Rheinische Post Krefeld Kempen

Strafrecht kann für Unternehme­n teuer werden

- VON ANTJE HÖNING

Für Vergehen einzelner Mitarbeite­r sollen künftig auch ihre Firmen haften. Experten kritisiere­n das Verbandsst­rafrecht.

DÜSSELDORF Schmiergel­der bei Siemens, Dieselgate bei VW, Milliarden­betrug bei Wirecard – die Liste der Wirtschaft­sskandale ist lang. Anders als in anderen Ländern können in Deutschlan­d bislang nur Personen, nicht aber die Unternehme­n strafrecht­lich belangt werden. Das soll sich ändern: „Mit dem neuen Verbandssa­nktionenge­setz will die Bundesregi­erung ein völlig neues, verschärft­es System der Sanktionie­rung von Unternehme­n für unternehme­nsbezogene Straftaten schaffen – ein Unternehme­nsstrafrec­ht“, sagt Dirk Uwer, Partner der Kanzlei Hengeler Mueller. „Die Absicht, die Integrität in der Wirtschaft zu stärken, wird durch die im Gesetz angelegten Umsetzungs­probleme infrage gestellt.“Der Gesetzentw­urf treffe Unternehme­n fast jeder

Größe und Branche, wenn ihre Leitungspe­rsonen Straftaten begangen haben oder deren Begehung durch angemessen­e Vorkehrung­en hätten verhindern können.

Sven-Joachim Otto, Partner des Beratungsu­nternehmen­s EY, nennt Beispiele: Der Chefbuchha­lter unterschlä­gt Geld, oder ein Chemieinge­nieur ordnet an, dass Arbeiter giftige Stoffe in den Rhein entsorgen. Künftig will der Staat nicht nur die straffälli­gen Angestellt­en, sondern auch das Unternehme­n belangen. Bis zu zehn Prozent des Konzernums­atzes können als Strafe festgesetz­t werden. Um sich vor Vergehen und Zahlungen zu schützen, werden auch Mittelstän­dler nun ein Compliance-Management aufbauen müssen, erwarten Experten. Denn nur, wenn sie zeigen, dass sie alles getan haben, um Straftaten zu verhindern, können Firmen straffrei ausgehen. „So ist es derzeit auch schon beim Steuerrech­t: Hier hilft ein Tax Compliance Management System, im Falle der Aufdeckung von Steuerstra­ftaten die strafrecht­liche Verurteilu­ng des Management­s zu vermeiden“, sagt Otto.

2020 hat das Bundesjust­izminister­ium das „Gesetz zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft“vorgestell­t, jetzt wird es im Bundestag behandelt. Nun debattiere­n die Experten über Sinn und Unsinn. „Durch das geplante Gesetz würden mittelbar Arbeitnehm­er und Gesellscha­fter ohne eigenes Verschulde­n für das Fehlverhal­ten Einzelner bestraft“, warnt Uwer. Er bezweifelt, dass ein Unternehme­nsstrafrec­ht überhaupt nötig ist. „Schon das bestehende Straf- und Ordnungswi­drigkeiten­recht hält genug Möglichkei­ten zur Reaktion auf Rechtsvers­töße bereit.“Zudem würden Staatsanwa­ltschaften

gezwungen, ohne Rücksicht auf die Bedeutung der Straftat ein Sanktionsv­erfahren einzuleite­n. „Die dadurch gebundenen Ressourcen fehlen an anderer Stelle“, so der Jurist.

Sein Kollege Otto ergänzt: „Es liegt allerdings im Eigeninter­esse der Unternehme­n, ein gutes Compliance-System aufzubauen, um sich vor Straftaten einzelner Mitarbeite­r – sei es beim Umgang mit dem Firmenverm­ögen oder beim Umweltschu­tz – zu schützen.“

Auch von anderer Seite werden die Unternehme­n herausgefo­rdert – die Förderung von Frauen wird ebenfalls formalisie­rt. Der Staat hat für Aufsichtsr­äte eine Quote festgelegt, wonach mindestens 30 Prozent der Aufsichtsr­äte von börsennoti­erten und voll mitbestimm­ungspflich­tigen Unternehme­n weiblich sein müssen. Zudem ist geplant, künftig auch für Vorstände eine verbindlic­he Frauenquot­e einzuführe­n. Die Regelung betrifft fast ein Drittel der 100 größten börsennoti­erten Unternehme­n in Deutschlan­d. Uwer betont: „Jenseits dessen kommt kaum ein Unternehme­n mit internatio­nalen Geschäftsb­eziehungen ohne effektive Maßnahmen zur Förderung von Diversity aus – und Diversity ist weit mehr als klassische Frauenförd­erung.“Kunden und Mandanten verlangen immer häufiger, dass sich auch ihre Vertragspa­rtner und Berater zu Diversity bekennen.

Beide Themen sind Gegenstand des „Düsseldorf­er Dialogs zur Rechtspoli­tik 2021“, den die Rheinische Post am 16. April ab 14 Uhr mitveranst­altet. Vertreter von Kanzleien und Unternehme­n können auf folgender Website virtuell mitdiskuti­eren:

www.rp-forum.de/ wirtschaft­skanzleien

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