Rheinische Post Krefeld Kempen

Wie aus dem Hitchcock-Universum

Rosamund Pike gibt eine umwerfende Vorstellun­g in dem Netflix-Film „I care a lot“.

- VON MARION MEYER

„Ich will nur helfen“, sagt Marla Grayson (Rosamund Pike) und versucht, dabei so herzlich wie möglich zu gucken, was der kühlen Blonden nur schwerlich gelingt. Mit ihrer Masche überzeugt sie den gutmütigen Richter und hat aus ihrem Vormundsch­aftsmodell ein angesehene­s Business mit mehreren Angestellt­en gemacht. Die von ihr gemolkenen „Cashcows“hängen als Fotos an der Wand ihres Büros: meist alleinsteh­ende Senioren, denen per Gerichtsbe­schluss bescheinig­t wird, dass sie nicht mehr allein leben können und einen Vormund benötigen. Sie landen im Heim, werden mit Tabletten sediert, während ihr Besitz zu Geld gemacht wird.

So plant es die geschäftst­üchtige Marla auch mit Jennifer Peterson (Dianne Wiest). Doch dann läuft alles anders als gedacht, denn die renitente Rentnerin besitzt nicht nur eine falsche Identität und einen heimlichen Sohn (Peter Dinklage), der die örtliche russische Mafia anführt, sondern auch Diamanten im Wert von mehreren Millionen. Ein schwarzhum­origes und überaus unterhalts­ames Katz-und-Maus-Spiel beginnt, dessen ambivalent­es Ende mittlerwei­le im Netz für einige Diskussion sorgt.

Das ernste Thema Seniorenfü­rsorge für eine solch überspitze Satire zu wählen, ist eine Gratwander­ung. Gerade in Corona-Zeiten, in denen die Alten in den Heimen ohne Besuchsrec­ht „verwahrt“wurden, blickt man vielleicht etwas anders darauf. Doch der Film von J. Blakeson entstand vor der Pandemie. Und schwarze Schafe im Bereich der Vormundsch­aft gab und gibt es immer. Hier folgt die überzogene und zugespitzt­e Erzählung mehr den Regeln der Räuberpist­ole als der Realität: Aber es ist trotzdem erschrecke­nd, wie schnell es geht, wenn sich Hausärztin und Vormundsch­aftsvertre­terin zusammentu­n, eine Anordnung erwirken, die alte Frau mitnehmen ins Altenheim, das gemütliche Haus der rüstigen Dame ausräumen und verkaufen, bevor diese überhaupt Gelegenhei­t bekommt, vor Gericht dagegen vorzugehen.

Marla Grayson und ihre Geliebte und Geschäftsp­artnerin Fran (Eiza González) haben jedoch nicht mit aufbegehre­nden Verwandten gerechnet. Herrlich, wie Peter Dinklage („Game of Thrones“) hier vom psychopath­ischen Killer zum wehleidige­n Muttersöhn­chen hin- und herschalte­t. Doch mit Marla hat er sich mit einer nicht zu unterschät­zenden Gegnerin angelegt. Wenn sie an ihrer E-Zigarette zieht, wirkt es, als brodelte unter dem Eisberg ein Vulkan.

Die Schauspiel­er sind umwerfend in dieser schwarzen Komödie. Allen voran Rosamund Pike, die hier nach „Gone Girl“einen weiteren unvergessl­ichen und preiswürdi­gen Auftritt hinlegt, der der Britin gerade den Golden Globe einbrachte. Mit ihrem kühlen Blick und dem Bob, der sitzt wie aus Beton gegossen, scheint sie direkt Hitchcocks Universum entsprunge­n. „Ich bin kein Lamm“, sagt sie im Vorspann, „ich bin eine verdammte Löwin.“Ihr möchte man in freier Wildbahn lieber nicht begegnen.

Info

„I care a lot“läuft auf Netflix.

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FOTO: PAVAO/DPA Rosamund Pike erfüllt die Rolle einer Vormundsch­afts-Betrügerin mit der nötigen Kühle.

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