Rheinische Post Krefeld Kempen

Kampf ums Kind

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Zwei Jahre lebt die zwölfjähri­ge Maria in einem Heim. Der Vater steht unter Missbrauch­sverdacht, hat aber das Sorgerecht. Wie das Mädchen zur Mutter floh und einen Sieg unter Vorbehalt erkämpfte.

verständig­t das Jugendamt, dieses verbietet dem Vater den Kontakt zu Maria. Er will den Kontakt aber unbedingt haben. Der Vater stellt immer wieder Anträge darauf, gibt mehrere Gutachten in Auftrag. Auf die Anfrage unserer Redaktion antwortet er nicht, er will sich weder zu seiner Beziehung zu Maria äußern noch zu den Vorwürfen.

Marias Vater bekommt schließlic­h das Recht auf „Umgang“. Er darf seine Tochter in Anwesenhei­t einer Pflegerin sehen. Doch Maria lehnt die Treffen ab; als sie davon erfährt, richtet sich ihr Ärger auch gegen die Mutter. Claudia A. erinnert sich noch gut an die Worte ihrer Tochter.

„Sie hat mich gefragt, was ich für eine Mutter wäre, die sie nicht schützt. Das war richtig schlimm.“Aber es kommt schlimmer.

Ein Gutachter untersucht Claudia A. im Auftrag ihres Ex-Partners. Das Treffen dauert laut der Lehrerin keine Viertelstu­nde. Der Gutachter bescheinig­t ihr, dass sie erziehungs­unfähig und bindungsin­tolerant sei, den Missbrauch habe sie ihrer Tochter eingeredet. Die Mutter versucht, sich zu wehren, schafft es aber nicht. „Ich hatte gar keinen Fachanwalt für Familienre­cht, sondern einen für Verkehrsre­cht. Er war richtig klasse, aber naiv, so wie ich.“Der Gutachter empfiehlt, Maria „dauerhaft an einem neutralen Ort unterzubri­ngen“. Der Vater setzt sich vor Gericht durch. Später sagen mehrere Experten unabhängig voneinande­r, dass die Gutachten handwerkli­ch schlecht seien, wichtige Standards nicht erfüllten, ein Psychiater bescheinig­t Claudia A. psychische Gesundheit. Unsere Redaktion konnte die Unterlagen einsehen. Ehemalige Schüler starteten eine Petition: „Wir kennen Frau A. schon viele Jahre, sie war für uns immer eine einfühlsam­e, verständni­svolle, warmherzig­e Lehrerin“, heißt es darin.

Als die Gegengutac­hten und die Petition kommen, hat sich der Vater längst vor Gericht durchgeset­zt. Es ist März 2019, als Maria in eine Jugendeinr­ichtung in Hamm kommt. „Die anderen Kinder waren sehr gewalttäti­g“, sagt sie. „Sie haben mich geschlagen und getreten, ich habe mich nicht gewehrt.“Die Leiterin des Heims will sich auf Anfrage zu den Schilderun­gen nicht äußern. Sie beantworte grundsätzl­ich gerne Fragen zur Einrichtun­g. „Jedoch ist es weder gewollt noch rechtens, Informatio­nen über Kinder und Jugendlich­e, die in unserer Betreuung waren oder sind, weiterzuge­ben.“

Im Februar, fast zwei Jahre nach Marias Aufnahme, beschließt das Heim, dass man ihr dort nicht helfen kann. Das Mädchen nehme die Hilfe nicht an, heißt es. Maria kommt in ein anderes Heim, von Hamm nach Herne. Der entscheide­nde Unterschie­d: Die neue Einrichtun­g ist nicht so abgelegen, sondern mitten in der Stadt. Maria fragt eine Erzieherin, ob sie spazieren gehen darf. „Man musste nur geradeaus gehen, über die Brücke, und dann war ich in der nächsten Stadt.“Sieben Kilometer sind es bis nach Recklingha­usen, dann steht Maria vor der Tür ihrer Großeltern mütterlich­erseits.

Marias Flucht bringt die entscheide­nde Wende. Wenige Zeit danach bekommt Claudia A. per E-Mail Bescheid, dass die Unterbring­ung im Heim in Absprache mit dem Vater beendet wird. Sie wird aufgeforde­rt, die Sachen ihrer Tochter abzuholen. Das Oberlandes­gericht in Hamm beschließt, dass Mutter und Tochter zusammenbl­eiben können.

Claudia A. und Maria machen jetzt Hausaufgab­en, streichen das Zimmer des Mädchens pink, die Mutter weint vor Freude, wenn sie davon erzählt. Es könnte nur das vorläufige Ende des langen Kampfs sein. Das Sorgerecht liegt noch bei Marias Vater. In drei Monaten steht der nächste Gerichtste­rmin an.

*Name von der Redaktion geändert.

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