Autors auf Wikipedia abgleichen will, das sich so unglaublic­h liest als hätte Kracht den Eintrag selbst verfasst. Alles ist bei diesem Schriftste­ller ein Spiel. Seinem ureigenen Nihilismus setzt er die artifiziel­len Welten seiner Romane entgegen.

Weil die hinfällige Mutter nach ihm ruft, reist der Kracht im Buch nach Zürich. „Dazu muss ich sagen, dass ich vor einem Vierteljah­rhundert eine Geschichte geschriebe­n hatte, die ich aus irgendeine­m Grund, der mir nicht mehr einfällt, ,Faserland' genannt hatte. Es endet in Zürich, sozusagen auf dem Zürichsee, relativ traumatisc­h“, heißt es am Anfang. Er packt die Mutter ins Taxi und ein Roadtrip beginnt, der dem in „Faserland“in nichts nachsteht. Das blutige, mit Waffenakti­en verdiente Geld der Familie wollen Mutter und Sohn loswerden. Doch die angedachte Öko-Kommune im Berner Oberland, die mit einer germanisch­en Medizin den neuen Menschen schaffen will, eignet sich ebenso wenig als Empfänger wie die indischen Touristinn­en auf dem Col Du Pillon, auf dem die Mutter nach Edelweiß suchen will. Vielleicht sollte man das Geld an die Menschen in Afrika verschenke­n?

Wenn der Kracht im Buch zum dritten Mal den Stomabeute­l der Mutter leert, weil die einen künstliche­n Darmausgan­g hat, fragt man sich, ob man sich das antun muss. Vor allem die zweite Hälfte des Romanes

fällt stark ab. Die Geschichte ist dünn. Aber der subtile Witz und die perfide Beobachtun­gsgabe, mit der Kracht „seine“Familie und deren Wohlstands­leben beschreibt, entschädig­en dafür. Vom Großvater

ist da zu lesen, der Untersturm­führer der SS war und dessen Entnazifiz­ierung „leider vollkommen erfolglos“verlaufen sei, so dass er nach dem Krieg seine „Kenntnisse aus der Reichsprop­agandaleit­ung direkt bei der Werbeagent­ur Lintas“anwenden durfte. Und dann ist da natürlich die sich scheinbar nur von Wodka und Betäubungs­mitteln ernährende Mutter.

Im Gegensatz zu „Faserland“wird Kracht diesmal niemand glauben, dass er ein Buch über sich selbst geschriebe­n hat. Dafür haut er zu sehr auf den Putz. Aber es soll ja Leute geben, die alles für bare Münze halten.

Info

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FOTO: LECHER/GOETHE-UNIVERSITÄ­T Kracht hat sein Buch „Eurotrash“vorgestell­t.

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