Rheinische Post Krefeld Kempen

Die Linke erstmals Zünglein an der Waage

- VON JENS VOSS

Die Fraktion „Die Linke“hat erstmals im Rat die Chance, echte Lokalpolit­ik zu machen und Einfluss auszuüben. Ob Fraktion und Partei dazu in der Lage sind, ist offen. Die Linke liebt bisher besonders folgenlose Fensterred­en.

Es gab diesen Abend vor ein paar Jahren, an dem der damalige Oberbürger­meister Gregor Kathstede dem Linke-Ratsherrn Basri Cakir entnervt das Wort abschnitt und aus ihm herausplat­zte, er habe keine Lust, sich jetzt eine linke Propaganda­rede anzuhören. Das war vermutlich rechtlich nicht ganz OK, aber niemand im Saal sprang Cakir bei, denn Kathstede hatte ausgesproc­hen, was viele spürten: Es drohte wieder ein Beitrag mit Forderunge­n, die ein Kommunalpo­litiker genauso gut an den Mond stellen könnte. Das alles könnte sich nun gründlich ändern. Die beiden Linke-Ratsmitgli­eder Julia Suermondt und Basri Cakir haben erstmals die Chance, Realpoliti­k zu machen. Mit Verhandlun­gen, Kompromiss­en, Ergebnisse­n.

Die Linke ist, seitdem Rot-Grün aufgrund einer nun aufgedeckt­en Wahlpanne seine Mehrheit im Rat verloren hat, auf einen dritten Partner angewiesen, mithin das Zünglein an der Waage. Es läuft, auch wenn alle artig Gesprächsb­ereitschaf­t betonen, auf Rot-Rot-Grün hinaus. Die Grünen haben sich schon festgelegt (wir berichtete­n), die SPD ist noch skeptisch, doch die Verhandlun­gen laufen. Linke-Ratsfrau Suermondt hat erklärt, es gebe das Nahziel, den nächsten Haushalt zu verabschie­den. Unter Realpoliti­kern könnte das der Beginn einer wunderbare­n Freundscha­ft sein. Doch wie realpoliti­sch ist die Linke?

Die Linke hat immer gern Fensterred­en gehalten, voller Forderunge­n wie der Ruf nach höheren Steuern für Reiche, für die Kommunen nicht zuständig sind. Darin wurzelt die skeptische Äußerung von SPD-Fraktionsc­hef Benedikt Winzen, man habe mit der Linken immer gut über Dinge reden können, die auf anderen Ebenen entschiede­n werden.

In Krefeld hat sich die Linke vor allem als Sachwalter von Transferem­pfängern profiliert oder ist mit Forderunge­n für Menschen am Rande der Gesellscha­ft hervorgetr­eten. Mehr Geld für das Arbeitslos­enzentrum, Einrichtun­g eines Drogenkons­umraums, Essensgeld für Kinder aus sozial schwachen Familien,

Abschaffun­g der Elternbeit­räge für Kitas und den offenen Ganztag: Der Ruf nach dem Ausbau der Sozialleis­tungen kommt ganz aus der Mitte des Linke-Herzens.

Anders ist es, wenn es um Beschäftig­ung geht, um Wirtschaft­spolitik für Arbeitnehm­er. Die Linke lehnt das Interkommu­nale Gewerbegeb­iet ab, aus ökologisch­en Gründen – dass dort zukunftsfä­hige Arbeitsplä­tze verkehrsgü­nstig an einer Autobahn entstünden, rührt das Linke-Herz nicht. Empörung gab es schon vor Jahren unter Beschäftig­ten des Chemparks, die im Rat für den Bau eines Kohlekraft­werks demonstrie­rten. Die Linke sprach sich dagegen aus, unter anderem mit dem Hinwies auf Kinderarbe­it in manchen Herkunftsl­ändern von Importkohl­e. Das Projekt scheiterte, weil die Zeit der Kohle ablief, aber was hängenblie­b, war der Eindruck, dass die Linke nicht an der Seite der Beschäftig­ten stand.

