Rheinische Post Krefeld Kempen
Coolbeuys oder was die Jugend von Beuys denkt
In einem erfrischenden und packenden Stück führt das Kreschtheater Kinder und Jugendliche in Beuys' Denken ein.
Zu seinen Markenzeichen zählten neben Jeans, weißem Hemd und Anglerweste der graue Filzhut, er avancierte zum typischen Beuys-Accessoire und hat sich in das kollektive Gedächtnis vieler Generationen eingepflanzt. Doch wie sieht es mit der Generation heutiger junger Erwachsener aus? Sagt ihnen Joseph Beuys, der große Künstler und politische Aktivist, eigentlich etwas? Und wo ist die Verbindung zum Heute? Dieser und anderen Fragen geht das neue Stück des Kresch-Theaters nach. Passend zum 100-jährigen Beuys-Jubiläum ist „Coolbeuys oder Wo ist Joseph“entstanden. Am Sonntag feierte das Stück eine erfolgreiche Online-Premiere. Im Anschluss wurden virtueller Applaus und viele Herzen für die Schauspieler verteilt.
„Coolbeuys oder Wo ist Joseph“widmet sich dem charismatischen Künstler aus einer ungewöhnlichen und einfühlsamen Perspektive. Erzählt wird die Geschichte von Felix (wunderbar und facettenreich gespielt von Frank Kleineberg), der mit seiner Mutter Clara Steinbruch (einfühlsam und fantastisch gespielt von Michaela Christl) zusammenlebt. Zu seinem 14. Geburtstag bekommt Felix von seinem Vater, den er nie kennen gelernt hat, eine kleine Schachtel geschenkt. Der Inhalt der Schachtel ist ein Gedicht, das Felix' Leben von einem Tag auf den anderen auf den Kopf stellen soll. „Was ein Künstler ist“wird zum dramaturgischen Hauptankerpunkt des Stücks. Anders, als oftmals fälschlicherweise angenommen wird, stammt das Gedicht nicht von Beuys, fasst aber seine Denkweise gut zusammen: „Lass dich fallen, lerne Schnecken beobachten, Pflanze unmögliche Gärten…Verweigere Dich, verantwortlich zu sein – tu es aus Liebe! …Lass die Angst fallen, spiele mit allem. Unterhalte das Kind in Dir.“Es macht große Freude, Felix dabei zuzusehen, wie er ganz selbstverständlich dem Gedicht folgt: Er pflanzt einen „unmöglichen
Garten“in seine Matratze, verschenkt sein Geld oder besser gesagt das Geld seiner Mutter an Fremde und zeichnet auf Wände – zum Ärger seiner Mutter und seines Schuldirektors. Obwohl sich Felix` Mutter zu Beginn noch gegen den Sinneswandel ihres Sohnes aufzulehnen scheint, macht auch sie eine interessante Entwicklung durch.
Das Bühnenbild von Wienke Treblin nimmt den installativen Charakter von Beuys` Oeuvre auf und lässt trotz Stellwänden, die als Schutz zwischen den beiden Schauspielern aufgestellt sind, Raum für interessante Entdeckungen. Eine Schnur verläuft vom Sofa zu einer Holzleiter und führt von dort direkt auf den Boden zu. An der Schnur sind allerlei Zettel und Geldscheine befestigt – alles wird zum Kunstgegenstand und darf neu gedeutet werden. Ein schönes Stilmittel, das an Beuys erweiterten Kunstbegriff „Jeder Mensch ist ein Künstler und zum Künstler geboren“anknüpft.
Im Verlauf des 60–minütigen Stücks bewegt sich die Handlung immer tiefer in verschiedene gesellschaftliche Schichten hinein. Auf der erfolglosen Suche nach ihrem Sohn begegnet Clara Personen allen möglichen Denkrichtungen: von links bis rechts, grün bis schwarz sind Menschen und Schamanen mit allen Gesinnungen dabei. Besonders hervorzuheben ist eine Figur (gespielt von Helmut Wenderoth), die wie ein Alter Ego von Joseph Beuys wirkt. Sie gibt der verzweifelten Mutter den Rat, „die Angst fallen zu lassen“und mit dem Suchen ihres Sohnes aufzuhören, „denn er ist bereits da“. Ein Denkansatz, der in dem zentralen Gedicht auch immer wieder vorkommt, doch für die Mutter erst gegen Ende des Stücks verständlich wird.
Das ideenreiche Bühnenbild wird durch einfache Projektionen ergänzt. In regelmäßigen Abständen erscheinen kurze Definitionen von Begriffen am oberen Bühnenrand. Sie unterstreichen noch einmal Beuys' Kunstverständnis. Denn bereits „durch das Kunstwerk
des Denkens und der Sprache“vollzieht sich laut Beuys „soziale Kunst“. Die Schauspieler sind in diesem Stück doppelt gefordert, denn vor leeren Zuschauerreihen zu spielen erfordert sicher viel Einsatz und Mut. Besonders hervorzuheben sind die schönen Musiktitel, die Michaela Christl und Frank Kleineberg
selbst komponiert und geschrieben haben.
In Helmut Wenderoths Stück steckt viel Herzblut, wie er sagt. Auch er durfte im Entstehungs- und Schreibprozess von Coolbeuys viel lernen: „Mit jeder Arbeit sagt Beuys, trau dich etwas“, erklärt Wenderoth, das gefalle ihm. Dass Beuys keine
Angst davor hatte, Schwäche und Verwundbarkeit zu zeigen, sei für den Autor und Regisseur eine der interessantesten Entdeckungen, die er in den letzten Monaten machen durfte.
Im Anschluss an die live-Videopremiere konnte das virtuelle Publikum im Chat mit den Schauspielern sprechen und ihre Gedanken zum Stück mit allen anwesenden teilen. Corona zwingt auch den Kulturbetrieb neue Wege zu gehen – ganz im Sinne von Joseph Beuys.