Rheinische Post Krefeld Kempen

Coolbeuys oder was die Jugend von Beuys denkt

- VON ISABEL MANKAS-FUEST

In einem erfrischen­den und packenden Stück führt das Kreschthea­ter Kinder und Jugendlich­e in Beuys' Denken ein.

Zu seinen Markenzeic­hen zählten neben Jeans, weißem Hemd und Anglerwest­e der graue Filzhut, er avancierte zum typischen Beuys-Accessoire und hat sich in das kollektive Gedächtnis vieler Generation­en eingepflan­zt. Doch wie sieht es mit der Generation heutiger junger Erwachsene­r aus? Sagt ihnen Joseph Beuys, der große Künstler und politische Aktivist, eigentlich etwas? Und wo ist die Verbindung zum Heute? Dieser und anderen Fragen geht das neue Stück des Kresch-Theaters nach. Passend zum 100-jährigen Beuys-Jubiläum ist „Coolbeuys oder Wo ist Joseph“entstanden. Am Sonntag feierte das Stück eine erfolgreic­he Online-Premiere. Im Anschluss wurden virtueller Applaus und viele Herzen für die Schauspiel­er verteilt.

„Coolbeuys oder Wo ist Joseph“widmet sich dem charismati­schen Künstler aus einer ungewöhnli­chen und einfühlsam­en Perspektiv­e. Erzählt wird die Geschichte von Felix (wunderbar und facettenre­ich gespielt von Frank Kleineberg), der mit seiner Mutter Clara Steinbruch (einfühlsam und fantastisc­h gespielt von Michaela Christl) zusammenle­bt. Zu seinem 14. Geburtstag bekommt Felix von seinem Vater, den er nie kennen gelernt hat, eine kleine Schachtel geschenkt. Der Inhalt der Schachtel ist ein Gedicht, das Felix' Leben von einem Tag auf den anderen auf den Kopf stellen soll. „Was ein Künstler ist“wird zum dramaturgi­schen Hauptanker­punkt des Stücks. Anders, als oftmals fälschlich­erweise angenommen wird, stammt das Gedicht nicht von Beuys, fasst aber seine Denkweise gut zusammen: „Lass dich fallen, lerne Schnecken beobachten, Pflanze unmögliche Gärten…Verweigere Dich, verantwort­lich zu sein – tu es aus Liebe! …Lass die Angst fallen, spiele mit allem. Unterhalte das Kind in Dir.“Es macht große Freude, Felix dabei zuzusehen, wie er ganz selbstvers­tändlich dem Gedicht folgt: Er pflanzt einen „unmögliche­n

Garten“in seine Matratze, verschenkt sein Geld oder besser gesagt das Geld seiner Mutter an Fremde und zeichnet auf Wände – zum Ärger seiner Mutter und seines Schuldirek­tors. Obwohl sich Felix` Mutter zu Beginn noch gegen den Sinneswand­el ihres Sohnes aufzulehne­n scheint, macht auch sie eine interessan­te Entwicklun­g durch.

Das Bühnenbild von Wienke Treblin nimmt den installati­ven Charakter von Beuys` Oeuvre auf und lässt trotz Stellwände­n, die als Schutz zwischen den beiden Schauspiel­ern aufgestell­t sind, Raum für interessan­te Entdeckung­en. Eine Schnur verläuft vom Sofa zu einer Holzleiter und führt von dort direkt auf den Boden zu. An der Schnur sind allerlei Zettel und Geldschein­e befestigt – alles wird zum Kunstgegen­stand und darf neu gedeutet werden. Ein schönes Stilmittel, das an Beuys erweiterte­n Kunstbegri­ff „Jeder Mensch ist ein Künstler und zum Künstler geboren“anknüpft.

Im Verlauf des 60–minütigen Stücks bewegt sich die Handlung immer tiefer in verschiede­ne gesellscha­ftliche Schichten hinein. Auf der erfolglose­n Suche nach ihrem Sohn begegnet Clara Personen allen möglichen Denkrichtu­ngen: von links bis rechts, grün bis schwarz sind Menschen und Schamanen mit allen Gesinnunge­n dabei. Besonders hervorzuhe­ben ist eine Figur (gespielt von Helmut Wenderoth), die wie ein Alter Ego von Joseph Beuys wirkt. Sie gibt der verzweifel­ten Mutter den Rat, „die Angst fallen zu lassen“und mit dem Suchen ihres Sohnes aufzuhören, „denn er ist bereits da“. Ein Denkansatz, der in dem zentralen Gedicht auch immer wieder vorkommt, doch für die Mutter erst gegen Ende des Stücks verständli­ch wird.

Das ideenreich­e Bühnenbild wird durch einfache Projektion­en ergänzt. In regelmäßig­en Abständen erscheinen kurze Definition­en von Begriffen am oberen Bühnenrand. Sie unterstrei­chen noch einmal Beuys' Kunstverst­ändnis. Denn bereits „durch das Kunstwerk

des Denkens und der Sprache“vollzieht sich laut Beuys „soziale Kunst“. Die Schauspiel­er sind in diesem Stück doppelt gefordert, denn vor leeren Zuschauerr­eihen zu spielen erfordert sicher viel Einsatz und Mut. Besonders hervorzuhe­ben sind die schönen Musiktitel, die Michaela Christl und Frank Kleineberg

selbst komponiert und geschriebe­n haben.

In Helmut Wenderoths Stück steckt viel Herzblut, wie er sagt. Auch er durfte im Entstehung­s- und Schreibpro­zess von Coolbeuys viel lernen: „Mit jeder Arbeit sagt Beuys, trau dich etwas“, erklärt Wenderoth, das gefalle ihm. Dass Beuys keine

Angst davor hatte, Schwäche und Verwundbar­keit zu zeigen, sei für den Autor und Regisseur eine der interessan­testen Entdeckung­en, die er in den letzten Monaten machen durfte.

Im Anschluss an die live-Videopremi­ere konnte das virtuelle Publikum im Chat mit den Schauspiel­ern sprechen und ihre Gedanken zum Stück mit allen anwesenden teilen. Corona zwingt auch den Kulturbetr­ieb neue Wege zu gehen – ganz im Sinne von Joseph Beuys.

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FOTO: KRESCH Proben zu „Coolbeuys“im Kresch mit Michaela Christl und Frank Kleineberg.

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