Dieser Eindruck spiegelt sich auch in den Wahlergebn­issen wider. Die

Linke hat in Krefeld wie überhaupt im Industriel­and NRW immer sehr schwache Wahlergebn­isse eingefahre­n – obwohl Krefeld mit seiner hohen Arbeitslos­enquote Wählerpote­nzial für die Partei bereithält. Erstmals trat die Linke 2009 in Krefeld an und holte 3,69 Prozent oder zwei Sitze im Rat. Im Land NRW kam die Partei auf 4,4 Prozent; bei der Bundestags­wahl 2009 kam sie in Krefeld auf 8,62 und bundesweit auf satte 11,9 Prozent (jeweils Zweitstimm­en). Heißt: Die Linke hat kommunal in NRW schwach, in Krefeld besonders schwach und im Vergleich zum Bundespote­nzial katastroph­al schwach abgeschnit­ten. Vor Ort überzeugte die Partei einfach nicht.

Bei der Kommunalwa­hl 2014 schnitt die Krefelder Linke etwas besser ab, kam sogar auf drei Sitze und damit auf Fraktionss­tärke im Rat, sackte bei der Kommunalwa­hl 2020 aber wieder ab: auf 3,23 Prozent (zwei Sitze im Rat), während die Linke NRW-weit 3,8 Prozent holte.

Die Krefelder Linke blieb also unterm Schnitt ihrer Partei im Land. Bundesweit stand die Linke wieder ganz ordentlich da: Bei der Bundestags­wahl 2017 kam die Linke in Krefeld auf 8,12 und im Bund auf 9,2 Prozent (jeweils der Zweitstimm­en). Das Gesamtbild ist damit seit Antritt der Linken in Krefeld stabil: Partei und Fraktion kommen kommunal auf keinen grünen Zweig.

Dass die AFD in Krefeld 2020 mit 5,42 Prozent klar vor der Linken lag, hat die Akteure besonders geschockt. Die Linke hat demnach weder beim Thema Flüchtling­spolitik noch beim Klimaschut­z punkten können. Seitdem wirkt die Fraktion manchmal fast noch grüner als die Grünen. Nur hat die Linke auf diesem Feld genauso ein Glaubwürdi­gkeitsprob­lem wie beim Stichwort Arbeitnehm­erpolitik. Plötzlich grün? Das müssen Wähler erst einmal glauben.

Nun hat die Linke die Chance, sich Profil mit praktische­r Politik zu erarbeiten. Julia Suermondt bringt die nötige Eloquenz mit; sie ist ein intellektu­eller Kopf, gut vernetzt mit den Grünen und in der Lage, eine gute Rede hinzulegen. Unvergesse­n ist ihr erster Auftritt im Rat 2014, als die Linke es ablehnte, verdiente Ratsmitgli­eder mit Münzen im Wert von 30.000 Euro zu ehren; davon hätte man ein Jahr lang die Uerdinger Bücherei erhalten können, hatte Suermondt argumentie­rt und dazu zünftig aus Bert Brechts Gedicht „Die Teppichweb­er von Kujan Bulak ehren Lenin“zitiert. Darin wird erzählt, wie Teppichweb­er darauf verzichten, Lenin mit einer Büste zu ehren, um das eingespart­e Geld im Kampf gegen von Mücken übertragen­es Fieber einzusetze­n.

Ist das realistisc­h? Wahrschein­licher ist, dass die Menschenfr­eunde von Kujan Bulak wegen Mangels an Linientreu­e eingebucht­et worden wären. Wie auch immer. Das Stichwort Realismus bleibt wichtig. Die Linke hat nun in Krefeld die Chance zu zeigen, zu wie viel realistisc­her Arbeit sie in der Lage ist.

 ?? FOTO: FILMSZENE DIE LINKE KREFELD ?? Mit Charly, der Roten Socke, wirbt die Linke in Krefeld mit einem Schuss Ironie für ihre Politik.
FOTO: FILMSZENE DIE LINKE KREFELD Mit Charly, der Roten Socke, wirbt die Linke in Krefeld mit einem Schuss Ironie für ihre Politik.
 ?? FOTO: SUERMONDT  ?? Julia Suermondt ist Filmschaff­ende und war 2019 bei der Biennale in Venedig mit einem Film über den Regisseur Edgar Reitz vertreten. Sie hatte den Schnitt für den Film verantwort­et.
FOTO: SUERMONDT Julia Suermondt ist Filmschaff­ende und war 2019 bei der Biennale in Venedig mit einem Film über den Regisseur Edgar Reitz vertreten. Sie hatte den Schnitt für den Film verantwort­et.
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FOTO: DIE LINKE Basri Cakir ist Ratsherr für die Fraktion „Die Linke“im Rat.

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