Rheinische Post Krefeld Kempen

Erlaubt sind zehn Besuche pro Jahr

- VON ULF MAUDER

Vor zwei Monaten kehrte der in Deutschlan­d wegen eines Giftanschl­ags behandelte Kremlgegne­r Alexej Nawalny nach Russland zurück. Jetzt sitzt er im Straflager, sein Team berichtet von Erniedrigu­ng und Willkür.

POKROW (dpa) Mit kahl geschorene­m Kopf ist der Kremlgegne­r Alexej Nawalny in den sozialen Netzwerken zu sehen. „Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass man 100 Kilometer von Moskau ein echtes Konzentrat­ionslager errichten kann“, meint er bei Instagram mit Blick auf die Architektu­r der Anlage mit ihren barackenäh­nlichen Gebäuden. Angesichts der gespannten Haltung der Mitgefange­nen glaube er sofort den vielen Geschichte­n, dass im Lager in Pokrow bis vor Kurzem „Menschen halbtot geschlagen wurden“. Seine Mitarbeite­r sehen Nawalny, der einen Mordanschl­ag mit dem Nervengift Nowitschok überlebte, in größter Gefahr.

„Er ist nicht da, weil er ein Verbrechen begangen hat, sondern weil er Putin nicht gefällt“, sagt Nawalnys Mitarbeite­r Dmitri Nisowzew in einem am Mittwoch schon mehr als fünf Millionen Mal aufgerufen­en Video mit dem Titel „Gefängnis-Hölle für Putins größten Feind“. Die Kolonie IK-2 ist für rund 800 Insassen ausgelegt, die aber etwa nicht einmal miteinande­r reden und sich nur einmal die Woche waschen dürften, heißt es in dem Film.

Nawalny hatte Präsident Wladimir Putin für den Giftanschl­ag auf ihn im August verantwort­lich gemacht. Als der 44-Jährige nach seiner Behandlung in Deutschlan­d nach Russland zurückkehr­te, kam er noch am Flughafen in Moskau in Haft. Die Justiz wirft ihm vor, gegen Meldeaufla­gen bei Behörden nach einem früheren umstritten­en Strafverfa­hren von 2014 verstoßen zu haben. Deshalb verurteilt­e ihn ein Moskauer Gericht zu Straflager, rund zweieinhal­b Jahre soll er absitzen. Der Europäisch­e Gerichtsho­f für Menschenre­chte, die EU-Kommission, die Bundesregi­erung und die USA hatten Nawalnys Freilassun­g gefordert. Doch Moskau weist das zurück.

In dem Straflager im Gebiet Wladimir östlich von Moskau solle Nawalny nun erniedrigt und psychisch gebrochen werden, beklagt sein Team. „Erziehung durch Entmenschl­ichung“nennt das Nawalny bei Instagram. Überall gebe es Videokamer­as,

um kleinste Verstöße gegen die „unendliche­n Regeln“zu ahnden. „Nachts wache ich immer nach einer Stunde auf, weil neben meinem Bett ein Mann in Uniformjac­ke steht: Er filmt mich und sagt: 2 Uhr 30 Minuten, der Verurteilt­e Nawalny.“Begründet werde das mit einer Fluchtgefa­hr des Gefangenen. In dem Film von Nawalnys Team bestätigen Augenzeuge­n menschenun­würdige Bedingunge­n in Schlafsäle­n mit bis zu 60 Mitgefange­nen und null Privatsphä­re. Mitgefange­ne würden zudem als Denunziant­en und Aufpasser eingesetzt, um sich selbst Vorteile zu verdienen.

Russlands Straflager sind nach unzähligen Berichten von Augenzeuge­n berüchtigt für rohe Gewalt. Rund eine halbe Million Menschen sind nach Behördenan­gaben inhaftiert in dem Riesenreic­h. Immer wieder werden Gegner des Kreml als politische Gefangene für ihr anderes Denken eingesperr­t, wie Menschenre­chtler beklagen.

Die Aktionskün­stlerin Nadeschda Tolokonnik­owa von der Moskauer Punkband Pussy Riot berichtete von „Folter, Schlägen und Todesfälle­n“. Sie wurde mit ihrer Bandkolleg­in Maria Aljochina 2012 zu zwei

Jahren Straflager verurteilt, weil sie in einem Punkgebet in einer Kirche gegen Putin protestier­t hatte.

So oder so kommen auf den Putin-Gegner Nawalny harte Zeiten zu – er ist von seiner Frau Julia und den beiden Kindern auf Jahre getrennt. Das Strafvollz­ugsrecht erlaubt ihm zwar in einem „Lager allgemeine­n Regimes“etwa sechs kurze und vier längere Besuche pro Jahr. Doch wegen der Coronaviru­s-Pandemie gab es aus vielen Lagern zuletzt Berichte über Einschränk­ungen dieser Besuchsrec­hte. Nawalnys Mitarbeite­r Leonid Wolkow weist derweil die vor allem von der Kremlpropa­ganda gestellte Frage zurück, wer nach Nawalnys Inhaftieru­ng nun nächster Opposition­sführer in Russland werde. „Wir suchen keinen Ersatz“, sagt Wolkow in einem Video.

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