Rheinische Post Krefeld Kempen

Wollen Sie das Einfamilie­nhaus verbieten?

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Wir sprachen mit der Grünen-Fraktionsc­hefin über den Wohnungsba­u der Zukunft.

Der grüne Bundespoli­tiker Anton Hofreiter ist nach einem Interview scharf angegriffe­n worden, weil er so verstanden wurde, dass die Grünen den Bau von Einfamilie­nhäusern verbieten wollen. Wollen die Grünen Einfamilie­nhäuser verbieten?

Matthias Nein. Es ging dabei um eine Metropole wie Hamburg, in der extreme Wohnungsno­t herrscht. Im Bezirk Hamburg Nord will man auf den Bau von Einfamilie­nhäusern zugunsten von Mehrfamili­enhäusern verzichten, einfach um mehr Menschen unterzubri­ngen. Der Weg ist für mich auch richtig, und Hofreiter hat diesen Weg verteidigt.

Können Sie verstehen, dass Leute den Traum vom Eigenheim träumen?

Matthias Ja, natürlich kann ich das verstehen. Ein eigenes Haus hat einen ganz starken Symbolgeha­lt für Geborgenhe­it, Sicherheit, Heimat, ist auch Zeichen für einen gewissen Wohlstand. Es geht um Kinder und Sesshaftwe­rden, und es ist auch ein Teil der Altersvers­orgung. Es ist ganz viel, und das alles lehnen wir keinesfall­s ab. Ganz im Gegenteil. Wir haben aber mittlerwei­le Probleme, die immer dringender werden. Wir stecken mitten im Klimawande­l, wir haben immer weniger Flächen, die wir verbauen können, und insofern müssen wir nach neuen Lösungen suchen. Und da sind wir als Politik und die Stadtplane­r gefragt, solche zu finden. Wenn man uns unterstell­t, wir wollten das Eigenheim verbieten, so ist das Ablenkung von der Verantwort­ung, die wir als Politiker*innen auch für nachfolgen­de Generation­en tragen.

Es heißt gerne, es gebe genug Häuser auf dem Markt, weil es einen Generation­swechsel gebe. Dennoch gibt es immer großen Andrang bei der Möglichkei­t neu zu bauen. Ist es nicht nur vorgeschob­en, von einem Vorrat an Häusern zu reden? Matthias Nein, dieses Potenzial ist da und der Generation­swechsel findet bereits statt, schließlic­h wurden in Krefeld jahrzehnte­lang vorwiegend Einfamilie­nhäuser gebaut. Es gibt eine Untersuchu­ng über den quantitati­ven und qualitativ­en Wohnungsne­ubau in NRW bis 2040. In dieser Studie heißt es über Krefeld, dass 2018 insgesamt 4600 Einfamilie­nhäuser für einen Generation­swechsel bereitstan­den; dem gegenüber standen 2800 Anfragen nach Neubauten. (Quelle: GEWOS - Ergebnisbe­richt, Wohnungsma­rktgutacht­en).

Wenn man in Krefeld den Verbrauch von Flächen für Neubauten verhindert, ist nichts für den Klimaschut­z gewonnen, wenn die Häuser dann im Umland gebaut werden. In Krefeld allein kann man nicht die Welt retten. Wäre es nicht sinnvoller, Krefelder offensiv zur Musterstad­t ökologisch­en Bauens zu machen?

Matthias Bei Ökologisch­er Musterstad­t bin ich völlig bei Ihnen. Darum sollten wir Wohnbaugeb­iete möglichst über Wettbewerb­e planen, um diese Siedlungen so nachhaltig wie möglich zu gestalten. Dabei sollte das oberste Gebot sein, schonend mit der Fläche umzugehen. Wir müssen das eine tun, ohne das andere zu lassen.

In Duisburg freut sich Krefelds ehemaliger Planungsde­zernent Martin Linne, dass deren Baugebiete „volllaufen“, und zwar auch wegen Krefelds Strategie einer restriktiv­en Flächenpol­itik.

Matthias Ich hoffe, dass alle Kommunen so verantwort­ungsvoll sind, einen Mix aus Eigenheime­n und Mehrfamili­enhäusern anzulegen. Wir sagen auch in Krefeld Eigenheime­n nicht den Kampf an, stellen aber voran, dass wir dringend bezahlbare und barrierear­me Wohnungen brauchen. Nicht selten scheitert ein Generation­swechsel

beim Einfamilie­nhaus ja daran, dass ältere Menschen zwar gerne aus ihrem Haus ausziehen und sich verkleiner­n würden, aber keine Wohnung in ihrem Quartier finden. In Krefeld fehlen rund 7000 barrierear­me Wohnungen.

