Rheinische Post Krefeld Kempen
Der Blick geht nach Asien
Die US-Regierung unter Joe Biden geht erste strategische Schritte in ihrer Außenpolitik. Werte sind wieder wichtiger als unter Donald Trump – gerade gegenüber China. Die Devise lautet: Techno-Demokratie gegen Techno-Diktatur.
Endlich, nach fast zwei Monaten im Amt, ist die Schwelle überschritten. Der amerikanische Außenminister reist wieder um die Welt, er kann wieder mit Amtskollegen reden, vis-à-vis an einem Verhandlungstisch, statt sie nur an einem Bildschirm zu sehen. Antony Blinken ist nach Seoul und Tokio geflogen, an diesem Donnerstag kehrt er in die Vereinigten Staaten zurück, nach Anchorage in Alaska, wo sein bislang wichtigstes Gespräch auf dem Programm steht. Mit Jake Sullivan, dem Sicherheitsberater des Weißen Hauses, verhandelt er mit Wang Yi, seinem chinesischen Amtskollegen, und Yang Jiechi, im Politbüro der Kommunistischen Partei Chinas für Außenpolitik zuständig.
Allein die Reiseplanung macht klar, wo die Regierung Joe Bidens ihre Prioritäten sieht: in Ostasien, nicht in Europa. Dass der Präsident gern von seinen irischen Wurzeln erzählt, ist Folklore, aus der sich an politischen Schlüssen nichts ableiten lässt. Blinken hat das vor ein paar Tagen nüchtern bestätigt, als er im Abgeordnetenhaus begründete, warum er als Erstes nach Asien fliegen würde. „Die indo-pazifische Region wird immer mehr zum globalen geopolitischen Zentrum“, sagte er, um als Nächstes die Rivalität mit China zu skizzieren. Es liege sehr im Interesse der USA, dass diese Schlüsselregion frei und offen sei, geprägt von Achtung der Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. China dagegen setze auf Zwang, um Interessen durchzusetzen. Gleichwohl werde man ausloten, wo man mit Peking kooperieren könne.
Damit hat der Chefdiplomat ohne Schnörkel den Balanceakt beschrieben, an dem sich Bidens Kabinett gerade versucht. Einerseits deutliche Kritik, wie Blinken sie Anfang März äußerte, das Vorgehen gegen die muslimischen Uiguren als Genozid charakterisierend. Andererseits der Versuch, mit dem aufstrebenden Rivalen einen Modus Vivendi zu finden, Konflikte zu managen, statt sie eskalieren zu lassen. Hinter vorgehaltener Hand sprechen amerikanische Diplomaten, die man dann nur eben nicht beim Namen nennen darf, vom entscheidenden Wettlauf des 21. Jahrhunderts. Hier die amerikanische Techno-Demokratie, dort die chinesische Techno-Diktatur – wer ist effizienter?
Dass Peking Corona-Impfstoff nach Afrika und Lateinamerika liefert, während in Michigan oder Massachusetts produzierte Präparate die USA nicht verlassen dürfen, solange die eigene Bevölkerung nicht versorgt ist, lässt Kommentatoren mahnen, Biden dürfe bei allem Fokus aufs Nationale den Soft-PowerWettbewerb mit der Volksrepublik nicht aus den Augen verlieren. Der Präsident, schrieb die „New York Times“neulich, dürfe den Amerikanern nicht nur versichern, dass sie bis zum Sommer geimpft seien. Er müsse ihnen auch versichern, dass es „aus Gründen der Moral und des gesunden Menschenverstands“in ihrem Interesse liege, wenn ihr Land im globalen Krieg gegen das Virus in erster Reihe marschiere.
Der Balanceakt: Im Grunde ist es nichts Neues, allerdings wurden die Akzente im Weißen Haus immer anders gesetzt. Barack Obama baute darauf, China einzubinden, indem man dem Land auf gleicher Augenhöhe begegnete. Auf seine Initiative wurde der „strategische und ökonomische Dialog“eingefädelt, ein jährliches Forum, dessen Sinn darin bestand, Missverständnisse rechtzeitig auszuräumen. Es war die Zeit nach der Finanzkrise, die dem Anspruch Washingtons, gegenüber dem staatskapitalistischen China die Rolle des Lehrmeisters zu spielen, vieles an Glaubwürdigkeit genommen hatte.
„Die indo-pazifische Region wird zum geopolitischen Zentrum“
Antony Blinken US-Außenminister