Rheinische Post Krefeld Kempen
Wie man Menschen für die Bahn gewinnt
Taktung und Technik und Angebote verbessern – denn das Elektro-Auto löst kein Verkehrsproblem: Wir sprachen mit dem Bundesvorsitzenden von Pro Bahn über Details im Nah- und Fernverkehr der Region.
Spricht man mit Detlef Neuß über Verbesserungen und Probleme im Bahnverkehr und im Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV), wird schnell klar: Der Teufel liegt im Detail – und im großen Ganzen. Ein Detail sind etwa Softwareprobleme bei Triebwagen der Nordwestbahn, die nicht problemlos vor jeden Zug gespannt werden können: „Selbst baugleiche Fahrzeuge sind nicht koppelbar, weil die Software nicht mehr zu den alten Wagen passt“, sagt Neuß. Heißt: Wenn ein Triebwagen ausfällt, ist es ein Problem, Ersatz zu finden. Schon fallen Züge aus.
Detelf Neuß kennt den Bahnverkehr wenn die Verspätung mehr als als drei Minuten beträgt. Bei der Nordwestbahn (NWB) waren 2019 von 100 Fahrten 18 Züge unpünktlich. Laut NWB waren davon 16 auf externe Ursachen zurückzuführen, die vor allem bei DB Netz oder in veralteter Infrastruktur liegen. Nur ein kleiner Anteil gehe auf das eigene Konto. Auch Neuß plädiert für eine umfassende Modernisierung und Sanierung: „Die Strecke ist veraltet, Bahnübergänge kaputt, Stellwerke nicht auf dem neuesten Stand.“Abhilfe ist in Sicht: 2020 hat der Bund rund 45 Millionen Euro für die Modernisierung der Bahnstrecke zwischen Kleve und Kempen bereitgestellt.
Neuß betont allerdings auch, dass die Nordwestbahn liefert, was die Kommunen bestellen. Will man etwa den Einsatz von mehr und moderneren Triebwagen, um den Zugverkehr vor Ausfällen zu sichern, müssten die Kommunen auch bereit sein, das zu bezahlen.
Wie lässt sich der ÖPNV verbessern, was fordert Pro Bahn?
Die Verbindungen der U 76 zwischen Krefeld und Düsseldorf verbessern, lautet eine Antwort. Vor allem mehr Angebote am Wochenende und in den Abendstunden seien wünschenswert, um die Düsseldorfer Altstadt und Krefeld besser zu verbinden.
Innerhalb von Krefeld plädiert Neuß für die Einrichtung von „Circle-Lines“, von Linien, die Krefeld umrunden. Zurzeit ist die Linienstruktur sternförmig auf die Innenstadt ausgerichtet; diese Verbindungen sind Neuß zufolge auch gut. Wer aber von Stadtteil A nach B will, muss von A erst in die Innenstadt und dort umsteigen, um nach B zu gelangen. Neuß ist überzeugt, Circle-Lines seien mit Bussen ordentlich einzurichten und auch nicht zu teuer: „Einmal um die Stadt 'rum, mit dem und gegen den Uhrzeigersinn, so könnte man bequem die Außenbezirke untereinander erreichen“, lautet Neuß' Vision. Die Krefelder Stadtwerke machen allerdings geltend, dass die Nachfrage nach solchen Stadtteilverbindungen extrem gering sei, der Betrieb mithin sehr unwirtschaftlich und teuer.
Neuß fordert nicht nur; das Krefelder Angebot sieht er „im mittleren Bereich“. Als sehr positiv bewertet er, dass es in Krefeld ein gut ausgebautes Straßenbahnnetz gebe. „Wir sind sehr froh, dass Krefeld zu den Städten gehört, die die Straßenbahn behalten hat und weiterführen will“, sagt er. Die Fahrgäste benutzen ihm zufolge lieber die Straßenbahn als den Bus – warum auch immer. Vielleicht,
weil Straßenbahnen ruhiger auf der Straße liegen als Busse und daher ein größeres Sicherheitsgefühl vermitteln.
Positiv in Krefeld sei auch das Bemühen, über Systeme wie den „Bus on demand“den ÖPNV zu individualisieren. Beim „Bus on Demand“(Bus auf Bestellung) kann man abends und nachts per App einen Kleinbus bestellen.
Ist Bahnfahren, ist der ÖPNV zu teuer? In einer Vergleichsstudie haben „t-online.de“und das Vergleichsportal Verivox 2019 die Kosten verglichen und sind zu dem Ergebnis gekommen: Werden alle Kosten miteinbezogen (Kaufpreis,
Wertverlust, Steuern, Wartung etc.), ist es kostengünstiger, auf das Auto zu verzichten und ÖPNV (inklusive Nutzung von Mietwagen und Carsharing-Angeboten) zu nutzen (https://www.t-online.de/auto/ technik/id_83848630/auto-gegenbus-und-bahn-was-sie-mehr-kostet.html).
Neuß glaubt aber, dass nicht die Kosten allein entscheidend sind: „Ein billiges Ticket nutzt nix, wenn das Angebot nicht stimmt.“Viele haben eben noch ein Auto, und das Grundgefühl sei immer noch: „Wirklich flott kommst du von A nach B nur mit dem Auto.“Insofern müsse man, wenn man Menschen für den ÖPNV gewinnen wolle, auch über Taktung und Angebote reden. Im Idealfall muss man nicht Fahrpläne auswendig kennen, weil man weiß: Du gehst zur Haltestelle, und in wenigen Minuten kommt die nächste Bahn, der nächste Bus. Auch regionale Schnellbuslinien könnten den ÖPNV attraktiver machen, regt Neuß an.
Er ist sich darüber im Klaren, dass das kostet. Er weist aber darauf hin, dass die Einführung des Elektroautos letztlich keine Verkehrswende bedeutet, die etwa eine Entlastung der Innenstädte bringt: „Auch E-Autos brauchen Straßen, Autobahnen und Parkplätze“