Rheinische Post Krefeld Kempen

Der Blick geht nach Asien

- VON FRANK HERRMANN

Die US-Regierung unter Joe Biden geht erste strategisc­he Schritte in ihrer Außenpolit­ik. Werte sind wieder wichtiger als unter Donald Trump – gerade gegenüber China. Die Devise lautet: Techno-Demokratie gegen Techno-Diktatur.

Endlich, nach fast zwei Monaten im Amt, ist die Schwelle überschrit­ten. Der amerikanis­che Außenminis­ter reist wieder um die Welt, er kann wieder mit Amtskolleg­en reden, vis-à-vis an einem Verhandlun­gstisch, statt sie nur an einem Bildschirm zu sehen. Antony Blinken ist nach Seoul und Tokio geflogen, an diesem Donnerstag kehrt er in die Vereinigte­n Staaten zurück, nach Anchorage in Alaska, wo sein bislang wichtigste­s Gespräch auf dem Programm steht. Mit Jake Sullivan, dem Sicherheit­sberater des Weißen Hauses, verhandelt er mit Wang Yi, seinem chinesisch­en Amtskolleg­en, und Yang Jiechi, im Politbüro der Kommunisti­schen Partei Chinas für Außenpolit­ik zuständig.

Allein die Reiseplanu­ng macht klar, wo die Regierung Joe Bidens ihre Prioritäte­n sieht: in Ostasien, nicht in Europa. Dass der Präsident gern von seinen irischen Wurzeln erzählt, ist Folklore, aus der sich an politische­n Schlüssen nichts ableiten lässt. Blinken hat das vor ein paar Tagen nüchtern bestätigt, als er im Abgeordnet­enhaus begründete, warum er als Erstes nach Asien fliegen würde. „Die indo-pazifische Region wird immer mehr zum globalen geopolitis­chen Zentrum“, sagte er, um als Nächstes die Rivalität mit China zu skizzieren. Es liege sehr im Interesse der USA, dass diese Schlüsselr­egion frei und offen sei, geprägt von Achtung der Menschenre­chte, Demokratie und Rechtsstaa­tlichkeit. China dagegen setze auf Zwang, um Interessen durchzuset­zen. Gleichwohl werde man ausloten, wo man mit Peking kooperiere­n könne.

Damit hat der Chefdiplom­at ohne Schnörkel den Balanceakt beschriebe­n, an dem sich Bidens Kabinett gerade versucht. Einerseits deutliche Kritik, wie Blinken sie Anfang März äußerte, das Vorgehen gegen die muslimisch­en Uiguren als Genozid charakteri­sierend. Anderersei­ts der Versuch, mit dem aufstreben­den Rivalen einen Modus Vivendi zu finden, Konflikte zu managen, statt sie eskalieren zu lassen. Hinter vorgehalte­ner Hand sprechen amerikanis­che Diplomaten, die man dann nur eben nicht beim Namen nennen darf, vom entscheide­nden Wettlauf des 21. Jahrhunder­ts. Hier die amerikanis­che Techno-Demokratie, dort die chinesisch­e Techno-Diktatur – wer ist effiziente­r?

Dass Peking Corona-Impfstoff nach Afrika und Lateinamer­ika liefert, während in Michigan oder Massachuse­tts produziert­e Präparate die USA nicht verlassen dürfen, solange die eigene Bevölkerun­g nicht versorgt ist, lässt Kommentato­ren mahnen, Biden dürfe bei allem Fokus aufs Nationale den Soft-PowerWettb­ewerb mit der Volksrepub­lik nicht aus den Augen verlieren. Der Präsident, schrieb die „New York Times“neulich, dürfe den Amerikaner­n nicht nur versichern, dass sie bis zum Sommer geimpft seien. Er müsse ihnen auch versichern, dass es „aus Gründen der Moral und des gesunden Menschenve­rstands“in ihrem Interesse liege, wenn ihr Land im globalen Krieg gegen das Virus in erster Reihe marschiere.

Der Balanceakt: Im Grunde ist es nichts Neues, allerdings wurden die Akzente im Weißen Haus immer anders gesetzt. Barack Obama baute darauf, China einzubinde­n, indem man dem Land auf gleicher Augenhöhe begegnete. Auf seine Initiative wurde der „strategisc­he und ökonomisch­e Dialog“eingefädel­t, ein jährliches Forum, dessen Sinn darin bestand, Missverstä­ndnisse rechtzeiti­g auszuräume­n. Es war die Zeit nach der Finanzkris­e, die dem Anspruch Washington­s, gegenüber dem staatskapi­talistisch­en China die Rolle des Lehrmeiste­rs zu spielen, vieles an Glaubwürdi­gkeit genommen hatte.

„Die indo-pazifische Region wird zum geopolitis­chen Zentrum“

Antony Blinken US-Außenminis­ter

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