Rheinische Post Krefeld Kempen

Betont bürgerlich in Baden-Württember­g

- VON GREGOR MAYNTZ

Die Koalitions­frage im Südwesten hat Signalchar­akter weit über Stuttgart hinaus. Auch deshalb tat sich Wahlsieger Winfried Kretschman­n so schwer damit, ob er Richtung Grün-Schwarz oder Richtung Ampel blinken sollte. Am Ende fiel die Entscheidu­ng, das Bündnis mit der CDU fortzusetz­en.

Die Koalitions­entscheidu­ng in Stuttgart lenkt den Blick auf ein ehernes Gesetz der deutschen Politik: dass sich die Bundespart­ei nicht in die Entscheidu­ngsfreihei­t der Landesverb­ände einmischt. Das ist die Theorie. In der Praxis sind die Landesvors­tände auch mit einflussre­ichen Bundespoli­tikern besetzt. Und so stiegen die Erwartunge­n, mit einem grün-gelbroten Bündnis in Stuttgart die Chancen für eine Bundesregi­erung ohne die CDU zu erhöhen. Doch Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n saß am Ende am längeren Hebel – und so fiel die Entscheidu­ng für eine Neuauflage von Grün-Schwarz.

Ein Blick in die wichtigen Entscheidu­ngsgremien zeigt: Agnieszka Brugger entscheide­t im Stuttgarte­r Grünen-Landesvors­tand mit – und ist Vizevorsit­zende der Grünen-Bundestags­fraktion. Thorsten Frei ist bei der CDU Parteivize in Stuttgart und zugleich Fraktionsv­ize in Berlin. Bei der SPD bestimmt im Landesvors­tand Rita Schwarzelü­hr-Sutter mit – sie ist zugleich Umwelt-Staatssekr­etärin der Bundesregi­erung. Und bei der FDP ist Michael Theurer zugleich Landesvors­itzender und Fraktionsv­ize im Bundestag.

Die große Wahlkampfl­okomotive war jedoch Kretschman­n. Er hat Zuspruch weit über das Grünen-Spektrum hinaus gewinnen können. Deshalb konnte er den größten Anspruch geltend machen, die Richtung seiner dritten Regierung zu bestimmen. Er will als betont bürgerlich­er Politiker das betont bürgerlich­e Bündnis mit der CDU fortsetzen. Mit dem CDU-Landesvors­itzenden Thomas Strobl hat er ein verlässlic­hes Vertrauens­verhältnis aufgebaut. Und er konnte auf Umfragen verweisen, wonach die meisten Wähler ihre Stimme mit der Erwartung einer grün-schwarzen Koalition verbanden.

Kretschman­n hatte offenbar wenig Neigung, mit Andreas Stoch von der SPD und Hans-Ulrich Rülke von der FDP eine Regierung zu bilden, die beide dazu genutzt hätten, sich nach Kräften zu profiliere­n. Während die CDU in den Sondierung­sgespräche­n bereits eine ganze Reihe von Stoppschil­dern bei Lieblings-Ökoprojekt­en der Grünen weggeräumt hatte, steht die FDP unter dem Zwang, vor der Bundestags­wahl im September deutlich zu machen, in Sachen Umweltpoli­tik bessere Lösungen als die Grünen durchsetze­n zu können. Mehr Kollision als Konsens hätte die Ampel bedeutet.

Aber diese Sicht teilten große Teile der Grünen in Stuttgart nicht. Die Enttäuschu­ng wuchs vor allem bei der Grünen Jugend, aber auch bei SPD und FDP zu Empörung. Sie sehen die große Chance verspielt, die CDU als Machtfakto­r aus dem Spiel zu nehmen. Das hätte der erstmalige­n grünen Kanzlerkan­didatur deutlich mehr Gewicht verliehen. Seht her, wir lösen die CDU als bürgerlich­e Kraft ab und bringen mit SPD und FDP Reformwill­en ins Kanzleramt, hätte bei dieser Variante die Stuttgarte­r Perspektiv­e für Berlin bedeutet. Das Ländle sollte hierfür ein Muster liefern. Auch die FDP hätte bei ihrem Parteitag in Mai

Rülke sicherlich als Helden gefeiert. Im Bundestags­wahljahr die Zahl der FDP-regierten Länder erhöht zu haben, wäre Rückenwind für die Regierungs-Ambitionen von Parteichef Christian Lindner gewesen. Zugleich aber sah dieser die dahinter lauernden Gefahren: Die Grünen hätten durch die Stuttgarte­r Ampel die Furcht vieler bürgerlich­er Wähler vor einem Linksbündn­is mindern können.

Denn die Erwartung ist klar: Wenn es am Ende zu einem Linksbündn­is reicht, wird dieses kommen. Nicht zufällig stimmten auch die Linken in den Chor der von Kretschman­n Enttäuscht­en ein.

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