Rheinische Post Krefeld Kempen
Die Linke erstmals Zünglein an der Waage
Die Fraktion „Die Linke“hat erstmals im Rat die Chance, echte Lokalpolitik zu machen und Einfluss auszuüben. Ob Fraktion und Partei dazu in der Lage sind, ist offen. Die Linke liebt bisher besonders folgenlose Fensterreden.
Es gab diesen Abend vor ein paar Jahren, an dem der damalige Oberbürgermeister Gregor Kathstede dem Linke-Ratsherrn Basri Cakir entnervt das Wort abschnitt und aus ihm herausplatzte, er habe keine Lust, sich jetzt eine linke Propagandarede anzuhören. Das war vermutlich rechtlich nicht ganz OK, aber niemand im Saal sprang Cakir bei, denn Kathstede hatte ausgesprochen, was viele spürten: Es drohte wieder ein Beitrag mit Forderungen, die ein Kommunalpolitiker genauso gut an den Mond stellen könnte. Das alles könnte sich nun gründlich ändern. Die beiden Linke-Ratsmitglieder Julia Suermondt und Basri Cakir haben erstmals die Chance, Realpolitik zu machen. Mit Verhandlungen, Kompromissen, Ergebnissen.
Die Linke ist, seitdem Rot-Grün aufgrund einer nun aufgedeckten Wahlpanne seine Mehrheit im Rat verloren hat, auf einen dritten Partner angewiesen, mithin das Zünglein an der Waage. Es läuft, auch wenn alle artig Gesprächsbereitschaft betonen, auf Rot-Rot-Grün hinaus. Die Grünen haben sich schon festgelegt (wir berichteten), die SPD ist noch skeptisch, doch die Verhandlungen laufen. Linke-Ratsfrau Suermondt hat erklärt, es gebe das Nahziel, den nächsten Haushalt zu verabschieden. Unter Realpolitikern könnte das der Beginn einer wunderbaren Freundschaft sein. Doch wie realpolitisch ist die Linke?
Die Linke hat immer gern Fensterreden gehalten, voller Forderungen wie der Ruf nach höheren Steuern für Reiche, für die Kommunen nicht zuständig sind. Darin wurzelt die skeptische Äußerung von SPD-Fraktionschef Benedikt Winzen, man habe mit der Linken immer gut über Dinge reden können, die auf anderen Ebenen entschieden werden.
In Krefeld hat sich die Linke vor allem als Sachwalter von Transferempfängern profiliert oder ist mit Forderungen für Menschen am Rande der Gesellschaft hervorgetreten. Mehr Geld für das Arbeitslosenzentrum, Einrichtung eines Drogenkonsumraums, Essensgeld für Kinder aus sozial schwachen Familien,
Abschaffung der Elternbeiträge für Kitas und den offenen Ganztag: Der Ruf nach dem Ausbau der Sozialleistungen kommt ganz aus der Mitte des Linke-Herzens.
Anders ist es, wenn es um Beschäftigung geht, um Wirtschaftspolitik für Arbeitnehmer. Die Linke lehnt das Interkommunale Gewerbegebiet ab, aus ökologischen Gründen – dass dort zukunftsfähige Arbeitsplätze verkehrsgünstig an einer Autobahn entstünden, rührt das Linke-Herz nicht. Empörung gab es schon vor Jahren unter Beschäftigten des Chemparks, die im Rat für den Bau eines Kohlekraftwerks demonstrierten. Die Linke sprach sich dagegen aus, unter anderem mit dem Hinwies auf Kinderarbeit in manchen Herkunftsländern von Importkohle. Das Projekt scheiterte, weil die Zeit der Kohle ablief, aber was hängenblieb, war der Eindruck, dass die Linke nicht an der Seite der Beschäftigten stand.
Dieser Eindruck spiegelt sich auch in den Wahlergebnissen wider. Die
Linke hat in Krefeld wie überhaupt im Industrieland NRW immer sehr schwache Wahlergebnisse eingefahren – obwohl Krefeld mit seiner hohen Arbeitslosenquote Wählerpotenzial für die Partei bereithält. Erstmals trat die Linke 2009 in Krefeld an und holte 3,69 Prozent oder zwei Sitze im Rat. Im Land NRW kam die Partei auf 4,4 Prozent; bei der Bundestagswahl 2009 kam sie in Krefeld auf 8,62 und bundesweit auf satte 11,9 Prozent (jeweils Zweitstimmen). Heißt: Die Linke hat kommunal in NRW schwach, in Krefeld besonders schwach und im Vergleich zum Bundespotenzial katastrophal schwach abgeschnitten. Vor Ort überzeugte die Partei einfach nicht.
Bei der Kommunalwahl 2014 schnitt die Krefelder Linke etwas besser ab, kam sogar auf drei Sitze und damit auf Fraktionsstärke im Rat, sackte bei der Kommunalwahl 2020 aber wieder ab: auf 3,23 Prozent (zwei Sitze im Rat), während die Linke NRW-weit 3,8 Prozent holte.
Die Krefelder Linke blieb also unterm Schnitt ihrer Partei im Land. Bundesweit stand die Linke wieder ganz ordentlich da: Bei der Bundestagswahl 2017 kam die Linke in Krefeld auf 8,12 und im Bund auf 9,2 Prozent (jeweils der Zweitstimmen). Das Gesamtbild ist damit seit Antritt der Linken in Krefeld stabil: Partei und Fraktion kommen kommunal auf keinen grünen Zweig.
Dass die AFD in Krefeld 2020 mit 5,42 Prozent klar vor der Linken lag, hat die Akteure besonders geschockt. Die Linke hat demnach weder beim Thema Flüchtlingspolitik noch beim Klimaschutz punkten können. Seitdem wirkt die Fraktion manchmal fast noch grüner als die Grünen. Nur hat die Linke auf diesem Feld genauso ein Glaubwürdigkeitsproblem wie beim Stichwort Arbeitnehmerpolitik. Plötzlich grün? Das müssen Wähler erst einmal glauben.
Nun hat die Linke die Chance, sich Profil mit praktischer Politik zu erarbeiten. Julia Suermondt bringt die nötige Eloquenz mit; sie ist ein intellektueller Kopf, gut vernetzt mit den Grünen und in der Lage, eine gute Rede hinzulegen. Unvergessen ist ihr erster Auftritt im Rat 2014, als die Linke es ablehnte, verdiente Ratsmitglieder mit Münzen im Wert von 30.000 Euro zu ehren; davon hätte man ein Jahr lang die Uerdinger Bücherei erhalten können, hatte Suermondt argumentiert und dazu zünftig aus Bert Brechts Gedicht „Die Teppichweber von Kujan Bulak ehren Lenin“zitiert. Darin wird erzählt, wie Teppichweber darauf verzichten, Lenin mit einer Büste zu ehren, um das eingesparte Geld im Kampf gegen von Mücken übertragenes Fieber einzusetzen.
Ist das realistisch? Wahrscheinlicher ist, dass die Menschenfreunde von Kujan Bulak wegen Mangels an Linientreue eingebuchtet worden wären. Wie auch immer. Das Stichwort Realismus bleibt wichtig. Die Linke hat nun in Krefeld die Chance zu zeigen, zu wie viel realistischer Arbeit sie in der Lage ist.