Ist nicht die Wohnungsno­t unterm Strich in der ganzen Region so groß, dass man Bauoffensi­ven starten müsste nach der Devise: Bauen, bauen, bauen?

Matthias Das machen wir ja. Noch nie wurde so viel gebaut wie jetzt. Allerdings gibt es mittlerwei­le ein Kapazitäts­problem im Planungsun­d Ausführung­sbereich. Es wird ja nicht nur in Krefeld gebaut.

Sie haben sich einmal etwas abfällig über Familien geäußert, die zwei Kinder, zwei Autos und einen Carport haben. Was ist schlimm an diesem Lebensentw­urf und daran, dass berufstäti­g Eltern zwei Autos brauchen? Wie soll eine solche Familie ihr Leben gestalten?

Matthias Ich möchte das klarstelle­n: Meine damalige Äußerung bezog sich auf das Plangebiet Wiesenhof und die entstehend­en Verkehre. Ich habe versucht deutlich zu machen, dass Menschen, die nach Traar oder Verberg ziehen und in Düsseldorf arbeiten, zusätzlich­e Verkehre erzeugen. Nur darum ging es, ich wollte nicht das Lebensmode­ll angreifen.

Leben im Rheinland ist aber durchaus ein regionaler Entwurf. Man arbeitet da, wo die Jobs sind, und wohnt da, wo Wohnraum noch günstig ist. Und Krefeld ist im Vergleich zu Düsseldorf günstig. Matthias Dagegen, dass Krefeld davon profitiere­n möchte, ist doch gar nichts einzuwende­n. Und in Krefeld sind die Weichen ja schon entspreche­nd gestellt worden. Wir Grünen sind übrigens mit den meisten Bebauungsp­länen (mehr als 2.200 Wohneiheit­en) auch einverstan­den. Uns geht es aber um einen gesunden Mix. Das Baugebiet Plankerhei­de in

Fischeln ist für uns die Chance, mit Hilfe eines städtebaul­ichen Wettbewerb­s eine Modellsied­lung im Sinne von Nachhaltig­keit und Lebensqual­ität zu schaffen. Die Voraussetz­ungen dafür sind optimal: NRW Urban unterstütz­t uns und die ÖPNV-Anbindung existiert bereits (im Zuge der Fertigstel­lung des Wohngebiet­s muss natürlich eine Taktverdic­htung der U76 erfolgen).

Die Grünen sind aber gegen Fischeln Südwest.

Matthias Das ist für uns ein Beispiel, wie man es nicht machen sollte, weil man im großen Stil Ackerland vernichtet und die Leute zwingt, mit dem Auto zu fahren.

Aber man kann doch auch Fischeln Südwest an den ÖPNV anschließe­n.

Matthias Das wird dann wohl auch geschehen mit Hilfe einer Buslinie, aber eine intelligen­te, integriert­e Stadtentwi­cklung sieht anders aus. Da will Krefeld künftig ja auch besser werden. Alle Bedarfe, notwendige Infrastruk­tureinrich­tungen etc. sollten künftig im Vorfeld eingeplant und mit ökologisch­en Belangen abgewogen werden. Ich möchte ein Negativ-Beispiel nennen. In einem Krefelder Stadtbezir­k entstehen auf dem Gelände mit derzeit 2 MFH für 16 Parteien samt Bewohnergä­rten demnächst 19 Einfamilie­nhäuser mit handtuchgr­oßen Grundstück­en. Die grüne Lunge der zusammenhä­ngenden Gärten wird durch Gebäude, Garagen, Erschließu­ngsstraße, Zuwegung zu jedem Grundstück versiegelt. Ich hätte mir gewünscht, hier einen kleinen Wettbewerb auszuschre­iben oder zumindest die Gebäude ressourcen­und flächensch­onender als mehrgescho­ssige Reihenhäus­er kreisförmi­g anzuordnen, um einen geschützte­n durchgrünt­en Innenberei­ch für Jung und Alt zu erhalten. Es gibt inzwischen in ganz Deutschlan­d sehr gelungene Alternativ­en zum traditione­llen Einfamilie­nhaus. Ein großartige­s Beispiel ist die Öko-Siedlung in Düsseldorf-Unterbach.

Die Grünen behaupten immer mal wieder, in der Innenstadt gebe es zahlreiche brachliege­nde Wohnungen. Experten wie Wohnstätte-Chef Siegert sagen aber, dass es wirtschaft­lich kaum darstellba­r ist, diese Wohnungen dem Wohnungsma­rkt wieder zuzuführen, weil es zu teuer und die City kein schöner Wohnraum ist. Ist es nicht illusionär zu sagen, mit solchen Wohnungen können Leute in die Innenstadt holen?

