Rheinische Post Krefeld Kempen
Das Grotenburg-Wunder kommt ins Theater
Vor 35 Jahren hatte der Krefelder Fußball seinen Höhepunkt bei einem 7:3-Sieg gegen Dynamo Dresden. Rüdiger Höfken macht aus der Sport-Sensation ein Stück, in dem es um eine Brisanz geht, die damals niemand ahnte.
Am Nachmittag des 19. März 1986 deutete noch nichts darauf hin, dass dieser Mittwoch zu jenen Tagen gehören würde, von dem viele Menschen noch nach Jahren genau sagen können, was sie gemacht haben. Am Abend geschah das Wunder, das nicht nur Fußballdeutschland bewegte – und Rüdiger Höfken war dabei, ganz dicht dran: Im Europapokalspiel fegte Bayer Uerdingen die Elf von Dynamo Dresden vom Platz. 7 : 3 – ein Sieg, der nicht nur in der Vereinsgeschichte des KFC Uerdingen als „Das Wunder von der Grotenburg“nachzulesen ist.
Und es ist mehr als Fußball, findet Höfken, der sich an die besondere Stimmung gut erinnert. Das will er demnächst auf der Bühne zeigen. Im Auftrag des Theaters Krefeld und Mönchengladbach hat er ein Stück für die Studiobühne geschrieben. Für „Das Wunder von der Grotenburg“ist die Premiere für den 9. April geplant.
An jenem Schicksalstag war Höfken 21 und mit seinem Vater im Stadion. „Die erste Halbzeit haben wir auf der Seite zum Sprödentalplatz gestanden“, erinnert er sich. Die Stimmung war nicht berauschend: Die Blau-Roten, die das Hinspiel schon 0:2 versemmelt hatten, lagen 1:3 zurück. „Viele glaubten, es sei vorbei. Manche sind auch gegangen. Aber ich war mit Kopf und Herz überzeugt: Da geht noch was.“In der Pause wechselte er dann auf die andere Stadionseite und bekam Recht. „Ich stand direkt hinter dem Tor.“Sechs Treffer hat er aus nächster Nähe erlebt. Das brennt sich ein ins Fan-Herz.
„Fan bleibt man durch alle Höhen und Tiefen. Mit sieben habe ich das erste Fußballspiel auf dem Platz gesehen, mit zehn die erste Bundesliga-Saison erlebt. Heute bin ich 56 und habe den Verein von der ersten Liga beim Abstieg bis in die sechste Liga begleitet und wieder hoch in die dritte. Es war nicht immer einfach, aber ich war immer dabei“, sagt er. Und dass er auch schon nachts in Kanada vor dem Radio gehockt hat, weil sein Verein spielte.
Ja, um Fußball muss es im Theater auch gehen. Doch die Krefelder Antwort auf den Theaterkassen-Schlager „Borussia-Revue“werde auch eine andere, eine ernste Geschichte erzählen. Denn das Spiel hatte politische und menschliche Brisanz. Es war ein deutsch-deutsches Duell, BRD gegen DDR. Dresdens Trainer Klaus Sammer wurde bei der Heimkehr gleich abgesetzt, für den gefoulten Torwart Bernd Jakubowski war die Karriere vorbei und Spieler Frank Lippmann setzte sich ab und blieb im Westen.
„Das Ganze spielte sich drei, vier Jahre vor der Wende ab. Damals ahnte niemand, wie sich die Dinge entwickeln würden. Die deutsch-deutsche Geschichte hat mich interessiert“, sagt der Autor. Für acht Wochen ist er von Krefeld nach Dresden gezogen, um dort zu recherchieren, sich in die Mentalität einzufühlen und zu schreiben. „Ich hatte mit Bayer-Torhüter Werner Vollack schon regelmäßigen Kontakt. Aber es war ein riesiger Zufall, dass ich abends mit meiner Frau eine Kabarettveranstaltung in Dresden besuchte und dort Jens Ramme getroffen habe, den Tormann, der die sechs Treffer kassiert hat.“
Ramme war in der zweiten Halbzeit für Stammtorhüter Jakubowski ins Spiel gekommen. „Wir haben nicht nur über die Gefühle beim Spiel gesprochen. Ich wusste vorher so gut wie nichts über den Fußball in der DDR. Dass das ein Spielzeug für Erich Mielke war und es so was wie verordnete Meisterschaften gab. Es war eine ganz andere Welt und niemand hätte sich vorstellen können, dass drei Jahre später alles anders, das System obsolet wäre. Das gibt dem Ganzen zusätzlich Gewicht. Es war ein Schicksalsspiel in jeder Hinsicht.“
Diese Brisanz sei damals nicht zu spüren gewesen. „Die Spiele wurden auch medial nicht so ausgeschlachtet wie heute. Man hat sie live auf dem Platz gesehen, es gab ein kurzes Interview, den Bericht in der Sportschau und in der Zeitung“, sagt Höfken.
Ein Stück deutsch-deutscher Historie will Höfken in einer Familiengeschichte erzählen. Drei Personen werden sie spielen: Michael Grosse, Betty Ixkes und Höfken selbst. In diesen Tagen starten die Proben. Die sind nicht nur überschattet von den Unwägbarkeiten der Pandemie, sondern auch vom Schicksal des Stadions. „Die Pläne für das Stück sind lange vor der Diskussion gereift. Aber es tut schon weh, den Platz, der so mit Tradition und Geschichte des Krefelder Fußballs verbunden ist, so zu sehen: die Tribüne nackt, der Rasen aufgerissen. Er ist über 20 Jahre geschichtsvergessen verwahrlost.“