Rheinische Post Krefeld Kempen
Fünf Kilometer statt 200 Meter zur Kita
Viele Eltern erhalten derzeit die Kitaplatz-Zusagen für das neue Kindergartenjahr. Doch manche erhalten einen Platz in einer weit entfernten Kita. Eine wohnortnahe Versorgung könne nicht sichergestellt werden, sagt die Stadt Kempen.
KEMPEN Nur 200 Meter ist die Wunsch-Kindertagesstätte vom Haus der Familie Steinbusch-Seel in Kempen entfernt. Doch seit dem letzten Sommer müssen sie ihre Tochter täglich nach St. Hubert fahren, denn dort bekam das Kind einen Platz. Die Eltern sind wütend, denn auch in diesem Jahr soll die kleine Linda weiter dort in die Kita gehen. „Wir kämpfen seit Monaten um einen Wechsel, haben persönlich bei der Stadt vorgesprochen, aber keine Chance: Es gebe in der Kita nebenan keinen Platz“, erzählt Nicola Steinbusch. „Seit zwei Jahren kann eine wohnortnahe Versorgung der Bedarfe nicht mehr sichergestellt werden“, heißt es auf Anfrage bei der Stadt Kempen.
Im Sommer werden insgesamt 1200 Plätze für Kinder unter drei und über drei Jahren in 17 Kindertageseinrichtungen in Kempen, St. Hubert und Tönisberg vergeben. Auch neue Kitas sind geplant: So soll jetzt für den Kita-Neubau an der Bendenstraße in St. Hubert die Generalunternehmer-Ausschreibung beginnen, Vergabe wäre dann im Sommer. Dort sollen drei Gruppen für Kinder über drei Jahre eingerichtet werden. Am Schmeddersweg in Kempen soll eine weitere Kita entstehen, dort sollen sechs Gruppen eingerichtet werden.
Wie Nicola Steinbusch haben sich auch andere Betroffene bei unserer Redaktion gemeldet und berichten: Entweder es gebe gar keinen Kita-Platz, es gebe nur einen Platz in einem anderen Stadtteil oder das Kind müsse (weiter) zur Tagesmutter. Ein Recht auf einen Kitaplatz gebe es demnach nicht, nur auf eine Betreuung. Und diese könne nach Aussage der Stadt auch eine Tagesmutter übernehmen.
Doch die finanziellen Folgen sind für viele Eltern deutlich spürbar: Denn bei einer Tagesmutter kostet der Platz eine Familie bis zu 166 Euro monatlich mehr. „Die Elternbeitragssatzung der Stadt unterscheidet bei Kita-Kindern nach dem Alter, diese Unterscheidung wird in der Tagespflege jedoch nicht gemacht“, sagt Nina Ullmann, Vorsitzende
des Jugendamtselternbeirats (JAEB) in Kempen. Ein wichtiges Thema, findet die Interessenvertretung der Eltern aller Kita-Kinder und Kinder in der Tagespflege, und hat dieses auf ihre Agenda genommen.
Die Familien, die dieses Jahr keinen Kita-Platz bekommen haben oder einem anderen Stadtteil zugeordnet wurden, machen ihrem Ärger unter anderem in sozialen Netzwerken Luft, wenden sich immer wieder an die Zuständigen bei der Stadt Kempen, schreiben verzweifelt Politiker an oder holen sich Ratschläge beim JAEB Kempen.
Eine Familie aus St. Hubert soll ab dem Sommer in eine Kita nach Kempen fahren, auch hier ist die Mutter voll berufstätig. „Allein der logistische Aufwand ist doch unzumutbar, geschweige denn von den vielen anderen Aspekten“, berichtet sie uns. Immer wieder habe sie bei der Zuständigen angerufen, Mails geschickt: „Sie könne nichts machen, die Kriterien würde sie nicht festlegen und als ich weiter nachfragte, beendete sie einfach das Gespräch und legte auf.“Die Stadt verweist darauf, dass „sich keine Eltern gemeldet hätten und damit Einspruch eingelegt hätten“.
Die betroffenen Eltern fühlen sich nicht ernst genommen. Viele bangen um ihre Jobs, besonders die Mütter seien betroffen: „Ohne Betreuung kann ich nicht arbeiten gehen, das ist existenzbedrohend, wir prüfen deshalb rechtliche Schritte“, sagt uns eine andere Mutter aus St. Hubert.
Nach einem Kriterienkatalog würden die Plätze vergeben werden, heißt es bei der Stadt. Darunter zählen „neben dem begründeten Wohnort in Kempen das Alter des Kindes, die Berufstätigkeit der Eltern, vorhandene Geschwister in einer Einrichtung, persönliche/individuelle (Belastungs-)Situationen sowie die vorherige Betreuung in der Tagespflege“. Jedoch würde eine „wohnortnahe Versorgung nicht mehr zu den Grundsätzen gehören“.
Eine Statistik darüber, wie viele Familien in diesem Jahr keinen Kitaplatz
übereinstimmen.
Täglich fahren Eltern mit ihren Kindern mit dem Rad an dem Fenster von Familie Steinbusch-Seel Richtung Kita vorbei. „Das wäre ein Luftsprung von uns entfernt, ich kann das einfach nicht verstehen“, sagt Nicola Steinbusch sichtlich traurig. Sie steigt mit ihrer Tochter derweil ins Auto – fünf Kilometer Fahrweg pro Strecke, hin und zurück ist sie meist eine halbe Stunde unterwegs. Das macht zusammen 20 Kilometer am Tag. Die „logistischen Probleme der Eltern“seien für die Stadt Kempen „nachvollziehbar“, heißt es bei der Stadtverwaltung. Zum Aspekt der Umweltfreundlichkeit erklärt die Stadt: „Alternativen wie die Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln oder Einsatz von Fahrrad-Anhängern“seien deshalb auch „in Betracht zu ziehen“, um in die Kitas auch im benachbarten Stadtteil zu gelangen.
Ob das die betroffenen Eltern tatsächlich als Alternative ansehen – insbesondere unter dem Gesichtspunkt des Zeitdrucks besonders am Morgen – bleibt allerdings fraglich.