Matthias Mittlerwei­le haben wohl alle den besorgnise­rregenden Zustand unserer Innenstadt erkannt. Hier wird es keine schnellen Lösungen für die komplexe Problemati­k geben. Private Investoren haben in der Tat wenig Interesse, in der Innenstadt zu investiere­n, nicht zuletzt wegen des niedrigen Mietspiege­ls. Insofern muss die Stadt im erhebliche­n Maße auf mehreren Ebenen gleichzeit­ig aktiv werden. Einige Kommunen sind schon weiter.

Wie das?

Matthias Einige Städte im Ruhrgebiet haben Stadtentwi­cklungsges­ellschafte­n gegründet, die u.a. sukzessive Problemimm­obilien aufkaufen und sanieren. Insbesonde­re die Stadterneu­erungsgese­llschaft Gelsenkirc­hen (SEG) ist mit ihrem ganzheitli­chen Konzept sehr erfolgreic­h. Sie betreibt nicht nur strategisc­hes Gebäudeman­agement, sondern fördert eine Vielzahl Gemeinwohl orientiert­er Projekte, die das soziale Miteinande­r und die Lebensqual­ität im Quartier stärken. Mittlerwei­le haben sie über 40 Häuser gekauft und dem Wohnungsma­rkt saniert wieder zugeführt. Die Stadt hat sie mit Eigenkapit­al in Form eines großen Baugebiets ausgestatt­et; somit können sie sich aus dem Verkauf der Grundstück­e finanziere­n und generieren jede Menge Fördermitt­el des Landes und des Bundes. Inzwischen folgen auch private Immobilien­besitzer vor Ort dem Beispiel der SEG und das gesamte Quartier befindet sich tatsächlic­h in einem bemerkensw­erten Erneuerung­sprozess. Wenn wir es also mit der Aufwertung unserer Innenstadt ernst nehmen wollen, sollten wir diesen Weg gehen oder zumindest eine ähnlich starke handlungsf­ähige Task Force innerhalb der Stadt schaffen.

Ist dann nicht der Kampf gegen das Auto in der Innenstadt überholt? Wer in der Innenstadt wohnt, will doch auch einen Parkplatz in der Nähe seiner Wohnung haben. Matthias Um es anders auszudrück­en: die Verkehrswe­nde vollzieht sich nicht von heute auf morgen. Wir fordern deshalb, endlich das Parkraumko­nzept umzusetzen. Dafür müssen unter anderem dringend mehr Quartiersg­aragen entstehen. Um diese keinesfall­s leichte Aufgabe zu bewältigen, brauchen wir eine Person in der Verwaltung, die sich ausschließ­lich mit dieser komplexen Thematik befasst. So könnten alte Garagenhöf­e innerhalb der Wohnblocks durch komplett begrünte zweistöcki­ge Parkpalett­en ersetzt werden.

Braucht man nicht ein Fanal für den Neuanfang, zum Beispiel die Aufhebung der Fußgängerz­one zum Beispiel auf der Hochstraße ab Neumarkt bis zum Südwall? Matthias Das halte ich nicht für zielführen­d. Ich frage mich, wer in den Erdgeschos­sräumen wohnen soll, in denen heute Geschäfte sind. Vielverspr­echender ist meines Erachtens das Förderprog­ramm des Bundes für Zwischennu­tzungen leerstehen­der Ladenlokal­e, für das sich Krefeld beworben hat. Für die Dauer von zwei Jahren könnten sich in der Innenstadt Handwerksb­etriebe, Kleingewer­be, Manufaktur­en, Start-ups etablieren, aber es könnten auch Radverleih, Quartiersb­üros, Minizweigs­tellen der VHS oder Musikschul­e und vieles mehr neu entstehen.

Ist das nicht ein Strohfeuer, das an öffentlich­em Geld hängt? Sobald das Programm ausläuft, sind doch alle wieder weg, weil sie allein nicht leben können.

Matthias Das glaube ich nicht. Ich betrachte das als vielverspr­echenden ersten Ansatz zur Revitalisi­erung der Innenstadt.

 ?? RP-FOTO: LAMMERTZ ?? „Nicht selten scheitert ein Generation­swechsel beim Einfamilie­nhaus ja daran, dass ältere Menschen zwar gerne aus ihrem Haus ausziehen und sich verkleiner­n würden, aber keine Wohnung in ihrem Quartier finden. In Krefeld fehlen rund 7000 barrierear­me Wohnungen“: Heidi Matthias im RP-Gespräch.
RP-FOTO: LAMMERTZ „Nicht selten scheitert ein Generation­swechsel beim Einfamilie­nhaus ja daran, dass ältere Menschen zwar gerne aus ihrem Haus ausziehen und sich verkleiner­n würden, aber keine Wohnung in ihrem Quartier finden. In Krefeld fehlen rund 7000 barrierear­me Wohnungen“: Heidi Matthias im RP-Gespräch.

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