Rheinische Post Krefeld Kempen
Lebensmittel-Retter im Einsatz
Sandra Thoenissen und Kristiane Carstanjen-Vogt koordinieren die Arbeit von rund 300 so genannten Foodsavern, die im Kreis Viersen aktiv sind.
KEMPEN Im Einkaufswagen des Edeka-Marktes in St. Hubert von Kristiane Carstanjen-Vogt und Sandra Thoenissen finden sich Möhren, Bananen, Schokolade, Kekse, Tiefkühl-Rotkohl, Brot, Schokomilch, Frischkäse und ein Burger. Die Bananen sind etwas fleckig, bei einigen Lebensmitteln ist das Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen, eine Packung ist beschädigt.Dies alles wäre normalerweise in den Müll gewandert.
Die beiden Frauen aus Niederkrüchten sind Teil der bundesweiten Initiative „Foodsharing“, die sich die Rettung von Lebensmitteln auf die Fahnen geschrieben hat. Als Botschafterinnen der Initiative koordinieren sie die Tätigkeiten von mehr als 300 „Foodsavern“im Kreis Viersen. So nennen sich die Menschen, die bei rund 40 Betrieben im Kreis regelmäßig Lebensmittel abholen, die ansonsten in den Müll gewandert wären. Für David Rywotzki, den Inhaber des St. Huberter Edeka-Marktes an der Stendener Straße, ist es eine Win-Win-Situation. Er spart Entsorgungskosten und weiß seine Lebensmittel gut verwertet. „Das ist wirklich nachhaltig“, findet er. Seit mehr als einem Jahr kooperiert er mit den Foodsavern.
Dreimal in der Woche kommen die Retter vorbei. Organisiert wird das Ganze über eine Internetplattform, in die sich die Retter zuvor in das jeweilige Zeitfenster eintragen. „Ohne Zwang oder feste Verpflichtung“, wie Kristiane Carstanjen-Vogt betont. Alle Mitglieder arbeiten freiwillig, ehrenamtlich und unentgeltlich. Zu den festgesetzten Zeiten betreten sie, aktuell mit Masken und unter Wahrung der Sicherheitsabstände, das Lager des Marktes, wo bereits eine Kiste mit der aussortierten Ware auf sie wartet. Die Retter nehmen alles mit, was noch verzehrbar, aber nicht mehr verkäuflich ist. Und das ist viel. Die Käufer seien sehr anspruchsvoll. Und oft gehe es nur um die vermeintlich perfekte Optik. „Verschrumpelte Radieschen etwa müssen nur kurz ins Wasser gelegt werden“, sagt Sandra Thoenissen. Zudem sind sehr viele Waren weit über das angegebene Mindesthaltbarkeitsdatum hinaus genießbar. „Es gilt, sich beim Testen der Lebensmittel auf seine Sinne zu verlassen“, sagt Kristiane Carstanjen-Vogt, sprich: anschauen, schnuppern und probieren.
Jeder Retter organisiert eigenverantwortlich die Weiterverteilung der Ware in seiner näheren Umgebung, oftmals über Whats-App-Gruppen. Wer die Lebensmittel letztlich erhält, ist dabei unerheblich. „Hauptsache, es wird gerettet“, so das Motto. Zu
den Abholern gehören Menschen, die den Gedanken der Nachhaltigkeit unterstützen wollen, aber Aspekte der Wirtschaftlichkeit können durchaus auch eine Rolle spielen. Ohne dass dies thematisiert würde. Die beiden Frauen erzählen von älteren Menschen mit kleiner Rente, Alleinerziehenden und Menschen, die sich aktuell in Kurzarbeit befinden und für die kostenlose Lebensmittel eine willkommene Entlastung
seit Dezember 2019 tätig. In diesem Zeitraum wurden 79 Tonnen Lebensmittel gerettet. Hintergrund Elf Millionen Tonnen Lebensmittel werden in Deutschland jährlich als Abfall entsorgt, davon entfallen etwa 6,7 Millionen Tonnen auf die Privathaushalte. Im Schnitt wirft jeder Bundesbürger 82 Kilogramm Lebensmittel pro Jahr weg.
ihres Budgets sind. Auch bei den Botschafterinnen hat sich im privaten Einkaufs- und Kochverhalten durch die Rettungsaktionen viel verändert. „Ich kaufe nur noch Fleisch und Aufschnitt dazu“, erzählt Sandra Thoenissen. Und Kristiane Carstanjen-Vogt erzählt von neuen, originellen Gerichten, die sie kreiiert. „Wir kochen nicht nach Rezept, sondern mit dem, was gerade im Kühlschrank ist“, sagt sie. In den
Gruppen werden Verwertungstipps ausgetauscht, etwa zum Einfrieren, Trocknen und Einkochen. Selbstgemachte Pommes, eingekochte Tomatensaucen, getrocknete Apfelringe, frischer Orangensaft und eigenes Kräutersalz bereichern dann plötzlich den Speiseplan.
Auch bei David Rywotzki haben die Foodsaver neue Impulse gesetzt. Noch genauer kontrolliert er, wie er sein Einkaufsverhalten dem tatsächlichen Bedarf seiner Kunden anpassen kann. „Wenn eine bestimmte Brotsorte immer wieder übrig ist, nehme ich sie aus dem Sortiment“, sagt er. Ein Problem sind dabei große Mindestchargen, die er bei manchen Produkten abnehmen muss. Wenn tatsächlich mal die Meldung aus den Betrieben kommt, dass heute nichts zu retten sei, ist dies ganz im Sinne der Foodsaver. „Wir sind eine Initiative, die sich letztlich abschaffen will“, sagt Kristiane Carstanjen-Vogt. Doch bis dahin dürfte es noch ein langer Weg sein.